Papst an römische Priester: „Weinst du? Kämpfst du? Streichelst du?"
Papst Franziskus hat
die Priester Roms zu einer Seelsorge der Barmherzigkeit aufgerufen. Die Barmherzigkeit
Gottes sei einer der ganz großen Glaubensinhalte und Gaben, die dem Volk Gottes anvertraut
seien, sagte Franziskus vor mehreren Tausend Priestern seiner Erzdiözese Rom, die
er an diesem Donnerstag in der Audienzhalle traf. Es handelte sich um eine kurzfristig
angesetzte Begegnung anstelle des Besuchs im römischen Priesterseminar, die Franziskus
jüngst wegen Fiebers absagen musste.
„Die Barmherzigkeit Gottes kommt von
oben. Es ist an uns, als Amtsinhaber der Kirche, diese Botschaft lebendig zu halten,
besonders in der Predigt, in den Gesten, Zeichen, in den seelsorgerlichen Entscheidungen,
etwa der Entscheidung, dem Sakrament der Versöhnung Priorität einzuräumen.“
Er
habe , erzählte Franziskus freimütig, einige Briefe und Anrufe von römischen Priestern
erhalten, die ihn gefragt hätten, warum er die Priester nicht schätze. „Sie sagten,
ich prügle sie! Das will ich natürlich nicht.“ Er wolle ihnen vielmehr klarmachen,
was „Barmherzigkeit“ für einen Priester bedeute. Erstes Kriterium: Nähe.
„Was
ist er Ort, an dem man Jesus am häufigsten antreffen konnte? Auf der Straße! Es könnte
scheinen, er sei ein Obdachloser, weil er immer auf der Straße anzutreffen war. …
Der Priester ist ein Mann der Barmherzigkeit und des Mitleids, seinen Leuten nahe,
der Diener aller. Wer immer in seinem Leben verletzt ist, auf welche Weise auch immer,
kann ihn ihm Aufmerksamkeit und Gehör finden.“
Besonders zeige sich das
„Innere der Barmherzigkeit“ beim Priester im Spenden der Beichte, unterstrich der
Papst. Überdies müsse ein Priester auch lernen, ein Herz zu haben, das Mitleid bis
hin zu Tränen empfindet.
„Priester, die – ich erlaube mir dieses Wort –
„aseptisch“ sind, die wie frisch aus dem Labor kommen und ganz sauber und schön, die
helfen der Kirche nicht!“
Neuerlich griff der Papst auf sein Bild von der
Kirche als Feldlazarett zurück. Da gebe es „so viele, so viele Wunden“ zu heilen.
„Es gibt so viele verletzte Menschen, verletzt von materiellen Problemen,
von den Skandalen, auch in der Kirche. Wir Priester müssen dort sein, nahe an diesen
Leuten. Barmherzigkeit bedeutet vor allem anderen und zuerst, die Wunden zu heilen.
Später dann können wir uns um die Analyse kümmern. Es gibt auch verdeckte Wunden,
Leute, die weggehen, um ihre Wunden nicht zu zeigen; sie gehen weg vielleicht mit
einem zornigen Gesicht und sind der Kirche böse: aber im Grund ist da drin eine Wunde.
Sie wollen eine Geste der Zärtlichkeit. Ich frage euch, liebe Mitbrüder: kennt ihr
die Wunden der Menschen in eurer Pfarre?"
Bei der Beichte und der Lossprechung,
so der Papst weiter, seien weder ganz strenge noch ganz laxe Priester eine große Hilfe.
Beide würden sich „die Hände in Unschuld waschen“.
„Echte Barmherzigkeit
nimmt sich des Menschen an, hört ihm zu, bedenkt seine Lage mit Respekt und Wahrheit
und begleitet ihn auf dem Weg der Versöhnung. Und das ist mühsam. Sicher!“
Der
Papst empfahl den Priestern, für die ihnen anvertrauten leidenden Menschen echtes,
tief empfundenes Mitleid zu haben. „Seelsorgerliches Leid“, nannte Franziskus das.
„Das bedeutet, für und mit den Menschen zu leiden. Und das ist nicht leicht!
Zu leiden, so wie ein Vater oder eine Mutter für ihre Kinder leiden.“
Drei
Fragen zur Gewissenserforschung stellte Franziskus den Priestern seiner Diözese:
„Sag
mir: Weinst du? Oder haben wir die Tränen verloren? In den alten Messbüchern gab es
ein wunderschönes Gebet um die Gabe der Tränen. Wie viele von uns weinen angesichts
des Leidens eines Kindes, oder angesichts einer zerbrechenden Familie, oder für so
viele Menschen, die ihren Weg nicht finden Weinst du für dein Volk? Bittest du um
Fürsprache vor dem Allerheiligsten?“
Und weiter: Kämpfst du für dein Volk
bei Gott? Schließlich: Wie ist deine Beziehung zu Kindern, Alten und Kranken? „Streichelst
du sie, oder schämst du dich, einen Greis zu streicheln?“ fragte der Papst, und bat:
„Schäme dich nicht des Fleisches deines Bruders. Sich nähern dem Fleisch des Bruders.“
Seine
frei gehaltene Ansprache beschloss Papst Franziskus mit einer persönlichen Anekdote.
Er habe als Generalvikar von Buenos Aires einem in der Osternacht verstorbenen Priester,
der ein begnadeter Beichtvater gewesen sei, das Kreuz seines Rosenkranzes gestohlen,
den dieser aufgebahrt in seinen Händen gehalten habe. „Gib mir die Hälfte deiner Barmherzigkeit“,
habe er, Bergoglio, den Verstorbenen gebeten. Seither trage er das Kreuz jenes Rosenkranzes
immer bei sich, auch in der Soutane es Papstes. „Wenn mir ein böser Gedanke gegen
einen anderen kommt, dann geht meine Hand sofort dahin, immer. Und ich spüre die Gnade,
nicht wahr? Das tut mir gut.“