Aktenzeichen: Papst Johannes XXIII. – 50. Todesjahr
Über den seligen Papst
Johannes XXIII. ist anlässlich seines 50. Todestages in der Öffentlichkeit viel geschrieben,
gesprochen und gesendet worden. Sein Pontifikat war nach Auffassung von Papst Franziskus
eine entscheidende Wegmarke für die katholische Kirche im 20. Jahrhundert. Die Einberufung
des Zweiten Vatikanischen Konzils sei eine „prophetische Intuition” dieses Papstes
gewesen und gehöre zu den Meilensteinen der Kirchengeschichte.
Überraschung
löste die Meldung aus, dass mit der Heiligsprechung Papst Johannes Pauls II. im Frühjahr
2014 gleichzeitig auch die Heiligsprechung von Papst Johannes XXIII. erfolgen soll.
Das Vorgehen der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsverfahren wurde teils
mit Begeisterung, teils mit Staunen aufgenommen.
Angelo Roncalli wurde 1881
in Sotto il Monte bei Bergamo geboren, vorwiegend in Rom ausgebildet und 1925 als
apostolischer Legat nach Bulgarien entsandt. Später war er päpstlicher Gesandter in
der Türkei und in Griechenland und schließlich Nuntius in Paris. Er war ein guter,
wenn auch ungewöhnlicher Diplomat und wurde vor genau 60 Jahren Patriarch von Venedig
– hier konnte er wieder Seelsorger sein. Am 28. Oktober wurde er im 77. Lebensjahr
zum Papst gewählt.
Nur wenige Zeitgenossen dachten damals daran, dass er ein
Papst großer Reformen im Innern der Kirche und in der Außenpolitik des Vatikans werden
sollte. Bald aber überraschte Johannes XXIII. die Kardinäle ebenso wie die Welt mit
seinem Plan, ein Allgemeines Konzil einzuberufen. Nach eigenen Angaben folgte er dabei
einer spontanen Eingebung. Das Konzil sollte dazu dienen, die Kirche den Erfordernissen
der Zeit anzupassen, sie der Welt zu öffnen und auf die Schattenseiten dieser Welt
hinzuweisen. Nach mehr als zweijährigen Vorbereitungen wurde das Konzil am 11. Oktober
1962 feierlich eröffnet. Über 2500 Konzilsväter waren nach Rom gekommen.
Jahrhundertealte
Schranken fielen von einem Tag auf den anderen. Uralte Gräben, die man für nahezu
unüberbrückbar gehalten hatte, begannen sich oft nur durch ein einziges Wort des Papstes
zu schließen: so zum Beispiel die Tilgung einer missverständlichen Formel in der Karfreitagsliturgie,
in der die Juden noch als Mörder Jesu bezeichnet wurden. Die Weisung des Papstes ist
ganz klar: Vornehmlichste Aufgabe dieses Konzils ist es, das heilige Erbe der christlichen
Lehre zu bewahren und in wirksamer Weise zu verkünden.
Was Johannes in seinen
Friedens-Enzykliken „Mater et Magistra“ und vor allem in „Pacem in Terris“ verkündete,
war in der Substanz eigentlich nicht ganz neu: Aber es war der Ton, den die Welt neu
empfand und sogleich akzeptierte. Er gab der Welt ein Beispiel von der bezwingenden
Macht des Vertrauens, der Nächsten- und Feindesliebe, die wohl enttäuscht werden kann,
aber niemals vergeblich ist. Eine Botschaft an alle Menschen guten Willens.
Erstmals
richtet sich eine Enzyklika nicht nur an Bischöfe, Priester und an die Katholiken
weltweit; nein, diesmal werden alle Menschen „guten Willens” angesprochen. Jeder ist
also gemeint, jeder muss sogar gemeint sein, soll der im Evangelium postulierte Friede
auf Erden ehrlich, und das heißt weltumfassend gemeint sein. Das klingt heute sehr
selbstverständlich. Damals war es eine Sensation.
Schon zu Beginn seiner absehbar
kurzen Amtszeit war Papst Johannes klar, dass er mit den Machthabern sowohl des Westens
als auch des Ostens in Kontakt treten musste. Johannes ging deutlich auf Distanz zur
Konfrontationspolitik des Kalten Kriegs und sprach sich dafür aus statt auf Rüstungswettlauf
auf Verhandlungen zu setzen. Ein kluges Ballance-Spiel vatikanischer Weltpolitik begann.
Zu
seinem 80. Geburtstag erhielt Johannes ein Glückwunschtelegramm, das ihn mehr freute,
als hundert andere. Es stammte von Nikita Chruschtchow. Das Telegramm schlug im Apostolischen
Palast wie eine Bombe ein: Nach Jahrzehnten der Funkstille zwischen der Sowjetunion
und dem Vatikan, nach unsäglichem Leiden der Kirche im Osten, gab es erstmals eine
offizielle Geste der Öffnung. Nach der langen Eiszeit konnte jenes Tauwetter beginnen,
das später als die vatikanische Ostpolitik in die Geschichtsbücher eingehen sollte.
Stichwort
Kuba-Krise 1962: Die Welt steht vor dem Abgrund eines Atomkrieges: Der Konflikt der
USA mit Kuba spitzt sich dramatisch zu. Die Sowjetunion stellt Fidel Castro Atomraketen
zur Verfügung. Kennedy verhängt eine Seeblockade um die Insel. Das Katastrophenszenario
konnte nur noch durch eine neutrale politische Instanz entschärft werden, die das
Vertrauen beider Seiten genoss. Wer konnte dies sein? Vielleicht sogar der Papst?
Wie
die geheime Vermittlung des Vatikans in dieser heiklen Situation im Einzelnen ablief,
ist bis heute nicht genau geklärt. Dass der Durchbruch bevorstand, ahnte die Weltöffentlichkeit
am 25. Oktober, als Johannes um 12 Uhr Mittags über Radio Vatikan an die Völker der
ganzen Welt und ihre Regierungen eine Ansprache hielt. Der Papst wählte die internationale
Diplomatensprache: Französisch. Seine Rede war nicht lang, aber es war einer der bewegendsten
Friedensappelle, die jemals ein Papst verkündet hat. Was die Zuhörer nicht wissen
konnten: der Text des Vatikans war Moskau und Washington vorab übermittelt worden.
Er war das verabredete Startsignal für die Aufnahme von offenen Verhandlungen.
„Herr,
höre das Flehen Deines Dieners, höre das Flehen Deiner Diener, die Deinen Namen fürchten.’
Dieses alte biblische Gebet kommt heute über Unsere Lippen, kommt aus der Tiefe Unseres
bewegten und betrübten Herzens ... Es ziehen drohende Wolken auf, die den internationalen
Horizont verdunkeln und in Millionen und aber Millionen Familien Angst säen ... Wir
flehen die Staatsoberhäupter an, nicht unempfindlich zu bleiben gegenüber diesem Aufschrei
der Menschheit. Sie sollen alles in ihrer Macht stehende tun, um den Frieden zu retten.
Sie sollen weiter verhandeln. Darauf nämlich ruht der Segen des Himmels und der Erde“.
Eindringlich
forderte der Papst alle Menschen auf, zum Gebet Zuflucht zu nehmen. Zur allgemeinen
Verblüffung veröffentlichte die „Prawda“ am 26. Oktober den Friedensaufruf des Papstes;
Nikita Chruschtschow erklärte später, die Worte Johannes’ XXIII. hätten ihn und viele
Russen beeindruckt. Papst Johannes XXIII. hatte noch andere politische Ziele: Rüstungsstopp,
allgemeine Entspannungspolitik und die friedliche Koexistenz von Kapitalismus und
Kommunismus. Dabei berief sich der gute Papst auf die Prinzipien der allgemeinen Vernunft,
die allen Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, zugänglich sind. Und neben diesen
Forderungen wartete der Vatikan mit einer weiteren politischen Neuerung auf: der ausdrücklichen
Anerkennung der UNO und der universalen Charta der Menschenrechte. Das Papsttum sprang
damit sozusagen über seinen eigenen Schatten und trat auf eine neue Weltbühne. Ein
politischer Meilenstein.
Lassen Sie mich diese Sendung mit einer Ansprache
Papst Johannes XXIII. abschließen, die nicht nur das politische Gespür, sondern ebenso
seine Herzensbildung aufzeigt: am Abend der Konzilseröffnung wandte sich Johannes
in einer frei gehaltenen Rede an die unzähligen Menschen, die sich auf dem Petersplatz
versammelt hatten und hielt zum Abschluss eines eindrucksvollen Fackelzugs vom Fenster
seines Arbeitszimmers aus, die berühmte Rede, die als „Mondscheinrede” in die Geschichte
eingegangen ist:
„Geliebte Kinder, ich höre eure Stimmen. Meine Stimme ist
nur eine einzige, aber sie nimmt die Stimmen der ganzen Welt in sich auf. Hier ist
in Wirklichkeit die ganze Welt vertreten. Man könnte meinen, sogar der Mond hätte
sich heute besonders beeilt, um dieses Ereignis mitzuerleben. Seht!, wie er dort oben
strahlt! Ihm ist bekannt, dass wir den Abschluss eines großen Tages des Friedens feiern,
ja des Friedens: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden allen Menschen guten
Willens! Wenn ihr heute nach Hause zurückkehrt, dann werdet ihr dort eure Kinder vorfinden:
Umarmt sie und sagt ihnen: das ist eine Liebkosung vom Papst. Dem Segen füge ich noch
meinen Gutenachtkuss an.“