2013-10-16 13:09:26

Vor 70 Jahren: Judendeportation in Rom


RealAudioMP3 Die Deutschen kamen im Morgengrauen und nahmen alle mit, die auf ihrer Liste standen. Vor 70 Jahren, am 16. Oktober 1943, fand die große Judenrazzia in Rom statt. 1.024 Menschen wurden nach Auschwitz deportiert. Nur 16 kamen zurück. Mindestens 5.000 römische, italienische und ausländische Juden fanden derweil in Klöstern und anderen Kircheneinrichtungen Schutz. Es war Papst Pius XII. selbst, der die Öffnung dieser Einrichtungen anordnete. Elvira Di Cave ist Beiratspräsidentin der Jüdischen Gemeinde Roms und Oberärztin am Jüdischen Krankenhaus der Stadt. Sie erinnert sich folgendermaßen an den „schwarzen Samstag" vor 70 Jahren:

„Der 16. Oktober 1943 war der letzte Tag von Sukkot, dem Laubhüttenfest. Und es war Sabbat. Um 5:15 Uhr an jenem Morgen, es war ein regnerischer Tag, kamen die Deutschen mit Lastwagen und blockierten alle Zugangswege zum alten Ghetto. Sie begannen in die Luft zu schießen, um 5:30 Uhr drangen sie ein und es begann die eigentliche Razzia. In der Via della Luce 3, unweit des Portico di Ottavia wurde meine ganze Familie mit Ausnahme meines Vaters gefasst: Mein Großvater, meine Großmutter, meine Tanten sowie ein Neugeborenes und ein dreijähriges Mädchen, meine Cousinen. Mein Vater verfiel jedes Jahr vor dem 16. Oktober in ein Schweigen, das mehrere Tage dauerte. Ihm war natürlich verboten worden, zur Schule zu gehen. Alle Rechte, die Bürger haben, waren den Juden genommen worden, angefangen vom Verbot, Handel zu treiben.“

Mit ihren Rassengesetzen von 1938 hatten die Faschisten die Juden vom Rest der italienischen Bevölkerung abgesondert. Die Nationalsozialisten führten den Schlag aus, der ohne eine solche Vorbereitung nicht möglich gewesen wäre. Für die Razzia war eine eigens aus Deutschland abkommandierte Sonderabteilung mit 300 Kräften zuständig. Die römische Quästur stellte 20 Polizisten als Helfer ab. 1.259 Juden - Männer, Frauen, Kinder und Greise - wurden auf dem Platz Portico di Ottavia hinter der Synagoge zusamengetrieben. Nach und nach brachten Lastwagen sie ins Collegio Militare am Tiber, unweit des Vatikans. Zwei Tage blieben sie dort, zwei Tage, in denen die Deutschen mehr als 200 ihrer Gefangenen wieder freiließen. Die übrigen, exakt 1.024, wurden am 18. Oktober 1943 am Bahnhof Tiburtina in versiegelte Züge verfrachtet und nach Auschwitz deportiert. Keines der Kinder überlebte. Nur 15 Männer und eine Frau kehrten aus der Hölle nach Rom zurück.

„Die Wiedereingliederung der Überlebenden war ziemlich dramatisch. Als die Leute zurückkehrten, erzählten sie nicht sofort, was sie gesehen hatten, weil sie nicht davon ausgehen konnten, dass man ihnen glauben würde. Das ist die große Sorge der Holocaust-Leugner: die Erzählung, das Zeugnis. Wenn einmal alle Augenzeugen tot sind, bleiben nur die erzählten Erinnerungen, die Kinder und Kindeskinder oder Historiker gesammelt haben, um das Gedenken an die Shoah aufrecht zu erhalten, die nicht nur die Juden betraf, sondern die ganze Welt, die ganze Welt der Ausgegrenzten und der Andersartigen.“

Vor wenigen Tagen starb in Rom der Nazi-Kriegsverbrecher Erich Priebke. Er wurde 100 Jahre alt. Im März 1944 war der SS-Hauptsturmführer Priebke Handlanger bei der Ermordung von 335 Geiseln, darunter 75 Juden, in den sogenannten Ardeatinischen Höhlen südlich von Rom. Der Tod des Altnazis, der niemals Reue für seine Tat zeigte, beeinflusste die Gedenkfeiern für den 16. Oktober nicht, sagt Elvira Di Cave.

„Für uns ist mit Priebke einer der Henker gestorben, die versuchten, das jüdische Volk auszurotten. Aber das jüdische Volk ist noch anwesend, die Jungen sind anwesend und erinnern sich an das Vergangene, um eine Zukunft zu haben.“

Über Erinnerung und Holocaust-Gedenken sprach auch Papst Franziskus in seiner Botschaft an die jüdische Gemeinde von vergangener Woche. Der 70. Jahrestag der römischen Judendeportation, so schrieb der Papst, „könnte als eine Erinnerung der Zukunft begriffen werden, als Appell an die jungen Generationen, die eigene Existenz nicht zu verflachen und sich nicht von Ideologien mitreißen zu lassen, niemals das Böse zu rechtfertigen, niemals die Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus und Rassismus aufzugeben, woher immer sie kommen mögen.“ In der jüdischen Gemeinde als Adressatin hat diese päpstliche Botschaft erfreute Aufnahme gefunden.

„Ich bin ganz einverstanden mit Papst Franziskus. Ich hatte das Glück, ihn dreimal zu treffen, und er hat sozusagen meine Erwartungen nie enttäuscht. Die Worte des Papstes waren die Worte eines Mannes, der Wert auf die Geschichte legt, so wie wir es tun. Wir müssen zusammenarbeiten. Nicht nur dürfen wir nicht vergessen: Wir müssen alles tun, damit das Geschehene nie wieder geschieht, weder den Juden noch allen anderen Diskriminierten.“

(rv 16.10.2013 gs)








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