Die Ukraine steht
– wieder mal und immer noch – am Scheideweg. Das Fortdauern der Massendemonstrationen
in Kiew und anderen Städten seit November lässt eigentlich nur noch zwei Möglichkeiten
offen: dass die Regierung den Protest mit Gewalt niederschlägt (die wahrscheinlichere
Variante), oder dass schließlich die Oppositionellen an die Macht kommen. Oder aber,
so unwahrscheinlich das ist, es kommt doch noch zu einem politischen Dialog; auch
dafür gibt es einige Ansätze, etwa den Rücktritt des Ministerpräsidenten am Dienstag,
oder die Annullierung einiger repressiver Gesetze.
Ralf Haska arbeitet
als deutscher evangelischer Pfarrer in Kiew und wohnt nur fünf Minuten vom Justizministerium
entfernt, einem der Kristallisationspunkte der Proteste. Ein Foto auf der Homepage
seiner Gemeinde zeigt, wie er sich zwischen die Demonstranten und die Regierungstruppen
stellt. Wie gefährlich ist so etwas?, fragte ihn das Kölner Domradio.
„Ich
werde das oft gefragt, ich weiß es nicht. Ich denke, es wird schon eine gewisse Gefährlichkeit
dabei sein, weil man nie weiß, wie die Seiten reagieren, die man auseinanderbringen
möchte. Ob sie Respekt haben, ob sie das einsehen, was man sagt, oder ob sie einfach
weiter aufeinander losgehen wollen. Ich weiß es nicht. Aber in dem Moment, wo das
eben nötig ist, muss man handeln. Also das ist ja genau vor meiner Kirche passiert,
genau vor der Tür sozusagen, und ich kann ja da nicht einfach so stehenbleiben und
nur zuschauen, vielleicht noch die Videokamera draufhalten. Da muss man einfach helfen,
wenn man es kann und wenn man die Möglichkeit hat. Und ich habe eben gehofft, dass
man einem Geistlichen gegenüber – ich bin ja in vollem Ornat dazwischen gegangen –
, dass man da einfach ein Stück Respekt hat.“
Haska glaubt und hofft, dass
es nicht zur Verhängung des Ausnahmezustands kommen wird.
„Allerdings, in
diesem Land weiß man nie: Was heute ist, kann morgen schon wieder völlig anders sein.
Hier ändert sich schnell die Situationen. Und es kann sein, dass es vom Tisch ist;
es sieht im Moment so aus, dass beide Seiten tatsächlich einen Schritt aufeinander
zu getan haben. Das muss aber nicht heißen, dass es am Nachmittag oder am Abend nicht
schon wieder völlig anders aussieht.“
Der Pfarrer versorgt Polizisten und
Demonstranten in seiner Kirchengemeinde mit Strom für Handys, aber auch mit Suppen
oder mit warmen Getränken. Er könne die Demonstranten verstehen, sagt er und betont,
dass die jüngste Gewalt nicht von Protestierenden ausgegangen sei, sondern „ganz eindeutig“
vom „Staat“. So weit, so oppositionsfreundlich.
„Auf der anderen Seite stehen
da 18-, 19- ,20-jährige junge Polizisten, die ganz sicher in einer gewissen Zwickmühle
sind. Sie sind da hingestellt, müssen da stehen, auf der anderen Seite würden sie
vielleicht lieber auf der Seite der Demonstrierenden stehen. Denen erst einmal genauso
freundlich entgegenzukommen, denke ich, ist ein Gebot der christlichen Nächstenliebe.
Und das versuchen wir: sowohl den Demonstrierenden zu geben, was sie nötig haben,
als auch den Polizisten, die zu uns kommen.“