Das klingt ungewohnt
aus dem Mund eines Bischofs: „Ich verlasse die Region von Locri in schlimmerem Zustand,
als ich sie vorgefunden habe, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie in sozialer
Hinsicht.“ Das schreibt der bisherige Bischof von Locri, Giuseppe Fiorini Morosini,
in einem Brief an den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano. Der Kirchenmann
ist gerade zum Erzbischof von Reggio Calabria-Bova ernannt worden und zieht in diesen
Tagen um. Die Politik interessiere sich nicht für Locri, sagt uns Morosini mit bitterem
Unterton, „es sei denn, wenn es um irgendeine Anti-Mafia-Aktion geht“.
„Was
fehlt, ist eine Politik, die sich um die Realität kümmert, in der die Leute leben!
Gegen die ‘ndrangheta” – so heißt die örtliche Mafia-Ausgabe - „kämpft man am erfolgreichsten,
wenn man nicht nur gegen die Übeltäter vorgeht, sondern wenn man den jungen Leuten
Arbeit gibt. Denn das ist der Punkt, aus dem sich die ganze Kriminalität nährt: aus
der Arbeitslosigkeit. Daraus, dass die jungen Leute sich selbst überlassen werden.“
Warum
ist es in Süditalien so weit gekommen, dass der Staat abwesend wirkt?, fragen wir
den Erzbischof. Liegt es an inkompetenten Politikern? Seine Antwort:
„Das
ist unerklärlich. Ich weiß es nicht. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass keiner
den Mund aufmachen würde, das tun viele! Ich habe auch an Mario Monti geschrieben,
als der noch Ministerpräsident war... Man schreibt und man redet, aber keiner kommt
mal, um die Lage in die Hand zu nehmen und zu sagen: Na gut, jetzt greifen wir wirklich
ein, wie sich das gehört!“
In Presseberichten über Süditalien sieht es
immer wieder so aus, als gäbe es durchaus Erfolge im Kampf gegen die Mafia. Viel wird
über Mafia-Landgüter und –Konten geschrieben, die vom Staat eingezogen und den Kommunen
zur Verfügung gestellt werden. Aber Erzbischof Morosini kann die Anti-Mafia-Rhetorik
fast schon nicht mehr hören.
„Ich würde zwar nicht sagen, dass sie schädlich
wäre – aber immer nur diese Anklage-, diese Enteignungs-Rhetorik! Das habe ich auch
an Präsident Napolitano geschrieben: Schön und gut, dass Mafiaeigentum enteignet wird,
aber dann muss man auch den zweiten Schritt tun, die jungen Leute bleiben ja trotzdem
arbeitslos! Und die Mafia gibt ihnen eben die Möglichkeit zu einem Auskommen, darum
bleiben sie so leicht im Netz der Mafia hängen.“
Er habe in den letzten
fünf Jahren als Bischof von Locri versucht, „die Gewissen der Menschen zu schärfen
und klarzumachen, dass sich Mafia und Glauben nicht miteinander vereinbaren lassen“.
„Und dann haben wir immer solche Appelle gemacht wie den an den Staatspräsidenten.
Aber darüberhinaus wüßte ich nicht, was die Kirche tun könnte...“ Morosini bleibt
die Mafia erhalten: Auch in seinem neuen Erzbistum Reggio Calabria–Bova regiert die
‘ndrangheta. Er wolle es im neuen Bistum halten wie im alten, sagt der Bischof. Schlimm
sei die Lage in Reggio Calabria wie in Locri. „Die Journalisten kommen immer nur
angereist, wenn irgendetwas Eklatantes passiert ist. Aber wenn es darum geht, im Alltag
gegen das Böse die Stimme zu erheben, dann sieht man sie nicht.“