2013-10-11 13:09:32

Papst: „Möge der Antisemitismus verschwinden!“


RealAudioMP3 Papst Franziskus hat die jüdische Gemeinde von Rom zu einer Audienz im Vatikan empfangen. Als Bischof von Rom fühle er sich ihnen besonders nahe, sagte er dabei. Christen und Juden hätten die gemeinsame Aufgabe, in einer Kultur des Relativismus die Werte der Zehn Gebote hochzuhalten. Zusammen mit Oberrabbiner Riccardo Di Segni erinnerte der Papst an den 70. Jahrestag der Deportation von Juden aus Rom. Die jüdische Gemeinde von Rom ist die älteste überhaupt in Westeuropa; in der Antike gehörte sie zu den bedeutendsten außerhalb Palästinas.

„Liebe Freunde von der jüdischen Gemeinde, Shalom!“ So begann Papst Franziskus seine Ansprache. Er wisse, dass das Zusammenleben von Kirche und Judentum in der Ewigen Stadt „oft von Unverständnis und auch echten Ungerechtigkeiten geprägt“ gewesen sei: Mittlerweile aber hätten sich, vor allem dank dem Konzil, „freundschaftliche und brüderliche Beziehungen entwickelt“.

„Paradoxerrweise hat uns die Tragödie des Krieges gelehrt, unseren Weg gemeinsam zu gehen. Wenn wir in ein paar Tagen an die Deportation von Juden aus Rom vor siebzig Jahren erinnern, dann werden wir für viele unschuldige Opfer menschlicher Barbarei beten. Wir werden dadurch aber auch angeleitet, in unserer Wachsamkeit allen Formen der Intoleranz und des Antisemitismus gegenüber nicht nachzulassen, ob in Rom oder im Rest der Welt. Möge der Antisemitismus aus dem Herzen und dem Leben jedes Mannes und jeder Frau verschwinden!“

Erinnerung an christliche Retter während der Judenverfolgungen

Franziskus verteidigte indirekt die Rolle seines Vorgängers Pius XII. während der Judenverfolgungen im Dritten Reich. In der „dunklen Stunde“ habe es die christliche Gemeinschaft von Rom „verstanden, den Brüdern in Schwierigkeiten eine helfende Hand zu reichen“.

„Wir wissen, dass viele religiöse Einrichtungen, Klöster und auch die Päpstlichen Basiliken ihre Tore für eine brüderliche Aufnahme von Juden geöffnet haben! Dabei stützten sie sich auf den Willen des Papstes. Viele Christen haben jede Hilfe, zu der sie nur imstande waren, geleistet, ob in kleinem oder großem Maßstab. Einer großen Mehrheit von ihnen war zwar nicht bewusst, wie nötig es war, das christliche Verständnis vom Judentum auf einen neuen Stand zu bringen, und vielleicht wussten sie nur wenig vom Leben der jüdischen Gemeinde. Aber sie hatten den Mut, das zu tun, was in diesem Moment das Richtige war, nämlich: den Bruder, der in Gefahr war, zu schützen.“

Der Papst betete für die über 1.000 Juden, die am 16. Oktober 1943 von den deutschen Besatzern deportiert wurden. Fast alle von ihnen starben im Vernichtungslager Auschwitz, nur 17 überlebten – davon nur eine Frau, und keines der verschleppten Kinder.

„An ein historisches Ereignis zu erinnern, bedeutet aber nicht nur eine einfache Erinnerung, sondern auch, ja vor allem den Versuch, die Botschaft zu verstehen, die das für heute bedeutet. Johannes Paul II. schrieb, dass das Gedenken eine wichtige Rolle habe beim Aufbau einer Zukunft, in der ein solches Grauen wie die Shoah nicht mehr möglich sein dürfe; und Benedikt XVI. mahnte in Auschwitz, die Vergangenheit sei nicht einfach vorbei, sondern gehe uns heute an und zeige uns den einzuschlagenden Weg... Mögen die jungen Generationen sich nie wieder von Ideologien hinreißen lassen! Mögen sie nie das Böse zu rechtfertigen suchen! Mögen sie es nie an Wachsamkeit gegenüber Antisemitismus und Rassismus fehlen lassen.“

Oberrabbiner: Noch nicht alles gelöst

Oberrabbiner Di Segni hatte zu Beginn in einem Grußwort an Papst Franziskus die Fortschritte im Verhältnis von Katholiken und Juden in Rom gewürdigt. Anders als der Papst erwähnte er dabei nicht nur die Shoah, sondern auch die Gründung des Staates Israel als wichtige Lehre des 20. Jahrhunderts.

„Ich stehe hier binnen zehn Jahren zum dritten Mal einem Papst gegenüber; mit ihren beiden letzten Vorgängern, von denen jeder seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Stil hatte, verbanden uns besondere Beziehungen... Was die Probleme beim Verhältnis Katholiken-Juden in Rom betrifft, ist eindeutig viel geleistet worden. Aber oft führt die Lösung eines Problems zu neuen Problemen, und wir haben noch bei weitem nicht alles gelöst! Wir müssen weiterarbeiten, um die Sensibilitäten und kritischen Punkte zu verstehen und für eine Verbreitung der positiven Botschaften zu sorgen, so dass der gegenseitige Respekt real wird.“

Aus der neuen Nähe beider Glaubensgemeinschaften in Rom ergebe sich eine „öffentliche Verantwortung“, so Di Segni. Er nannte als Beispiel das Flüchtlingsdrama von Lampedusa.

„Unserem liturgischen Kalender entsprechend haben wir letzten Samstag die Geschichte von Noah und der Sintflut gelesen – wie eine Familie auf einem Schiff überlebt, während der Rest der Menschheit von den Fluten vernichtet wird. Heute erleben wir paradoxerweise das Gegenteil: Menschen auf einem Schiff sterben, während drumherum eine ohnmächtige, teilweise auch gleichgültige Menschheit überlebt. Unsere Geschichte und unser Glauben rebellieren dagegen, und Sie haben gezeigt, dass Sie diese Rebellion teilen und dass wir der Menschheit gemeinsame Werte zu übermitteln haben.“

Der Oberrabbiner wünschte sich von Franziskus „Gesten der Freundschaft“ während seines Pontifikats.

„Sie werden durch die Welt reisen und dabei auch viele jüdische Gemeinden treffen, Sie werden auch Israel besuchen. Aber ein erneuter Papstbesuch bei unserer römischen Gemeinschaft darf nicht fehlen! Sie wartet darauf, Sie zu empfangen, wie Sie auch Ihre Vorgänger empfangen hat.“

(rv 11.10.2013 sk)








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