Österreich/Belgien: Scharfe Kritik an Euthanasie für Kinder
Belgiens Abgeordnetenkammer hat am Donnerstag über die gesetzliche Freigabe von aktiver
Sterbehilfe für Minderjährige abgestimmt. 86 der Abgeordneten stimmten für, 44 gegen
die Vorlage, 12 Abgeordnete enthielten sich. Beobachter rechneten angesichts der Mehrheitsverhältnisse
seit langem mit einer Zustimmung. Der Senat hatte das Vorhaben bereits Ende 2013 gebilligt;
der Justizausschuss der Kammer schloss sich an. Belgien ist weltweit das erste Land,
das für aktive Sterbehilfe keine Altersgrenze mehr vorgibt. In den Niederlanden ist
bislang Tötung auf Verlangen für über 12-Jährige sowie für unheilbar kranke Neugeborene
erlaubt. Die katholische Kirche hatte sich mehrfach gegen das Gesetz ausgesprochen.
Lesen Sie hier eine Zusammenfassung zum Thema von kathpress.
Heftige
Kritik durch katholische Kirche
Die belgischen Bischöfe warnten vor
der Abstimmung erneut vor einer Banalisierung des Todes. Der Fall eines sterbewilligen
Minderjährigen könnte als „normal“ erscheinen, sobald eine bestimmte Krankheit oder
Behinderung erst einmal allgemein als „unannehmbar“ gelte. Bischofskonferenzen mehrerer
EU-Länder, darunter die österreichische, warnten in den vergangenen Monaten mehrfach
vor allen Formen aktiver Sterbehilfe - nicht zuletzt im Blick auf Belgien.
Österreichs
Referatsbischof für Familien- und Lebensschutz-Fragen Klaus Küng sagte am Donnerstagabend,
die Abstimmung in Brüssel sei ein unheilvolles Signal für Europa. „Heute ist ein Tag,
an dem man nur tieftraurig sein kann“, so Küng wörtlich: „Belgien hat mit großer Mehrheit
der Parlamentarier und unter Zustimmung der Bevölkerung ein Gesetz beschlossen, das
Euthanasie für Kinder zulässt. Und zwar nicht 'über 12 Jahren' wie in Holland, sondern
sogar 'unter 18 Jahren'. Und das trotz zahlloser warnender Stimmen aus dem In- und
Ausland, nicht zuletzt des Europarates. Leider wird dieses Gesetz den Druck auf leidende
Kinder, ihre Eltern und die Ärzte erhöhen, sich für den Tod zu entscheiden. Und der
belgische Schritt wird unheilvolle Signalwirkung für Europa und die Welt haben. Ich
kann nur mit Kardinal König wiederholen: ein Mensch, schon gar ein Kind, kann an der
Hand, aber niemals, niemals durch die Hand eines anderen Menschen sterben.“
Die
Abstimmung kann als direkte Folge des 2002 verabschiedeten Gesetzes gesehen werden.
Damals beschloss die belgische Abgeordnetenkammer das „Gesetz zur Euthanasie“ für
Volljährige. Demnach muss ein unheilbar kranker Patient im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte den Wunsch zu sterben „freiwillig, überlegt und wiederholt“ geäußert haben.
Zudem darf keine Hoffnung auf Linderung bestehen, und die Krankheit muss ein Weiterleben
für den Kranken „körperlich oder psychisch unerträglich“ machen.
Mit der Ausweitung
des Gesetzes können künftig auch Minderjährige unter diesen Umständen aktive Sterbehilfe
erhalten. Der Wunsch des Kindes muss durch mehrere Experten bestätigt werden; die
Eltern müssen die Entscheidung bewilligen.
Der Vorsitzende der Belgischen
Bischofskonferenz, Erzbischof Andre-Joseph Leonard, kritisierte zuletzt, die geplante
Gesetzeserweiterung untergrabe die „lebenswichtige Solidarität von allen Bürgern mit
leidenden Menschen“. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Minderjährige aus zivilrechtlichen
Gründen weder heiraten noch ein Haus kaufen könnten, ihnen aber bei einer Entscheidung
über Leben oder Tod ein entsprechendes Urteilsvermögen zugetraut werde.
Statt
aktive Sterbehilfe zu erweitern, solle die Gesellschaft überlegen, wie Schwerkranke
durch das öffentliche Gesundheitswesen besser aufgefangen werden könnten. Leonard
hatte die Belgier für vergangenen Donnerstag zu einem Gebets- und Fastentag gegen
das Gesetz aufgerufen.
Auch der Europarat sprach sich gegen Sterbehilfe für
Minderjährige aus. Die Meinung, ein Leben könne lebensunwürdig werden, rüttele am
Fundament jeder zivilisierten Gesellschaft, so die Begründung. Es sei ein Irrtum zu
glauben, dass auch ein Kind mit klarem Bewusstsein seine Zustimmung zu Sterbehilfe
geben und die komplexen Folgen einer derartigen Entscheidung verstehen könne.
Immer
mehr problematische Anwendungsfälle
2012 wurde in Belgien mit 1.432
Menschen, die aktive Sterbehilfe in Anspruch nahmen, ein Rekordstand erreicht. Diese
machten rund zwei Prozent aller gemeldeten Todesfälle aus. Auch in den Niederlanden
zeigt die Statistik eine klare Richtung: Die Zahl der Fälle ist von 2011 bis 2012
um 13 Prozent auf 4.188 gestiegen, berichtete die zuständige Kommission.
Schlagzeilen
machte Belgien, weil dort auch Menschen Tötung auf Verlangen in Anspruch nahmen, die
nicht todkrank waren. So erhielt im Oktober ein transsexueller Mann Sterbehilfe, weil
er mit seiner Geschlechtsumwandlung unglücklich war. Zur Jahreswende sorgte der Tod
eines 45-jährigen Zwillingspärchens für heftige Diskussionen. Die beiden von Geburt
an tauben Männer drohten allmählich zu erblinden. Auf Wunsch der Brüder leisteten
Ärzte Sterbehilfe, obwohl die Zwillinge nicht an einer tödlichen Krankheit litten.
Ethisch problematisch zeigt sich auch die Vermischung von Euthanasie und Organspende.
2012 wurde bekannt, dass in Belgien seit 2005 neun nach Sterbehilfe verstorbenen Patienten
Organe entnommen worden. Debattiert wurde, ob diese Spenden wirklich freiwillig erfolgten.
Eine systematische Information der sterbewilligen Patienten über Organspende gebe
es nicht, um keinen emotionalen Druck zu erzeugen, zitieren Zeitungen den Antwerpener
Transplantationsmediziner Dirk Ysebaert.
Umstritten ist auch der Umgang mit
Demenzkranken und ihrer Entscheidungsfähigkeit. Für Debatten sorgte etwa 2011 die
Sterbehilfe für eine schwer demenzkranke Frau - ohne dass sie ihren vor Jahren formulierten
Wunsch noch einmal klar zum Ausdruck bringen konnte. Nach Meinung der belgischen Bischöfe
droht hier ein Dammbruch. Bei Demenzkranken und behinderten Kindern könnte es „soweit
kommen, dass die Euthanasie ganz einfach die allgemeingültige Lösung würde - aus Mitleid“,
warnen sie.