2013-09-18 09:41:42

Der Bischof und die Mafia


RealAudioMP3 Das klingt ungewohnt aus dem Mund eines Bischofs: „Ich verlasse die Region von Locri in schlimmerem Zustand, als ich sie vorgefunden habe, und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie in sozialer Hinsicht.“ Das schreibt der bisherige Bischof von Locri, Giuseppe Fiorini Morosini, in einem Brief an den italienischen Präsidenten Giorgio Napolitano. Der Kirchenmann ist gerade zum Erzbischof von Reggio Calabria-Bova ernannt worden und zieht in diesen Tagen um. Die Politik interessiere sich nicht für Locri, sagt uns Morosini mit bitterem Unterton, „es sei denn, wenn es um irgendeine Anti-Mafia-Aktion geht“.

„Was fehlt, ist eine Politik, die sich um die Realität kümmert, in der die Leute leben! Gegen die ‘ndrangheta” – so heißt die örtliche Mafia-Ausgabe - „kämpft man am erfolgreichsten, wenn man nicht nur gegen die Übeltäter vorgeht, sondern wenn man den jungen Leuten Arbeit gibt. Denn das ist der Punkt, aus dem sich die ganze Kriminalität nährt: aus der Arbeitslosigkeit. Daraus, dass die jungen Leute sich selbst überlassen werden.“

Warum ist es in Süditalien so weit gekommen, dass der Staat abwesend wirkt?, fragen wir den Erzbischof. Liegt es an inkompetenten Politikern? Seine Antwort:

„Das ist unerklärlich. Ich weiß es nicht. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass keiner den Mund aufmachen würde, das tun viele! Ich habe auch an Mario Monti geschrieben, als der noch Ministerpräsident war... Man schreibt und man redet, aber keiner kommt mal, um die Lage in die Hand zu nehmen und zu sagen: Na gut, jetzt greifen wir wirklich ein, wie sich das gehört!“

In Presseberichten über Süditalien sieht es immer wieder so aus, als gäbe es durchaus Erfolge im Kampf gegen die Mafia. Viel wird über Mafia-Landgüter und –Konten geschrieben, die vom Staat eingezogen und den Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Aber Erzbischof Morosini kann die Anti-Mafia-Rhetorik fast schon nicht mehr hören.

„Ich würde zwar nicht sagen, dass sie schädlich wäre – aber immer nur diese Anklage-, diese Enteignungs-Rhetorik! Das habe ich auch an Präsident Napolitano geschrieben: Schön und gut, dass Mafiaeigentum enteignet wird, aber dann muss man auch den zweiten Schritt tun, die jungen Leute bleiben ja trotzdem arbeitslos! Und die Mafia gibt ihnen eben die Möglichkeit zu einem Auskommen, darum bleiben sie so leicht im Netz der Mafia hängen.“

Er habe in den letzten fünf Jahren als Bischof von Locri versucht, „die Gewissen der Menschen zu schärfen und klarzumachen, dass sich Mafia und Glauben nicht miteinander vereinbaren lassen“. „Und dann haben wir immer solche Appelle gemacht wie den an den Staatspräsidenten. Aber darüberhinaus wüßte ich nicht, was die Kirche tun könnte...“ Morosini bleibt die Mafia erhalten: Auch in seinem neuen Erzbistum Reggio Calabria–Bova regiert die ‘ndrangheta. Er wolle es im neuen Bistum halten wie im alten, sagt der Bischof. Schlimm sei die Lage in Reggio Calabria wie in Locri. „Die Journalisten kommen immer nur angereist, wenn irgendetwas Eklatantes passiert ist. Aber wenn es darum geht, im Alltag gegen das Böse die Stimme zu erheben, dann sieht man sie nicht.“

(rv 18.09.2013 s k)








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