Im westafrikanischen
Mali scheint die tiefe Krise der vergangenen eineinhalb Jahre vorbei Der Tuareg-Aufstand
2012 mit anschließendem Militärputsch, radikalislamischer Infiltration und zeitweiser
Terrorherrschaft ist offenbar überwunden, die Lage hat sich stabilisiert. Am Wochenende
wurde gewählt, und gesiegt hat die große Koalition, also die Partei des Präsidenten
und ihre Verbündeten. Wir sprachen mit Hannes Stegemann, Projektreferent Afrika bei
Caritas International in Freiburg, der das Land seit 40 Jahren kennt und soeben von
einer Reise nach Mali zurückgekehrt ist. Das Wahlergebnis ist aus seiner Sicht ein
weiterer Schritt hin zur Normalisierung nach den Ereignissen von 2012.
„Es
war ein notwendiger Schritt. Man soll jetzt die Parlamentswahlen auch nicht überbewerten.
Parlamentswahlen in Mali waren auch vor der Krise nicht sehr populär, weil die Bevölkerung
den Eindruck hatte, dass es immer dieselben Leute sind, die man eben aus der Vergangenheit
schon kennt, die Postenhandel betreiben. Und von daher haben eben auch nur 37 Prozent
der Bevölkerung gewählt. Aber nichtsdestotrotz war es eben eine wichtige Etappe auch
in Bezug auf das Verhältnis zur internationalen Staatengemeinschaft und dem Wiederanlaufen
von offizieller Entwicklungshilfe, diesen Schritt gemacht zu haben.“
Nordmali
hat ja in den letzten eineinhalb Jahren eine sehr schwere Krise durchgemacht. Eine
Zeit lang drohte das ganze Land in den Islamismus abzugleiten. Sie kommen ja gerade
aus Mali zurück. Was ist von der kritischen Lage noch zu spüren?
„Man spürt
natürlich nach wie vor, dass diese Krise das Land, das gesamte Land, natürlich auch
enorm ökonomisch gelähmt hat. Die Krise, das heißt die schleichende Übernahme von
zugewanderten islamistischen Milizen, Dschihadisten im Norden Malis, begann eigentlich
schon 2003, wurde dann aber auch von der internationalen Staatengemeinschaft mit zu
wenig Aufmerksamkeit bedacht. Und diese Krise eskalierte dann, auch in der Folge des
Libyenkriegs, der Rückkehr von schwerbewaffneten Tuaregsöldnern, die im Dienste von
Gaddafi standen, die dann versucht haben, ihren eigenen Tuaregstaat im Norden Malis
auszurufen. Dann gab es eben diese unheilvolle Verbindung mit al-Quaida und anderen
islamistischen Gruppen. Und das hat dann eben zu dieser, zu dem extrem schweren Jahr
2012 geführt, wo eben die Hälfte Malis von Islamisten besetzt war. Aber das ist nicht
aus dem Nichts heraus entstanden. Das hatte eben acht, neun Jahre Vorlauf und daraus
muss man eigentlich jetzt die Lehren ziehen.“
Manche sagen ja, Mali sei
trotz aller Armut, trotz aller Herausforderungen, heute ein Positivbeispiel, weil
es gelungen ist, eben diese islamistische Gefahr zu bannen. Würden Sie dem so eins
zu eins zustimmen?
„Ich denke, es gilt zu betonen, dass der Islam Malis
schon immer ein sehr toleranter Islam war. Von Lehrmeinungen eher aus dem marokkanischen
Raum beeinflusst und nicht aus dem, im Gegensatz dazu, saudi-arabischen Raum. Was
Muslime in Mali die letzten Jahre mit Sorge beobachtet haben, sind natürlich Zuwanderung
von Wahhabiten aus dem saudi-arabischen Raum. Aber ich denke, der traditionelle tolerante
Islam in Mali ist so fest verwurzelt, dass die malische Gesellschaft mit dieser Bedrohung
umgehen kann, selbst klar kommen kann. Der andere Aspekt ist natürlich der militärische.
Da hat die internationale Staatengemeinschaft sehr lange, zu lange zugesehen, wie
diese zugewanderten Milizen den Norden übernommen haben. Und natürlich ist die malische
Bevölkerung nach wie vor sehr dankbar dafür, dass die Franzosen dann schließlich quasi
im Alleingang gesagt haben ‚Bis hierhin und nicht weiter‘ und den weiteren Vormarsch
der Dschihadisten gestoppt haben. Auf der anderen Seite müssen die Franzosen jetzt
natürlich aufpassen, dass ihr positives Image in der Bevölkerung nicht ins Kippen
kommt über doch merkwürdige Allianzen, die Frankreich mit der Tuareg-Rebellion im
Norden schmiedet.“ Was meinen Sie damit?
„Es stößt den Maliern unangenehm
auf, dass Frankreich insbesondere im nördlichen Gebirge die MLA, eine Tuareg-Unabhängigkeitsbewegung,
nicht entwaffnet. Auch verhindert dass die malische Administration und malische Armee
dort wieder Position bezieht, um die Einheit Malis sicherzustellen. Es wird viel in
Mali darüber spekuliert, warum die Franzosen das tun, was der Hintergrund sein könnte.
Es ist aber auf jeden Fall ein unklares Spiel, was dort politisch getrieben wird.“
Sie
haben bei Ihrer Reise in Mali jetzt sicherlich mit sehr vielen Menschen gesprochen.
Was ist Ihr Eindruck, was brauchen und wünschen sich die Leute nach dieser überstandenen
Krise am meisten?
„Die Leute wünschen sich, dass der Frieden erhalten bleibt.
Nach so einer Krise hat man immer noch Angst, dass man noch nicht ganz aus der Krise
raus ist, dass die Situation wieder kippen kann. Aber grundsätzlich wünschen die Leute
sich, dass der Frieden dauerhaft ist, dass die Einheit Malis erhalten bleibt und vor
allen Dingen, dass es auch ökonomisch wieder vorangeht. Die Leute wollen ihre Felder
bestellen, wollen arbeiten, wollen Geld verdienen. Und in der Hinsicht ist natürlich
für die internationale Gemeinschaft enorm viel zu tun in Mali und es ist eben auch
wichtig, dass man aus dem militärischen Denken herauskommt und jetzt wieder in Richtung
humanitäre Hilfe und Entwicklungshilfe denkt.“
Die Caritas unterstützt
auch ein interessantes Friedensprojekt in Mali. Wie sieht das aus?
„Es war
für unsere lokalen Partner in Mali sehr früh sehr wichtig im Norden Malis auch an
der Aussöhnung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu arbeiten, weil die islamistische
Besatzung natürlich versucht hat, traditionelle ethnische Konflikte im Norden zu ihren
Zwecken zu nutzen, weil natürlich die nicht geflohene Bevölkerung gezwungen war,
auf die eine oder andere Weise sich mit der islamistischen Besatzung zu arrangieren.
Was dann im Nachgang des Konfliktes natürlich häufig und leichtfertig auch als Zusammenarbeit
oder Kooperation mit den Islamisten ausgelegt wurde und es zu Racheakten nach der
Befreiung des Nordens kam. Und da hat unser lokaler Partner in Mali, der die Region
sehr kennt dort oben im Norden, auch in den wichtigsten Städten Büros hat, sehr früh
daran gearbeitet, die Vertreter der verschiedenen Volksgemeinschaften zusammenzubringen,
um in einem langangelegten Dialogprozess zu analysieren, was ist wirklich passiert,
warum ist es passiert, um zu versuchen über so ein Dialogprogramm diese erste verständliche
Rachereaktion zu überwinden.“
Sie kennen Mali jetzt seit 40 Jahren. In
welche Richtung hat sich in diesen 40 Jahren das Land verändert oder hat es sich im
Prinzip gar nicht verändert?
„Doch es hat sich verändert. Es ist ein moderneres
Land heute als vor 40 Jahren, es hat eine bessere Infrastruktur, die Wasser-Strom-Versorgung
ist besser, die Ernährungslage ist besser. Dennoch bleibt es eben ein armes Land,
dennoch bleibt es ein in erster Linie landwirtschaftlich orientiertes Land. Man kann
natürlich noch vieles im Bereich Handel, Industrialisierung und dergleichen verbessern,
aber es hat sich natürlich vieles in den letzten 40 Jahren in positiver Hinsicht getan.“