D: „Unsere normale Medienwelt ist aus dem Ruder gelaufen“
Es begann mit hartnäckiger
Berichterstattung und Recherche, vor allem durch die FAZ und den Spiegel: Seit Monaten
wurde immer mal wieder berichtet und die Geschichten um den Flug des Bischofs von
Limburg nach Indien oder um das diözesane Zentrum ins Blatt gehoben. Großartig interessiert
hatte sich medial dafür eigentlich niemand. Bis in der vergangenen Woche mit dem Antrag
eines Strafbefehls gegen Bischof Tebartz-van Elst alle Medien auf die Berichte aufsprangen
und eine Berichtsflut begann, die ihresgleichen suchte. Darüber haben wir mit Alexander
Filipovic gesprochen, er hat an der Hochschule für Philosophie in München den Lehrstuhl
für Medienethik inne.
ARD Brennpunkt und ZDF Spezial, Sondermeldungen zum
Flug, dann doch nicht Flug und dann doch Flug, stündliche updates online, Titelseiten,
Talkshows: Das Bistum Limburg war DIE Geschichte in der vergangenen Woche. War das
gerechtfertigt?
„Zunächst muss man sagen, dass sich hier zeigt, dass der
Journalismus Gutes bewirken kann indem recherchiert wird, indem Dinge ans Licht kommen,
die unredlich sind und auch an die Öffentlichkeit müssen. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite ist sicherlich, dass hier überzogen wurde, dass sich Rudel gebildet
haben und dass hier eine Personalisierung des Falls vorgenommen wurde, die eigentlich
der journalistischen Praxis unwürdig ist. Es gibt so etwas wie eine Überberichterstattung,
die ja nun Gott sei Dank wieder abflaut.“
Woran liegt es, dass so viel Aufmerksamkeit
auf einen unbekannten Bischof eines unbekannten Bistums gerichtet wird?
„Mann
könnte sagen, dass die katholische Kirche immer noch auf ein großes Interesse trifft.
Das liegt sicherlich auch an unserem neuen Papst, der einen neuen Kommunikationsstil
und eine neue Art und Weise des Selbstverständnisses hat. Da ist natürlich so etwas
wie ein Gegenmodell zu diesem Papst ein gefundenes Fressen für die Journalisten. Da
stürzt man sich drauf und das wird dann auch stilisiert als genau der Gegenbegriff
zu einem armutszentrierten Selbstverständnis von Kirche hin zu einem – wie es formuliert
wird – prunksüchtigen Bischof. Das ist eine mediale Geschichte, die nur mit wenig
zutun schon ganz viele Bedürfnisse von Benutzerinnen und Benutzern befriedigt.“
Ist
die Berichterstattung aus dem Ruder gelaufen oder ist das Teil unserer normalen Medienwelt?
„Ich
glaube, dass unsere normale Medienwelt aus dem Ruder gelaufen ist. Was hier passiert
ist, die Personalisierung und auch die Pathologisierung dieses Menschen – da wurde
ja vermutet, dass er psychisch nicht in Ordnung ist – das befriedigt niedere Bedürfnisse
und ist eines Qualitätsjournalismus eigentlich nicht würdig. Ähnliche Geschichten
gab es bei [der Berichterstattung über den Bundespräsidenten] Wulff damals. Das heißt,
dass es Dinge sind, die in unserer Medienwelt durchaus häufiger anzutreffen sind.
Nichtsdestotrotz sind sie und bleiben sie kritikwürdig.“
Die Urteile sind
alle schon gesprochen, Bischof Tebartz-van Elst ist ein Protzbischof, Prunkbischof,
Lügner, Verschwender. Das Urteil ist medial schon gesprochen. Muss das so sein, im
Journalismus heute?
„Ich würde mir wünschen, dass das nicht so ist. Ich
wünschte mir mehr Reflexionsfähigkeit. Das ist diese Verselbstständigung, von der
ich gesprochen habe. Irgendwie fehlt es dann in so einem Prozess an Stimmen, die sagen,
‚Moment mal, was von uns Journalisten aus hier gerade passiert, das ist irgendwie
falsch und hat gar keinen Sachgrund mehr’. Natürlich muss darüber berichtet werden,
es ist ja auch gut, dass die Sachen ans Licht gekommen sind und natürlich darf und
muss so ein öffentlicher Mensch mit so einer Ausstattung und Macht wie ein Bischof
auch kritisiert werden, wenn da was nicht stimmt. Aber irgendwo in dem Prozess, wenn
der sich so verselbstständigt, wenn alles voll ist und man auf Karten lesen kann,
welches Auto Bischöfe fahren und wo sie wohnen, irgendwo muss mal jemand sagen ‚Moment
mal, da stimmt etwas nicht, hier überziehen wir.’ Das hat ja in den letzten zwei Tagen
ja auch schon begonnen. Aber wie Sie sagen, da waren die Urteile schon fertig.“
Überschießende
Erregungspotentiale
Wenn so etwas losgeht, ist das dann überhaupt
noch zu stoppen?
„Das ist ja so etwas wie ein ‚Shitstorm’, so heißen ja
diese überschießenden Erregungspotentiale, die wir vor allem von Twitter und den sozialen
Netzwerken her kennen. Vielleicht ist es so, dass der Journalismus sich selbst in
diesen Modus hinein begibt, dass sie sich willentlich von der Leine lassen, so lange
die Leute das lesen. Die Frage ist, wann da Schluss ist und ob wirklich nur dann Schluss
ist, wenn die Leute sich von den Inhalten abwenden, oder ob man auch schon vorher
sagen kann, dass man andere Themen vorzieht.“
Wie kann Kirche darauf reagieren?
„Jetzt
kann man kaum mehr darauf reagieren, die Fehler sind vorher gemacht worden indem verschleiert
wurde und herausgezögert wurde und nicht die Wahrheit gesagt wurde. Es wäre schonungsloseste
Offenheit bei den ersten Medienberichten notwendig gewesen und dazu ein professioneller
Kommunikationsberater. Für die Kirche ist das natürlich ein ganz schlimmer Fall, man
sieht daran, dass die katholische Kirche in Deutschland sich sehr schwer tut mit Krisenkommunikation.
Das liegt nicht zuletzt auch an der Struktur, weil die Bischöfe ihre eigenen Chefs
sind. Es gibt ja keine hierarchische Struktur unter den Bischöfen und keinen gemeinsamen
Pressesprecher, der Aufgaben auch für andere Bischöfe übernehmen könnte. Als Kirche
kann man nur darauf reagieren, indem man radikal transparent kommuniziert, niemals
auch nur den Verdacht aufkommen lässt, man würde etwas verheimlichen oder verschweigen.
Da muss sich Kirche dran gewöhnen, an diese radikal demokratische und horizontale
Kommunikationsweise der modernen Gesellschaft. Das trifft auf eine vertikale Kommunikationsweise
und da kommt es immer wieder zu Entzündungen. Man kann die Gewöhnung nur mit einem
Umstieg auf eine horizontale Kommunikationsweise schaffen. Das bedeutet nicht,
dass man bezüglich dieser Mediengesellschaft unkritisch ist. Ich glaube aber, wenn
man die Frohe Botschaft weitergeben will – und das ist letztlich eine kommunikative
Aufgabe – dann muss man die Bedingungen kennen, unter denen die Medien funktionieren
und sich darauf einlassen. In einem zweiten Schritt muss davon unabhängig dann
Medienkritik passieren.“