Noch immer ist das
ganze Ausmaß der Tragödie von Lampedusa nicht klar. Ein Schiff mit etwa 500 Flüchtlingen
an Bord ist vor drei Tagen vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa gesunken;
gerettet wurden nur 155 Flüchtlinge, Taucher kamen bis zum Sonntagmorgen wegen hohen
Seegangs nicht an das Wrack in 47 Metern Tiefe heran, darum wurden bis Sonntag Nachmittag
erst 121 Leichen geborgen. Die meisten der Getöteten sind offenbar Frauen. In Italien
hat eine wilde Debatte über das Einwanderungsrecht eingesetzt, aber der stellvertretende
Bürgermeister von Lampedusa, Damiano Sferlazzo, sagt im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Ich bin Lampedusaner, und wir Lampedusaner wollen weder einen Friedensnobelpreis
noch sonst etwas. Wir wollen einfach, dass dieses Massaker aufhört. Dass jemand dafür
sorgt, dass es keine Todesopfer mehr gibt und dass jeder, der ein besseres Leben sucht,
in Sicherheit reisen kann! Diese Menschen flüchten doch vor Kriegen – die, die es
bis hierhin nach Lampedusa schaffen, sind also Flüchtlinge und keine Illegalen. Nur
darum bitten wir. Wir können nichts anderes tun, als der Welt begreiflich zu machen,
dass die Menschenwürde für uns über alles geht. Erst einmal retten wir Menschenleben
– leider sind auch viele Kinder unter den Toten – und dann diskutieren wir über den
Rest. Über Rettungsmaßnahmen auf See gibt es nichts zu diskutieren!“
Fischer
aus Lampedusa, die im Morgengrauen ausgefahren waren und gleich den Flüchtlingen auf
dem brennenden Schiff zur Hilfe eilten, klagen an: Rettungskräfte, die man herbeigerufen
habe, seien viel zu spät eingetroffen, nämlich erst nach einer Dreiviertelstunde.
Dabei sei der Ort der Tragödie gerade einmal 500 Meter vom Festland entfernt. Viele
weisen jetzt auch darauf hin, dass das italienische Einwanderungsrecht, das so genannte
Gesetz Bossi-Fini, allen Strafen androht, die illegalen Einwanderern helfen. Ministerpräsident
Enrico Letta kündigt ein Überarbeiten des Gesetzes und EU-Kommissionschef Manuel Barroso
einen Besuch auf Lampedusa an. Jedenfalls lasse es der Ehrenkodex der Fischer gar
nicht zu, in Seenot geratenen Menschen nicht zu helfen, sagt Sferlazzo.
„Das
wird man nie erleben – erst recht nicht hier in Lampedusa! –, dass ein Fischer einen
Schiffbrüchigen seinem Schicksal überläßt. Das ist ein ungeschriebenes, aber tief
eingeprägtes Gesetz. Das ist ja auch nicht erst seit ein paar Monaten oder Jahren,
dass wir hier Menschen retten, das war immer schon so! Schon mein Großvater erzählte
mir von solchen Momenten, das steht also über allen Gesetzen. Und wenn so ein Gesetz
wie das Bossi-Fini-Gesetz es einem Fischer praktisch verbietet, Leben zu retten, dann
wird der das trotzdem tun. Auch wenn das Gesetz das Beschlagnahmen des Bootes und
eine Anklageerhebung vorsieht – ein Fischer wird trotzdem Hilfe leisten!“
Am
Flughafen von Lampedusa hat am Samstagabend eine Trauerfeier für die ums Leben Gekommenen
stattgefunden; an ihr nahmen die Überlebenden der Katastrophe teil, aber auch Parlamentspräsidentin
Laura Boldrini. Einige Fischer sind am Samstag hinausgefahren, um einen Kranz ins
Meer zu werfen – eine Geste, die auch Papst Franziskus bei seinem Besuch auf Lampedusa
im Sommer getan hatte. Enzo Billeci ist einer der Fischer:
„Wir sind hinausgefahren,
obwohl die See wirklich stürmisch war, darum konnten auch nur die größten Fischerboote
ablegen. Wir haben unter anderem in Anwesenheit des Hafenkommandanten einen Blumenkranz
an der Unglücksstelle niedergelegt. Natürlich werden wir Fischer auch künftig allen
helfen, die in Seenot sind, was könnten wir denn anderes tun? Wenn man Leute in Not
sieht, dann achtet man doch nicht auf die Hautfarbe! Wir haben auf dieses Gesetz nie
so richtig geachtet, aber ein bißchen Sorge macht es uns schon. Und wenn dann immer
die Rede von Illegalen, Illegalen ist – das sind doch Leute, die vor Kriegen flüchten!
Schluß mit diesen Toten im Meer, Schluß mit den Dramen!“
„Das ist einer
der tragischsten Momente in der Geschichte der Migration“, sagt Valerio Landri von
der Caritas des sizilianischen Bistums Agrigent. „Allgemein sind alle von Trauer
erfüllt, denn was woanders nur eine Nachricht ist, hat hier bei uns ein Gesicht. Viele
Lampedusaner helfen bei der Bergung von Leichen und haben den Überlebenden in die
Augen gesehen. Trauer und Schmerz, das fühlen wir. Unsere Sorge ist, dass die Aufmerksamkeit
für das Problem in ein paar Tagen wieder nachläßt und dann wieder das Schweigen der
letzten Jahre einzieht. 2011 kamen 250 Menschen bei einem Schiffbruch um, in den zwei
Jahren darauf hätte man so viel machen können, um solche Tragödien zu verhindern!
Dass wir das alles jetzt wieder von vorne durchmachen in Lampedusa, läßt uns befürchten,
dass es auch später mal wieder zu so etwas kommen kann.“