Brennende Autoreifen
und fliegende Steine: Das sind die Bilder aus der Ukraine, die wir seit Tagen in den
Nachrichten sehen. Am Donnerstag trafen sich die Oppositionsführer mit Präsident Viktor
Janukowitsch, doch die zarte Hoffnung darauf, dass ein Dialog in Gang kommen könnte,
verpuffte schnell: Das Gespräch hatte kein greifbares Ergebnis. Bleibt die Frage,
wie es bei so verhärteten Fronten weitergehen soll.
Auf dem Maidan-Platz in
der Kiewer Innenstadt protestieren Demonstranten seit Wochen, in den vergangenen Tagen
kamen bei blutigen Auseinandersetzungen mit den Behörden mindestens drei Menschen
ums Leben. Die Forderungen der Oppositionspolitiker unter der Führung des früheren
Boxweltmeisters Vitali Klitschko und um Oleg Tiagnibok von den Nationalisten sind
klar, sagt Gabriele Baumann, Leiterin des Auslandsbüros der Konrad- Adenauer-Stiftung
(KAS) in Kiew im Gespräch mit dem Kölner Domradio:
„Aus Sicht der
Opposition am wichtigsten ist erstens die Rücknahme der Gesetze, die am vergangenen
Donnerstag verabschiedet wurden – gegen die Verfassung und gegen die Geschäftsordnung
des Parlaments. Diese Gesetze schränken auch die Bürgerrechte in der Ukraine massiv
ein. Und zweitens ist es der Rücktritt der Regierung unter Ministerpräsident Nikolai
Asarow. “
Kurz nach dem Krisentreffen in der Präsidialkanzlei am Donnerstagabend
sagte Tiagnibok, weitere „Beratungen“ seien notwendig. Das Regierungslager zeigte
sich zuversichtlich, einen Kompromiss zu finden, damit die tödlichen Straßenschlachten
in Kiew ein Ende haben. Baumann unterstreicht, dass die Regierung diesen Worten dringend
Taten folgen lassen muss, damit sich die Situation beruhigt:
„Es wird derzeit
so gesehen, dass die jetzige Regierung nicht mehr tragbar ist, weil sie zum einen
die Assoziierungsverhandlungen mit der Europäischen Union hat versanden lassen und
es nicht zur Unterzeichnung gekommen ist. Zum anderen wurden diese Gesetze jetzt verabschiedet.
Drittens: Dem Wunsch der Bevölkerung – vor allem derjenigen, die jetzt auf dem Maidan
ausgeharrt haben, über zwei Monate – nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, nach
europäischer Integration ist man überhaupt nicht entgegengekommen.“
Die
aktuelle Regierung solle durch eine Übergangsregierung ausgetauscht werden, bis es
dann Neuwahlen geben könne. Die Lage ist ernst; im ganzen Land verschärft sich die
Stimmung:
„Mittlerweile wächst die Unzufriedenheit auch in anderen Regionen.
Wir haben natürlich in Kiew auf dem Maidan einen zentralen Punkt: 100.000 Menschen
bei -10 Grad; das heißt, die Menschen kommen aus der ganzen Ukraine. Es gibt aber
auch ganz viel Unterstützung in anderen Regionen der Ukraine – beispielsweise in Lviv
(Lemberg) im Westen der Ukraine. Dort hat der Bürgermeister beschlossen, die Gesetze,
die am vergangenen Donnerstag verabschiedet wurden, nicht umzusetzen. Ich höre gerade,
dass dort bereits die öffentlichen Gebäude von den Unterstützern des Maidan eingenommen
worden sind.“
Für Baumann ist Vitali Klitschko ein geeigneter Oppositionsführer,
da er schon seit drei Jahren Vorsitzender seiner Partei ist, mit einer starken Fraktion
im Parlament. Er habe mittlerweile eine gute Mannschaft und sich auch regional verstärkt.
„Vor allen Dingen hat er, was ich besonders wichtig finde, in den vergangenen
Tagen Verantwortung übernommen, als es darum ging, Entscheidungen herbeizuführen.
Er hat sich seit Sonntag maßgeblich dafür eingesetzt, dass es zum einen zu einer Lösung
der politischen Krise kommt, und zum anderen hat er auch immer wieder vermittelt zwischen
den Demonstranten und den Sicherheitskräften.“
Auch die Kirchen rufen zu
einer friedlichen Lösung des Konflikts auf: Der Rat der Kirchen und religiösen Organisationen
appelliert seit Tagen an Regierung und Opposition, Verhandlungen aufzunehmen. Die
Religionsgemeinschaften bieten dazu ihre Hilfe an. Auch die Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
bieten sich als Vermittler in dem blutigen Machtkampf: An diesem Freitag reist der
für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Stefan Füle nach Kiew. Für die Leiterin
des Auslandsbüros der KAS dort hängt alles davon ab, wie die Gespräche zwischen Regierung
und Opposition weitergehen:
„Wenn das Verhandlungsergebnis so aussieht,
dass man damit rechnen kann, dass es weitere Möglichkeiten gibt und dass es weiter
einen Dialog geben wird, dann denke ich, dass es sehr viel ruhiger werden wird. Sollte
es dagegen jetzt nicht zu einem Ergebnis kommen, dann kann es weiter Gewalt geben
- damit muss man sicher rechnen.“