Werner Dahlheim: „Die Welt zur Zeit Jesu“. Eine Besprechung von Stefan Kempis
Die Welt zur Zeit
Jesu war vor allem eine römische Welt. Und darin kennt sich der Berliner Althistoriker
Werner Dahlheim, der zuletzt auch eine interessante Augustus-Biographie vorgelegt
hat, aus: Spektakulär, wie er das entstehende Christentum in das Panorama des „Imperium
Romanum“ einzeichnet, als ein ständig wachsendes Randphänomen. Dahlheim stellt anschaulich
viele Einzelaspekte des Lebens um die Zeitenwende vor, etwa das Programm in Theatern
und Stadien, die florierenden Mysterienkulte oder die Beziehungen zwischen Rom und
den Provinzen.
Besonders interessant wird es immer, wenn er auf die Synapsen
zum Christentum hin deutet. Die frühchristliche Darstellung Jesu als Wundertäter etwa
war, wie Dahlheim aufweist, unmittelbar anschlußfähig für die Menschen der Zeit, das
wird an der Biographie des „berühmtesten Heilands der Heiden“, Apollonius von Tyana,
exemplarisch durchdekliniert. Nur dass, wie der Autor bemerkt, ganz anders als im
Fall Jesu „niemand weiß, wo und wie der Wundermann aus Tyana starb“, dass ein Grab
„nirgends belegt“ ist und „kein Schüler seine Lehren predigte“.
Einmal spricht
Dahlheim von der „Sehnsucht“ vieler Städter „nach neuen sozialen Bindungen, die jede
Regung des Lebens von der Wiege bis zur Bahre erfassten“; diese habe das gängige Vereinsleben
nicht erfüllen können. An diesem Punkt nun zeigt er, wie die Christen in die Bresche
sprangen: Als die christlichen Gemeinden „den Widerwillen ihrer ersten Generation
gegen den Staat“ überwanden, eröffneten sie auch den „Reichen und Mächtigen“ die Möglichkeit
zu einem sozialreligiösen Rundum-Sinnpaket. „Die alte Welt des Forums und der Kurie“
wurde dabei „gleichwertig ersetzt durch die Gemeinde, den Klerus und den Thron des
Bischofs“, so Dahlheim. „Die Welt der Stadt mit ihren Aufgaben trat gegenüber dem
Dienst an einem Gott zurück, der eine eigene Form des Ruhms und er Unsterblichkeit
verhieß.“
Die Christen der ersten Jahrhunderte wirken in dieser Darstellung
auf einmal nicht als Aliens, sondern als Menschen ihrer Zeit, die keineswegs gefeit
waren vor dem verbreiteten Aberglauben und auch beim römischen Kaiserkult die eine
oder andere Anleihe machten. Ein umfassendes, gut lesbares und kenntnisreiches Panorama
einer ganzen Epoche, die uns Abendländler bis heute prägt.