Vatikan-Dialogfachmann Weninger über Gespräche mit den Muslimen
In welchem Verhältnis
stehen Religionen und Traditionen zur Zivilgesellschaft? Welche Spannungen treten
auf, welche möglichen Auswege könnte die katholische Kirche aus solchen Spannungen
aufzeigen? Darum geht es nächste Woche bei der Vollversammlung des Päpstlichen Rates
für den Interreligiösen Dialog. Es ist die erste Plenarsitzung seit fünf Jahren. Erstmals
dabei ist der Wiener Priester Michael H. Weninger, der dem Rat seit einem Jahr angehört
und dort die Agenden des Dialogs mit dem Islam verwaltet. Wir stellen Ihnen diesen
in seinem Lebenslauf höchst atypischen Priester vor, der 30 Jahre lang Diplomat der
Republik Österreich war, mit 60 Jahren die Priesterweihe empfing und auch heute noch
zwei goldene Eheringe trägt: Weninger ist verwitwet.
Michael Weninger blickt
nach Wien. Nicht immer und nicht ausschließlich, aber in diesen Tagen gleichsam mit
dem Interesse eines Vaters. Am Dienstag ist eine große Konferenz des Wiener König-Abdullah-Dialogzentrums
für interreligiösen und interkulturellen Dialog zu Ende gegangen. Das Zentrum entstand
großteils dank saudi-arabischer Mittel und öffnete 2012 seine Pforten. Die Vorarbeiten
dafür liefen damals unter Federführung des international erprobten Diplomaten Michael
Weninger, der im Wiener Außenministerium die Abteilung für Wissenschaftsdiplomatie
und den Dialog mit den Religionen und Kulturen leitete. Das Zentrum ist nicht einfach
ein weiterer lobenswerter Zirkel zum interreligiösen Gedankenaustausch. Was innovativ
daran ist, erklärt Weninger so:
„Es handelt sich bei diesem Zentrum in
Wien um eine internationale Organisation, das ist ganz entscheidend. Gründer sind
Völkerrechtssubjekte, also Staaten, zunächst drei: Saudi-Arabien, Österreich und Spanien,
wobei der Heilige Stuhl – auch das ein Novum – „Founding Observer“ ist, also Gründungsbeobachter,
eine ganz neue Formel, die zeigt, wie modern und effizient der Heilige Stuhl in diesen
Fragen denkt. Dieses Zentrum steht als sehr gut gelungenes Baby auf schwankenden Füßen
und muss gehen lernen. Dass es gut gehen lernt und zu einer effizienten Persönlichkeit
wird, dazu müssen wir auch beitragen.“
Die ersten Schritte sehen weniger
tapsig aus, als man meinen könnte. Am Wiener Dialogzentrum sprachen soeben zwei Tage
lang 500 Religionsvertreter, Politiker und Fachleute über das „Bild des Anderen“ und
vereinbarten am Ende etwas überraschend Konkretes, nämlich ein Dialogtraining für
Imame, Muslimgelehrte und religiöse Oberhäupter. Das entspricht den Zielen des Zentrums.
Michael Weninger:
„Die Aufgabenstellung ist, ein Beitrag zu leisten zur
Verständigung zwischen den unterschiedlichen Religionen und Kulturen in der Weise,
dass man vorhandene Wissenslücken versucht durch Bildung, durch Austausch, durch Zusammenkünfte,
durch internationale Aktionen auszugleichen und hier ein vermehrtes Wissen über den
anderen anzubieten. Denn nur wenn man über den anderen mehr weiß, kann man ihm auch
entsprechend begegnen.“
Die Sorge zerstreuen
Stichwort
Wissen übereinander: Mancherorts war die Sorge aufgekommen, das König Abdullah Aziz
Dialogzentrum sei eine Art trojanisches Pferd des wahabitischen Islam, also der besonders
strengen Auslegung des Koran, die in Saudi-Arabien beheimatet ist. Weninger gibt Entwarnung.
„Wir dürfen nicht übersehen, dass das Zentrum zum einen eine internationale
Organisation ist, zum anderen auf der Grundlage des Völkerrechts gegründet und mit
einer schlanken Struktur. Wir haben auf einer ersten Ebene die Mitgliederstaaten.
Auf der zweiten Ebene gibt es den so genannten Board of Directors, wo die Religionen
mit qualifizierten Persönlichkeiten vertreten sind. Unter diesem Board of Directors
sehen wir lediglich einen Vertreter der wahabitischen Tradition des Islams. Das sei
erwähnt, um die Sorge jener zu zerstreuen, die meinen, dass dieses Dialogzentrum in
Wien nun ein wahabitisches Missionszentrum sein könnten – nein, das kann es nicht
sein. Allein schon von der Struktur her und von der Aufgabenstellung her.“
Viele
Akteure im Gespräch zwischen Christen und Muslimen, aber nicht alle, wissen, dass
die Welt im interreligiösen Dialog keinen „Kuschelkurs“ gebrauchen kann. Nötig ist,
unterstreicht Weninger, „eine ernsthafte und profunde Auseinandersetzung zwischen
den Religionen. Allein bunte Luftballons steigen zu lassen und zu sagen, wir sind
ohnehin alle Brüder und Schwestern und haben uns alle so lieb, wie man das an allen
Orten sehen kann, ist absolut zu wenig.“
Konstruktive Konfrontation
Der
Priester und Diplomat bringt es auf die Formel „konstruktive Konfrontation anstelle
von Dialog“. Er nimmt damit die im Wortsinn gewaltigen Herausforderungen in den Blick,
die heute in Fragen der Religionskonflikte zu bewältigen sind.
„Es vergeht
kaum eine Woche, in der nicht Christen ermordet und Kirchen niedergebrannt werden.
Diese Dinge muss man auch ansprechen und auf die Tagesordnung bestimmter interreligiöse
Kontakte setzen.“
Gefragt nach eventuellen Grenzen im interreligiösen
Dialog, sagt Weninger:
„Als Diplomat und römisch-katholischer Priester
hätte ich keine Scheu, über jedes Thema zu sprechen, das von Partner gewünscht wird,
besprochen zu werden.“
Priester und Diplomat
Michael
Weninger ist Österreichs einziger Diplomat, der gleichzeitig Priester ist. Er ist
62 Jahre alt und empfing die Priesterweihe mit 60.
„Jawohl! Bestes Mannesalter.“
Ein klassischer Spätberufener? Im Gegenteil.
„Schon als kleiner
Bub wollte ich Priester werden! Da gab es ein Schlüsselerlebnis in der Volksschule.
Wir hatten eine ganz hervorragende Religionslehrerin, und eines Tages hat sie uns
von den Mönchen erzählt, von tapferen Männer, die in wilde Gegenden ausströmen und
in tiefen Wäldern roden und von klein an beginnen, Zivilisation zu schaffen. Das war
spannender als jeder Karl May, sodass ich gesagt habe, so ein toller Mann möchte ich
auch werden! Bin nach Hause gelaufen und habe von weitem schon meiner Mutter kundgetan,
Mutti, ich habe eine Beruf! Und die Mutter hat gefragt na was willst du denn werden?
Und ich habe im Brustton der Überzeugung gesagt, Priester möchte ich werden. „Brav!“
war die Antwort.“
Nach der Reifeprüfung studierte Weninger Theologie und
Philosophie, Ziel Priesterweihe, genaues Ziel: Nuntius, päpstlicher Botschafter, denn
gleichzeitig mit der Berufung zum Priester fühlte er die große Neigung zur Diplomatie.
„Allerdings hat mir der Heilige Geist ziemlich bald zu erkennen gegeben,
mit dem Priester wird es nichts. Aber Diplomat kannst du werden. Und so habe ich nach
meinen Studien die Diplomatenakademie in Wien absolvieren müssen, man hat mich dann
ins Außenministerium aufgenommen, ich bin mit sehr jungen Jahren Botschafter geworden.
Während dieser Zeit ist immer wieder der Wunsch bei mir gekommen, auch Priester zu
sein, sodass mich dieser Wunsch mein ganzes Leben lang begleitet hat. Abgesehen davon,
dass ich eingefleischter Junggeselle war, habe dann aber geheiratet, meine Frau ist
sehr jung und sehr rasch nach unserer Hochzeit verstorben, und nach dem Tod meiner
Frau war es klar, ich gehe aus dem diplomatischen Dienst weg und werde Priester.“
Diplomat
für die Republik Österreich
Ein seltener Fall von Doppelberufung und
Doppelqualifikation. In Weningers Wahrnehmung überschneidet sich beides. Jedenfalls,
so sagt er, musste er mit der Priesterweihe nicht komplett das Genre wechseln.
„Überhaupt
nicht. Einmal Botschafter, immer Botschafter. Zunächst waren es politische Botschaften,
und jetzt ist es halt die Frohe Botschaft! Aber auch bei politischen Botschaften ist
es gut, wenn man manchmal Grundlagen der Frohen Botschaft mit verknüpft.“
Diese
Erkenntis reifte gerade an Weningers Einsatzorten. Denn der Diplomat durchlief außerordentlich
heikle Stationen.
„Ich habe meinen Dienst oft dort versehen, wo Krieg war
oder Umstürze. So bin ich unter anderem während der gesamten Kriegszeit in Jugoslawien
Botschafter in Belgrad gewesen. Da waren religiöse Fragen mehrfach Thema, auch weil
es um die Nöte der Menschen gegangen ist. Ich kann mich an Flüchtlingsströme und viel
Elend erinnern, oder wenn es darum gegangen ist, Menschen in Gefängnissen zu betreuen
oder Sterbende, immer wieder im Umfang mit den Menschen selbst als Diplomat waren
religiöse Fragen immer auch ein Thema, bis hin zur Frage, wie verhalten sich die einzelnen
Religionen zueinander in diesen Umbruchsstaaten.“
Szenarien wie diese schärfen
den Blick für die Identität Europas. Sieben Jahre lang konnte sich Weninger in Brüssel
als Berater der Präsidenten der europäischen Kommission einbringen, wo er für den
Dialog mit den Religionen, Kirchen und Weltanschauungen zuständig war, erst unter
Prodi, dann unter Barroso. Der alte Kontinent präsentiert sich heute als religiös
weitgehend ausgebluteter Körper. Die Trennung von Kirche und Staat trägt daran keineswegs
Schuld, sagt Weninger, im Gegenteil, er sieht es ausdrücklich als „großen Erfolg“,
„der nicht zuletzt durch die römisch-katholische Kirche gelungen ist zu
erzielen, dass wir es mit einer Trennung von Kirche und Staat zu tun haben. Der Staat
ist ein säkularer Staat. Das heißt, er ist neutral den Religionen gegenüber, aber
nicht negativ den Religionen gegenübereingestellt. Und da sehen wir nun in den letzten
Jahren, dass der säkulare Staat von dieser neutralen Position Stück für Stück abrückt
und eigentlich aus einer falsch verstandenen politischen Korrektheit heraus mitunter
zu einer Beeinträchtigung der Religionen führt, zur einer Beeinträchtigung der religiösen
Praxis, in unserem Fall hier der Bürger in Europa, die Christen sind.“
Unvernünftig,
religiöse Wurzeln der Gesellschaft zu kappen
Das freiwillige Kappen
der christlichen Wurzeln ist aus Weningers Sicht unvernünftig. Er wirbt dafür, die
guten Seiten der Säkularisierung zu nutzen.
„Europa ohne Christentum ist
nicht zu denken. Wir müssen uns denke ich wieder mehr auf unsere Wurzeln besinnen.
Das heißt, und hier schließt sich der Kreis, wir müssen unser eigenes Profil wieder
schärfen. Wir müssen unserer eigenen Identität eingedenk werden. Wenn uns das gelingt
als Bürger und Gläubige, werden wir auch dem Staat gegenüber anders handeln können,
werden wir auch die politischen Möglichkeiten, die der säkulare Staat uns zur Verfügung
stellt, anders zu benützen imstande sein. Hier sehe ich eine neue Herausforderung
für konkret die gläubigen Christen in Europa, die Möglichkeiten, die ein säkularer
Staat bietet, für eine eigene Identität, aber auch für ein gelingendes Gespräch mit
den anderen zu nützen.“
Der Jugendtraum des Michael Weninger, päpstlicher
Diplomat zu werden, blieb damals mangels Priesterweihe unrealisiert. Vor zwei Jahren
aber empfing er das Sakrament der Weihe. Schlussfrage: Könnten Sie sich vorstellen,
jetzt noch in den päpstlichen diplomatischen Dienst zu wechseln, wenn Kardinal Schönborn
Sie ziehen lässt?
„Ich könnte mir viel vorstellen! Diplomatie habe ich immer
mit Liebe getan. Wo immer der Herr mich hinstellen will, dort will ich meinen Dienst
versehen. In dem Augenblick, als ich Priester geworden bin, war mir klar, Herr, dein
Wille geschehe.“