Vorhof der Völker: „Da muss man ganz schön das Gehirn einschalten“
Mit einer Eucharistiefeier
ist am Donnerstagmittag in Berlin der „Vorhof der Völker“ zu Ende gegangen. Hunderte
von Kirchenleuten, Wissenschaftlern und Künstlern hatten seit Dienstag in der deutschen
Hauptstadt, in der eine Mehrheit der Bevölkerung konfessionslos ist, über das Miteinander
von Glaubenden und Nichtglaubenden diskutiert. Stefan Kempis berichtet.
Mittwochnacht
im Bode-Museum von Berlin: Zwei seltsame Prozessionen ziehen durch das dunkle Gebäude
auf der Museumsinsel, eine Prozession der Glaubenden und eine der Nichtglaubenden.
Die beiden Gruppen sind bunt gemischt: Berliner Schüler, Professoren, Kulturschaffende,
Kirchenleute und natürlich einige als Pilger getarnte Journalisten. Vielleicht sieht
ja auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in der Nähe wohnt, die Lichter im Museum
herumhuschen. Die Kunstaktion lässt keine Zuschauer zu, sondern nur Beteiligte. Sie
gehört zum „Vorhof der Völker“, dem Vatikan-Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden.
Kurienkardinal Gianfranco Ravasi läuft übrigens – das Los hat das so entschieden –
in der Prozession der Nichtglaubenden mit.
„Glaube und Kunst sind Schwestern“:
Diese Losung hatte Ravasi am Mittwochnachmittag ausgegeben, bei einer Debatte im Deutschen
Theater. Dabei hatte der Denkerkardinal sich auf einen Satz von Paul Klee bezogen:
„Glaube
und Kunst geben nicht das Sichtbare wieder, sondern machen das Unsichtbare sichtbar.
Henry Miller, der „anstößige“ Autor des Werkes „Wendekreis des Herbstes“, behauptete
in seinem Aufsatz „Die Weisheit des Herzens“, dass die Kunst wie die Religion „nichts
lehrt, es sei denn, den Sinn des Lebens zu offenbaren“. Und das ist sicherlich nicht
wenig. Selbst die Liturgie hat eine dramatische Dimension, wie aus ihrer Ritualität,
dem Bühnenbild des Gotteshauses, den Gerätschaften, den Gewändern und Handlungen ersichtlich
ist. Sie ist gleichzeitig numen und lumen, das heißt Mysterium, Transzendenz und Heiligkeit,
aber auch Licht, Sichtbarkeit, Inszenierung und Ergreifung der Sinne.“
Auf
eben diese Ergreifung der Sinne sind auch die Regisseure der nächtlichen Museumswanderung
aus. Schauspieler stehen neben Skulpturen oder Gemälden mit religiösem Inhalt, einem
pfeildurchbohrten heiligen Sebastian zum Beispiel, ringen die Hände und deklamieren
immer wieder Fragen: „Wieso? Warum eigentlich? Weshalb denn?“ Eindringliche, lebende
Bilder. Die Schauspielerin Sophie Rois von der „Volksbühne“ führt den Zug der Glaubenden
an; sie bleibt vor drei Kunstwerken stehen, hier zum Beispiel vor dem Gemälde „Adam
und Eva“ von Lukas Cranach, und erzählt, was ihr bei diesem Anblick so durch den Kopf
geht.
Einige der Berliner Schüler werden hinterher sagen: „Das fanden wir verwirrend.“
Oder: „Das war etwas zu einseitig auf das Christentum ausgerichtet.“ Tatsächlich sind
auch einige junge Muslime, und Musliminnen mit Kopftuch, in der Prozession der Glaubenden
dabei. Alle lauschen für einen Moment in der Dunkelheit Musikern, die eigens für den
„Vorhof“ komponierte Stücke aufführen. Die Kunstaktion ruft alle Sinne auf.
Am
Schluss mischen sich die beiden Prozessionen symbolträchtig, und Kardinal Ravasi lädt
mit einer Geste der „Grandezza“ alle Teilnehmer nach Rom ein: Er träume davon, die
beiden Prozessionen noch einmal unter den Kolonnaden des Petersplatzes, links und
rechts, zu wiederholen, auf St. Peter zu.
Dass Glaube und Kunst eng zusammengehören
(so eng wie Glauben und Nichtglauben), war schon am Nachmittag bei der Debatte im
Deutschen Theater klargeworden. Theater und Kirche seien doch „die einzigen Orte,
wo die Leute einfach nur dasitzen und den Mund halten“, behauptete der Moderator.
Das Theater sei, so wurde Friedrich Nietzsche zitiert, „aus dem Tempel entstanden“,
und darum würden sich beide nie „aus den Augen verlieren“. Kardinal Ravasi übrigens,
dem ein neuer Bund zwischen Kirche und Kunst vorschwebt, schimpfte im Deutschen Theater
über moderne Kirchen in Neubauvierteln, „die sakralen Garagen ähneln, in denen Gott
geparkt ist und die Gläubigen in Reih und Glied aufgestellt werden“.
Viele
anregende Debatten, viele Fragen, kaum Antworten – so sah der „Vorhof der Völker“
in der säkularen deutschen Hauptstadt aus. „Da muss man ganz schön das Gehirn einschalten“,
kommentierte Pater Hans Langendörfer, der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz.
Und er erzählt, viele hätten ihm gegenüber den Wunsch nach Fortsetzung, nach einem
Weiterdreh dieses Dialogs geäußert. Da müsse man sehen, was sich machen ließe. Nach
den Berliner Veranstaltungen, als die Mikrofone ausgeschaltet waren und die Schnittchen
kamen, haben die Glaubenden und die Nichtglaubenden jedenfalls ihre Gespräche immer
intensiv fortgesetzt.