Die Predigt bei der Dankesmesse: Stimme des Geistes hören
Bei der Dankesmesse am Sonntag in der Petersbasilika hat der Papst den 19 neuen Kardinälen
ans Herz gelegt, ihr Leben der Heiligkeit zu widmen. Hier lesen Sie die Predigt im
Wortlaut: »Mit deiner Hilfe, barmherziger Vater, lass uns stets aufmerksam auf
die Stimme des Geistes hören« (vgl. Tagesgebet). Dieses Gebet, das zu Beginn
der Messe gesprochen wurde, erinnert uns an eine Grundhaltung: das Hören auf den Heiligen
Geist, der die Kirche belebt und beseelt. Mit seiner schöpferischen und erneuernden
Kraft stützt der Geist immer die Hoffnung des Gottesvolkes auf seinem Weg durch die
Geschichte, und immer verleiht er als Paraklet – als Beistand –dem Zeugnis der Christen
Stärke. In diesem Moment wollen wir gemeinsam mit den neuen Kardinälen die Stimme
des Geistes hören, der durch die vorgetragenen Schriftlesungen spricht. In der
ersten Lesung ist der Aufruf des Herrn an sein Volk ertönt: »Seid heilig, denn ich,
der Herr, euer Gott, bin heilig« (Lev 19,2). Und im Evangelium knüpft Jesus
daran an: »Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist«
(Mt 5,48). Diese Worte gehen als Jünger des Herrn uns alle an; und heute sind
sie speziell an mich und an euch gerichtet, liebe Mitbrüder Kardinäle, und in besonderer
Weise an euch, die ihr gestern ins Kardinalskollegium aufgenommen worden seid. Die
Heiligkeit und die Vollkommenheit Gottes nachzuahmen, kann als ein unerreichbares
Ziel erscheinen. Dennoch führen die erste Lesung und das Evangelium die konkreten
Beispiele an, damit das Verhalten Gottes zur Regel unseres Handelns wird. Doch erinnern
wir uns, dass ohne den Heiligen Geist unser Bemühen umsonst wäre! Die christliche
Heiligkeit ist nicht vor allem unser Werk, sondern ist Frucht der – gewollten und
praktizierten – Folgsamkeit gegenüber dem Geist des dreimal heiligen Gottes. Im
Buch Levitikus heißt es: »Du sollst in deinem Herzen keinen Hass gegen deinen
Bruder tragen … sollst … dich nicht rächen und … nichts nachtragen. Du sollst deinen
Nächsten lieben« (19,17-18). Diese Verhaltensweisen entspringen aus der Heiligkeit
Gottes. Wir hingegen sind so anders, so egoistisch und stolz… und doch ziehen uns
die Güte und die Schönheit Gottes an, und der Heilige Geist kann uns läutern, kann
uns verwandeln, uns Tag für Tag formen. Es geht um eine Arbeit der Bekehrung, also
der Bekehrung im Herzen, eine Bekehrung von uns allen und insbesondere von euch Kardinäle
und mich. Bekehrung! Im Evangelium spricht auch Jesus zu uns von der Heiligkeit
und erklärt uns das neue Gesetz, das seine. Er tut das durch einige Gegenüberstellungen
zwischen der unvollkommenen Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer und der
größeren Gerechtigkeit des Reiches Gottes. Die erste Gegenüberstellung des
heutigen Evangelienabschnitts betrifft die Rache. »Ihr habt gehört, dass gesagt worden
ist: „Auge für Auge und Zahn für Zahn.“ Ich aber sage euch: … wenn dich einer auf
die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin« (Mt 5,38-39).
Wir dürfen nicht nur dem anderen das Böse, das er uns angetan hat, nicht heimzahlen,
sondern sollen uns anstrengen, großzügig Gutes zu tun. Das verlangt der Herr von euch! Die
zweite Gegenüberstellung bezieht sich auf die Feinde: »Ihr habt gehört, dass
gesagt worden ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Ich
aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen« (V. 43-44).
Von dem, der Jesus nachfolgen will, verlangt er, den zu lieben, der es nicht verdient,
ohne Gegenleistung, um den Mangel an Liebe auszugleichen, der in den Herzen, in den
menschlichen Beziehungen, in den Familien, in den Gemeinschaften, in der Welt herrscht.
Jesus ist nicht gekommen, um uns gutes Benehmen, das Benehmen der feinen Gesellschaft
zu lehren! Dazu brauchte er nicht vom Himmel herabzusteigen und am Kreuz zu sterben.
Christus ist gekommen, um uns zu retten, um uns den Weg, den einzigen Ausweg
aus dem Fließsand der Sünde zu zeigen, und dieser Weg ist die Barmherzigkeit. Heilig
zu sein, ist kein Luxus, es ist notwendig für das Heil der Welt. Liebe Mitbrüder
Kardinäle, Jesus, der Herr, und die Mutter Kirche verlangen von uns, diese Haltungen
der Heiligkeit mit größerem Eifer und glühender zu bezeugen. Genau in diesem Mehr
an ungeschuldeter, selbstloser Liebe besteht die Heiligkeit eines Kardinals. Lieben
wir darum diejenigen, die uns feindlich gesonnen sind; segnen wir, die schlecht über
uns sprechen; grüßen wir mit einem Lächeln, die es vielleicht nicht verdienen; trachten
wir nicht danach, uns zur Geltung zu bringen, sondern setzen wir rechthaberischer
Gewalt die Sanftmut entgegen; vergessen wir die erlittenen Demütigungen. Lassen wir
uns immer vom Geist Christi leiten, der sich selbst am Kreuz geopfert hat, damit wir
„Kanäle“ sein können, durch die seine Liebe fließt. Das ist die Einstellung, das ist
das Verhalten eines Kardinals. Der Kardinal tritt in die Kirche Roms ein, nicht in
einen Hofstaat. Vermeiden wir alle höfische Gewohnheiten und Verhaltensweisen wie
Intrigen, Tratsch, Seilschaften, Günstlingswirtschaft, Bevorzugungen, und helfen wir
uns gegenseitig, sie zu vermeiden. Unser Reden sei das des Evangeliums: Unser Ja sei
ein Ja und unser Nein ein Nein; unser Verhalten sei das der Seligpreisungen und unser
Weg jener der Heiligkeit. Beten wir erneut um deine Hilfe, barmerziger Vater, damit
wir der Stimme des Heiligen Geistes immer hören. Der Heilige Geist spricht heute
zu uns auch durch die Worte des heiligen Paulus: »Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes
Tempel seid? … Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr« (1 Kor 3,16-17).
In diesem Tempel, der wir sind, wird eine Lebensliturgie gefeiert: die der Güte, des
Verzeihens, des Dienens – in einem Wort: die Liturgie der Liebe. Dieser Tempel wird
gleichsam entweiht, wenn wir die Pflichten gegenüber dem Nächsten vernachlässigen.
Wenn in unserem Herzen der Kleinste unserer Brüder Raum findet, dann ist es Gott selber,
der dort Raum findet. Wenn jener Bruder ausgesperrt wird, ist es Gott selber, der
keine Aufnahme findet. Ein Herz ohne Liebe ist wie eine entweihte Kirche, die dem
Gottesdienst entzogen und für anderes bestimmt ist. Liebe Mitbrüder Kardinäle,
bleiben wir in Christus und untereinander geeint! Ich bitte euch, mir nahe zu sein,
mit dem Gebet, dem Rat und der Zusammenarbeit. Und ihr alle, Bischöfe, Priester, Diakone,
Personen gottgeweihten Lebens und Laien, tut euch in der Anrufung des Heiligen Geistes
zusammen, damit das Kardinalskollegium immer brennender in der pastoralen Liebe, immer
mehr von Heiligkeit erfüllt sei, um dem Evangelium zu dienen und der Kirche zu helfen,
die Liebe Christi in die Welt auszustrahlen.