Größter atheistischer
Staat des Planeten? Das war einmal. Heute ist China das Land auf der Welt, in dem
die meisten Bibeln gedruckt werden – und zwar mit dem Segen der kommunistischen Behörden.
Dieser Umschwung hat mit der „Amity Printing Press“ (APP) zu tun, dem größten christlichen
Verlag der Volksrepublik.
Lei Liu kam frisch von der Schule, war 18 Jahre alt
und Atheist. Dass seine erste Job-Zusage von einem christlichen Verlag in Nanjing
kam, bereitete ihm kein Kopfzerbrechen, schließlich druckt APP doch – so erklärt er
das heute, 27 Jahre später, seinem Sohn – ein ausgesprochen berühmtes Buch, das die
Kultur und die Werte vieler Menschen prägt: die Bibel nämlich. Was Lei Liu 1986 nicht
ahnte, war, dass sich dieser Verlag zur wichtigsten Bibeldruckpresse der Welt entwickeln
würde, mit über 600 Angestellten und einer Jahresproduktion von zwölf Millionen Bibeln
in über neunzig Sprachausgaben, verbreitet in siebzig Ländern.
Lei Liu ist
immer noch Atheist, auch wenn er mittlerweile als APP-Generaldirektor fungiert. Er
kennt die Statistik zur Verbreitung des Christentums in China, die die Pekinger Regierung
für 2012 aufgestellt hat: Danach liegt die Zahl der Protestanten bei über 25 Millionen,
die der Katholiken bei sechs Millionen. Und in dieser Statistik sind „nicht-offizielle“
christliche Gruppen oder Verbände (Stichwort „Untergrundkirchen“) gar nicht berücksichtigt.
Weil das Christentum im Reich der Mitte immer stärker wird, sind in China zwischen
1987 und 2012 mehr als 105 Millionen Bibeln gedruckt worden, davon sechzig Prozent
für den heimischen Markt und vierzig Prozent für das Ausland. Die Druckerpresse der
APP rotiert 24 Stunden am Tag ohne Pause; in den Magazinen liegen Millionen von Bibelausgaben
griffbereit, auslieferbar in jedem Teil der Welt. Sogar bei der Windsor-Hochzeit von
William und Kate 2011 kam eine Heilige Schrift aus Nanjing in Einsatz, die sogenannte
„King James“-Ausgabe.
Erlös geht an Bedürftige
Es war
ja auch eine britische Bibelgesellschaft gewesen (die „United Bible Societies“, UBS),
welche 1986 zusammen mit der „Amitiy Foundation“ die APP aus der Taufe hob. Bis heute
hält die UBS ein Viertel der Aktien und überweist auch ein Viertel ihres Umsatzes
an „Amity“. Asiens laut „Global Times“ modernste Druckerei steht auf der grünen Wiese
bei Nanjing, auf 87.000 Quadratmetern werden hier zehn bis zwölf Millionen Bibeln
im Jahr gedruckt. Die 100-Millionen-Schwelle ist seit über einem Jahr überschritten;
dem Traum der Gründer, jedem chinesischen Christen eine Bibel in die Hand zu geben,
rückt APP immer näher. „Wir dienen auch christlichen Kirchen in der ganzen Welt, und
unser Erlös geht an die Bedürftigen in der Gesellschaft“, berichtet Quiu Zhonghui,
Vizepräsident des Aufsichtsrates.
An die zwölf Millionen Euro gehen jährlich
bei der APP an Spenden ein – Geld, das in Wohltätigkeitsprojekte im Schul-, Sozial-
und Gesundheitswesen sowie in Katastrophenhilfe gesteckt wird. Das Drucken von Bibeln
für das Ausland stieß zunächst auf einige Hindernisse: „Wir waren anfangs nicht in
der Lage, die Qualitätskriterien unserer ausländischen Kunden zu erfüllen“, so Lei
Liu. „Das hat einige Anstrengungen gekostet, und wir mußten eine Menge lernen, um
das hinzukriegen.“ 2003 wurden erst 0,6 Prozent der „Amity“-Bibeln ins Ausland exportiert,
neun Jahre später lag der Anteil schon bei siebzig Prozent. Im Bibelexport hat China
seinen asiatischen Hauptkonkurrenten, Südkorea, überrundet; doch die APP-Macher wissen
genau, dass sie in Indien, Brasilien und den Niederlanden noch viele Mitbewerber haben.
Zwar glaubt Liuan an weiteres Wachstum im Bibelexportmarkt, doch steigende Arbeitskosten
und die Yuan-Wechselschwankungen machen ihm immer mehr zu schaffen.
Ein
florierendes Exportgeschäft
Hinzu kommt auch vereinzelte Kritik in
westlichen Medien: Warum exportiert APP immer mehr Bibeln ins außerchinesische Ausland,
wo doch die Zahl der Christen in China selbst steigt und steigt? Und warum werden
die Heiligen Schriften aus Nanjing nur an Christen verteilt oder verkauft, die zu
einer der 60.000 staatlich anerkannten christlichen Gruppierungen im Land gehören,
wo doch die Zahl der sogenannten „Untergrundchristen“ offenbar sehr viel höher liegt?
Das sind Missverständnisse, sagt Liu dazu. „Der Umsatz aus unseren Bibelexporten wird
doch dazu genutzt, den Preis für die Bibeln auf unserem Inlands-Markt niedrig zu halten,
so dass sich jeder leicht eine Bibel leisten kann.“ Tatsächlich kostet eine APP-Bibel
in China nur zwei Euro. Aus Lius Sicht ist „Amity“ – die einzige Bibeldruckerei, die
eine offizielle Druckerlaubnis der Regierung vorweisen kann – „ein Zeugnis für die
Religionsfreiheit in China“.
Kleiner Schönheitsfehler: Bibeln sind nicht in
Buchhandlungen oder außerhalb der vom Regime anerkannten Kirchen zu erwerben. „Christen,
die auf dem Land wohnen, können sich deshalb nur schwer eine Heilige Schrift verschaffen“,
sagt Eugene Wood von der US-Organisation „Word for Asia“, die dem Kirchenrat von Jiansu
seit 1998 Bibeln abkauft, um sie in ländlichen Gebieten zu verteilen. Lei Liu gibt
zu, dass es in einigen Teilen Chinas schwer sein könnte, an eine Bibel zu kommen,
doch im Großen und Ganzen sei der Markt gesättigt.
„Wir würden uns wünschen,
dass unsere Freunde aus dem Ausland uns einmal besuchen kommen“, sagt Qiu Zhonghui
von der „Amity“-Stiftung. „Dann könnten sie selbst sehen, dass China die größte Bibeldruckerei
der Welt besitzt.“