Unser Buchtipp: Pancratius Pfeiffer, General ohne Waffen
Der Papst, der Ordensgeneral
und die Juden: Als der Zweite Weltkrieg in Italien Einzug hielt und die Nazis Rom
besetzten, war es ein deutscher Pater, der ungezählte Menschen aus den Fängen seiner
Landsleute befreite. Pancratius Pfeiffer, der General des Salvatorianerordens. Über
den hochherzigen, gewitzten und papsttreuen Bayern in Rom liegt nun eine neue Biografie
vor. Der Historiker Stefan Samerski hat sie geschrieben.
„Wenn man einen
Tag in der ersten Jahreshälfte 1944 nimmt: Er ging erstmal hinauf auf den Gianicolo
und hat den Schwestern die Messe gehalten. Dann kam er zurück und es wartete bereits
eine Schlange von Menschen, die ihm Zettel zusteckte und ihm die Bitten vortrugen,
Verwandte Bekannte Freunde freizulassen. Er machte sich immer Notizen in sein Büchlein
oder auf Zetteln. Vermutlich einmal am Tag ist er in Spitzenzeiten zu den deutschen
Behörden gegangen, das heißt in die Via Tasso, wo das Gestapo-Gefängnis war und hat
da mit Kappler gesprochen. Einmal am Tag oder einmal die Woche, wir wissen es nicht
genau, ist er ins Staatssekretariat gegangen, wir haben Zettel aus dem Staatssekretariat
mit Namen und Anliegen, die er in der Via Tasso vorgelegt hat, um Leute herauszubekommen.“
Es waren die neun intensivsten Monate im Leben des Pater Pancratius Pfeiffer.
Die Nationalsozialisten besetzten Rom am 10. September 1943 und blieben bis zur ihrer
Vertreibung durch die Alliierten am 4. Juni 1944. Pater Pancratius geriet sehr bald
nach Beginn der Nazi-Präsenz in Rom in die Lage des Vermittlers. Warum gerade er?
Den Anstoß gab ein geographischer Zufall. Das Mutterhaus des Salvatorianerordens lag
– und liegt bis heute – zwei Schritte vom Petersplatz. Dort, auf der Staatsgrenze
zwischen Italien und dem neutralen Vatikanstaat, patrouillierten sofort deutsche Wehrmacht-Soldaten.
„Es war im September noch sehr heiß, und so fragten sie im Vatikan um Erfrischungsmöglichkeiten
an. Der Vatikan verwies sie an die nächstgelegenen Deutschen. So sandte man diese
Soldaten zu den Salvatorianern. Man half ihnen, stellte ihnen sogar eine kleine Schreibstube
im Parterre des Mutterhauses zur Verfügung, und als der Stadtkommandant eine Inspektionsfahrt
in die Nähe des Petersplatzes machte, ging er ins Mutterhaus, um dem Ordensgeneral
zu danken.“
Bei aller Hilfsbereitschaft: Der braunen Ideologie konnte Pater
Pancratius nicht das mindeste abgewinnen. Einmal setzte er einem deutschen Journalisten
bei einem Vier-Augen-Gespräch sachlich, ruhig und gelassen auseinander, warum die
katholische Morallehre im Extremfall einen Tyrannenmord billigen würde, also ein Attentat
auf Hitler. 70 Jahre alt war Pater Pancratius Pfeiffer, als seine Landsleute Rom besetzten.
Ein hagerer, asketischer Mann, der allerdings nur auf Fotos streng aussieht.
„Er
war geschult und hatte ein sympathisches Wesen, lachte gern und war immer ansprechbar.“
Diskret und bescheiden war er überdies. Ein geschickter Verhandler. Im
Vatikan wurde der aus dem Allgäu stammende Ordensobere sehr geschätzt. Er hatte ein
Amt in der päpstlichen Präfektur innegehabt und an der päpstlichen Diplomatenschule
Deutsch unterrichtet, wo er viele junge Priester kennenlernte, die später im Vatikan
Verantwortung übernahmen. Kurz, Pater Pancratius war der ideale Mann, um zwischen
Besatzern und Papst zu vermitteln.
„Es gab verschieden andere Deutsche,
die in Frage gekommen wären, etwa der Rektor der Anima Hudal, der hatte sich aber
schon positioniert mit einer gewissen nationalsozialistischen Nähe. Pancratius war
ein unbeschriebenes Blatt. Er war auch für die deutschen Behörden ein Unbekannter
und genoss von Anfang an das Vertrauen von Pius XII. Der Papst schenkte besonders
in der Zeit der deutschen Besetzung nur wenigen Vertrauen, und er zog diesen Pater,
der diskret und streng weisungsgebunden seine Arbeit ausführte, gerne zu solchen Diensten
heran, weil er eben kein stadtweit bekannter Mann war.“
Warum aber akzeptierten
Hitlers Männer in Rom überhaupt die Vermittlung eines Paters? Was gab es da zu vermitteln?
Eine Diktatur auf dem absteigenden Ast, die ihre Schlachten schlägt, aber ihre Niederlage
bereits absehen kann. Rom freilich ist ein besonderes politisches Pflaster. Die Italiener
schauen auf den Papst. Ein anderes Oberhaupt ist in Rom nicht mehr vorhanden: Mussolini
hat abgedankt, sein Nachfolger Badoglio hat sich gemeinsam mit dem König flüchtend
Richtung Süden abgesetzt, nur noch der Papst ist da und hat nicht die geringste Absicht
sich entfernen zu lassen. Pius XII., gebürtiger Römer, notorischer Nazigegner, ist
der Mann, auf den Italien blickt und zählt. Das wissen auch die Deutschen. Wie Stefan
Samerski ausführt, schreibt die deutsche Militärführung in Rom der Kirche und dem
Papst großen Einfluss auf die Volksmassen zu. Gleichzeitig rücken die Alliierten näher,
Rom hungert, und die Deutschen haben viel zu wenig Mann hier. Einen Aufstand können
sie nicht riskieren. Deshalb wollen sie vermeiden, die Kirche und den Papst übermäßig
zu erzürnen. Und deshalb tut sich ein Verhandlungsspielraum auf. Groß ist er nicht,
aber Pater Pancratius und der Papst werden ihn nutzen. Die erste und bedeutendste
Aktion ist jene nach der Judenrazzia in Rom vom 16. Oktober 1943. Mehr als 1.250 römische
Juden werden an jenem Sabbat gefasst und in die Kadettenschule gebracht. Von dort
geht es zwei Tage später direkt nach Auschwitz ins Gas. Doch in diesen zwei Tagen
lassen die deutschen Henker mehr als 200 Juden wieder frei. Noch am Tag der Razzia
schickt Pius XII. Pater Pancratius Pfeiffer in die Kadettenschule zum Verhandeln,
wie Samerski herausfand.
„Er ist da hingegangen und hat mit den Verantwortlichen
gesprochen. Wie kriegt man Leute frei? Indem man für die eigenen Leute argumentierte.
Das erste Argument, das er ins Feld führte war die Freilassung von getauften Juden.
Wenn er sagte, das sind unsere Leute, getaufte Juden, Katholiken, für die setze ich
mich ein im Namen des Heiligen Stuhles, dann war das ein Argument, und wir gehen davon
aus, dass er dadurch zahlreiche Leute gerettet hat.“
Ähnliche Aktionen
wiederholten sich in kleinerem Stil. Pancratius ging und half. Gleichzeitig spielte
er eine wichtige Rolle bei der geheimen Öffnung römischer Klöster für Juden, die sich
nun zu Tausenden dort versteckten, um der Deportation zu entgehen.
„Pancratius
Pfeiffer war zu dieser Zeit fast 50 Jahre in Rom und kannte seine Kollegen. Er hatte
einen guten Kontakt zum Staatssekretariat und zum Papst, und er wusste um die Haltung
des Vatikans und hat die auch weiter transportiert gegenüber seinen Kollegen, die
Oberen andere Orden, um zu sagen, der Papst möchte, dass die Klöster und Kirchen geöffnet
werden sollten und geöffnet bleiben.“
Auch sein eigenes Kloster öffnete
Pancratius Pfeiffer, das Mutterhaus des Salvatorianerordens. Zwischen zehn und 40
Personen fanden dort Unterschlupf. Pancratius Pfeiffer starb im Mai 1945 bei einem
Autounfall. Wie vielen Menschen er in den neun Monaten der nationalsozialistischen
Besetzung Roms das Leben gerettet hat, ist nicht herauszufinden, aber es müssen mehrere
Hundert gewesen sein. Stefan Samerski hat dem Wirken des „Generals ohne Waffen“ mit
seinem aus vielen Quellen gespeisten Werk ein würdiges Denkmal gesetzt.
Die
Angaben zum Buch: Stefan Samerski: Pancratius Pfeiffer, der verlängerte Arm
von Pius XII. Der Salvatorianergeneral und die deutsche Besetzung Roms 1943/44. Verlag
Ferdinand Schöning, ca. 30 Euro.