Kampf gegen AIDS in Afrika: „Mehr Sensibilität für Gewalt gegen Frauen“
Gewalt gegen Frauen
und deren soziale Benachteiligung sollten im Kampf gegen AIDS stärker berücksichtigt
werden. Auch die Kirche könne in Sachen HIV ihr Potential besser nutzen, besonders
bei der Vorbeugungs- und Aufklärungsarbeit. Das betont mit Blick auf Afrika die Entwicklungshelferin
und Ärztin Marlies Reulecke vom Missionsärztlichen Institut Würzburg. In Afrika seien
58 Prozent aller HIV-Infizierten Frauen. Bei jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren
sei der Anteil noch höher, erklärt die Expertin im Gespräch mit Radio Vatikan.
„In
dieser Altersgruppe sind drei Mal so viele Frauen wie Männer betroffen. Das liegt
an der niederen wirtschaftlichen und soziokulturellen Stellung der Frauen dort: Frauen
sind ärmer, sie haben oft keine Entscheidungsfreiheit, auch einen niederen Bildungsstand.
Und das wirkt sich dann auch auf HIV aus. Es gibt eine Studie, die zeigt, dass nur
30 Prozent der jungen Frauen umfassend und korrekt über HIV informiert sind.“
Reulcke
ist vor allem in der Demokratischen Republik Kongo tätig. Bei ihren Einsätzen sieht
sie, was die soziale Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen in vielen Ländern
Afrikas anrichtet. So sei etwa auch der Zugang der Frauen zu Information und ärztlicher
Behandlung stark eingeschränkt.
„Einmal haben sie vielleicht gar kein Geld
für den Transport – die Zentren sind ja nicht gerade da, wo die Frauen leben. Oder
ihr Mann erlaubt es ihnen nicht hinzugehen, oder sie haben keine Zeit, weil sie sich
um Kinder und Haushalt kümmern und das Feld bestellen müssen. “
Es komme
auch „wirklich oft“ vor, dass Frauen von ihren Männern geschlagen würden, wenn sie
erführen, dass sie AIDS haben, so Reulecke. Deshalb scheuten sich viele Frauen, einen
AIDS-Test zu machen. Bei der Übertragung des HI-Virus spiele zudem sexuelle Gewalt
eine wesentliche Rolle:
„Da gibt es zum Beispiel eine Studie aus Swasiland,
die zeigt, dass 40 Prozent aller Mädchen, also unter 18 Jahren, schon Opfer von sexueller
Gewalt geworden sind. Damit steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit, sich mit HIV
zu infizieren um mindestes 50 Prozent an.“
Reulecke berät kirchliche Organisationen,
die in Afrika im Kampf gegen AIDS engagiert sind, bei der Planung und Durchführung
von Projekten. Bei der Behandlung und Versorgung Betroffener vor Ort sei die Kirche
„sehr gut gerüstet“, lobt sie. In der kirchlichen Präventionsarbeit würden jedoch
häufig „Chancen vertan“, so die für das katholische Institut tätige Ärztin.
„Gerade
wenn es um Faktoren geht, die das Verbreiten von HIV unter Frauen fördern, müsste
sich die Kirche – so meine ich – sich noch etwas stärker engagieren. Zum Beispiel
wenn es um das Thema Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und damit auch verbunden
Gewalt gegen Frauen geht, dann sehe ich eben gerade in Afrika, dass dieses Problem
von kirchlichen Repräsentanten nicht genügend wahrgenommen wird.“
Auch
teilweise nicht einmal als Problem, berichtet Reulecke weiter:
„Viele afrikanische
Männer, und da sind Priester dann auch eingeschlossen, erwarten von Frauen Unterordnung.
Das ist (für sie, Anm. d. Red.) etwas ganz Normales: ,Frauen müssen Männern gegenüber
gehorsam sein‘. Und wenn das dann mit Gewalt eingefordert wird, dann scheint auch
das akzeptabel. Das ist (in der Meinung dieser Kirchenvertreter, Anm. d. Red.) nichts,
wo sich die Kirche oder die Priester irgendwie einsetzen müssen. Es wird dann einfach
geschwiegen, statt sich für Frauen einzusetzen.“
Bei der Betreuung betroffener
schwangerer Frauen beschränke sich die Hilfe vieler Stellen oftmals nur auf die Frage,
wie man die Übertragung des Virus auf das ungeborene Kind verhindern könne, bemängelt
Reulecke weiter. Die weitere Familienplanung werde ausgeklammert. Das habe sie in
Afrika bei kirchlichen wie staatlichen Stellen beobachtet.
„Dass man sich
einfach diesen Aspekt herausnimmt: ,Ok, die Frau kommt, wir müssen jetzt alles tun,
damit das Kind nicht infiziert wird‘, und danach wird die Frau entlassen. (...) Sehr
oft ist es dann auch so, dass gar nichts angeboten wird, also auch keine natürliche
Familienplanung.“
Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga hatte zum Welt-AIDS-Tages
am kommenden 1. Dezember betont, das Ziel, Neuinfektionen zu verhindern, könne wesentlich
nur durch Treue und das Einschränken sexueller Aktivität erreicht werden. Auf sexuelle
Gewalt gegen Frauen ging der Präsident von Caritas Internationalis nicht direkt ein.
Marlies Reulecke würde es gern sehen, dass die Kirche bei der Hilfsarbeit in Afrika
nach den tieferen Ursachen der Übertragung des HI-Virus fragt und dabei die Gewalt
gegen Frauen beim Namen nennt.
„Zum Beispiel: Warum sind denn Frauen so
viel mehr betroffen? Was macht denn Armut mit den Menschen und mit den Frauen? Wie
kommt es denn dazu, dass Gewalt gegen Frauen zunimmt oder immer noch da ist? Diese
Themen müssen wirklich in die Diskussion eingebracht werden. Und wenn ich dann auf
dem kirchlichen Niveau bin, dann würde ich mir wünschen, dass Priester auch sonntags
einmal drüber predigen und diese Themen ansprechen, und dass man da nicht einfach
so drum herum redet. (…) Ich denke, da muss drüber geredet werden, sonst wird sich
wenig ändern!“
Bei dieser Sensibilisierungsarbeit könne die Kirche ihr
weit verzweigtes Netz „auf allen Ebenen der Gesellschaft“ noch viel besser nutzen,
findet die Beraterin. Etwa bei der Präventionsarbeit mit Jugendlichen in afrikanischen
Schulen. Reulecke nennt ein Beispiel:
„Mädchen müssen lernen, Nein zu sagen,
zum Beispiel, wenn sie zu Sex aufgefordert werden. Wenn so ein Mädchen von klein auf
verinnerlicht hat, ich bin ja minderwertig Männern gegenüber, dann fällt ihr das ganz
schwer, dann muss sie erst lernen, dass sie auch Nein sagen kann. Jungen wiederum
müssen lernen, dass Frauen gleichwertig sind, dass man sie schätzen kann, damit sie
ihnen eben später keine Gewalt antun. So etwas kann man eben alles in diese Programme
einbauen, und da setzen wir unsere Beratungstätigkeit an.“