Ein amerikanischer
Angriff auf Syrien scheint – vorerst – abgewendet; und nicht wenige schreiben dies
auch der weltweiten Gebetsinitiative zu, die Papst Franziskus am Samstag vor einer
Woche lanciert hatte. Die Lage bleibt aber weiterhin dramatisch für die Menschen im
Bürgerkrieg. In unserm Wocheninterview haben wir mit Hanna Ghoneim gesprochen. Er
ist melkitisch-katholischer Priester aus Damaskus und kann derzeit nicht in seine
Heimat zurück:
Der Krieg in seiner syrischen Heimat machte ihm einen Strich
durch die Rechnung: Eigentlich wollte Hanna Ghoneim letztes Jahr nach Damaskus zurückkehren.
Acht Jahre lang hatte der melkitische Priester bis dahin in Wien die dortige melkitische
Gemeinde betreut und nebenher sein Doktoratsstudium gemacht. Doch wegen der Gewalt
in Syrien konnte Ghoneim nicht nachhause. Jetzt ist er in Freising,macht dort Pfarrvertretung
in der Pfarrei St. Lantpert – und beobachtet mit Sorge, dass es zu einem westlichen
Eingreifen in den Syrien-Konflikt kommen könnte. „Ein militärisches Eingreifen
würde niemandem helfen: Das wäre eine Katastrophe für alle Syrer. Wir Syrer trachten
nach Frieden, Sicherheit, Stabilität – das sind die Dinge, die unser Leben dort gewährleisten
können, und der Krieg spricht dagegen.“
Sicherheit, Stabilität – das sahen
die Christen in Syrien in den letzten Jahrzehnten durch die Assad-Regierung gewährleistet.
Zwar gebe es in seiner Heimat viele heterogene Gruppen: verschiedene Religionen, Konfessionen,
auch Ethnien. Aber: „Ich würde nicht sagen, dass Syrien per se ein Pulverfass wäre.
Man hat jetzt seit längerem versucht, dort einen Bürgerkrieg zu schüren, aber das
ist nicht gelungen, weil das Volk zusammenhält.“ Über Jahrhunderte hinweg hätten
die Syrer gelernt, welchen Wert das friedliche Zusammenleben der Verschiedenheiten
hat. Vielleicht, so hofft Hanna Ghoneim, setzt sich dieses Erbe ja wieder durch? „Trotz
der Krise haben wir immer noch große Hoffnung, dass das Land wieder zum Frieden zurückfindet
– wie genau, das ist allerdings jetzt noch nicht abzusehen.“
Die Rebellen
in Syrien sieht der melkitische Priester vor allem als einen zersplitterten Haufen.
„Sie hat auch keine einheitliche Führung; die einen Gruppen stehen zu Qatar, die
anderen zu Saudi-Arabien, die anderen vielleicht zu den Türken oder auch zu den Europäern.
Jede Gruppe hat irgendeine andere Referenz.“ Verstörend sei es, dass sogar Anhänger
von al-Quaida, also richtiggehende Terroristen, unter den oppositionellen Gruppen
seien. „Jetzt fragt man sich: Was tun die denn da, was beabsichtigen die?“ Plan
der Islamisten sei es offenbar, Syrien zu islamisieren und Präsident Assad sowie seine
alawitische Gruppe zu beseitigen.
Aus der Sicht von Hanna Ghoneim sind es
vor allem ausländische Kräfte, die den Krieg in Syrien am Laufen halten: Der Unfriede
komme von außen. „Wir leben nicht konfessionell in Syrien; wir haben in der Schule
auch nie gelernt, dass Muslime anders wären als Christen, oder dass Christen diskriminiert
würden. Wir haben immer alle zusammen als normale Bürger gelebt, und alle haben im
Staat ihre Rechte. Jetzt gefällt das Saudi-Arabien offenbar nicht, und darum greift
es diese Regierung Assad an. Leider Gottes steht auch der Westen und vor allem die
USA an der Seite der Rebellen, vor allem an der Seite Saudi-Arabiens.“ Nach Ansicht
des Priesters hat der Westen einfach nicht verstanden, welches Spiel da andere, islamische
Mächte in Syrien spielen.
Was den Giftgas-Einsatz Ende August in einem Vorort
von Damaskus betrifft: Da will Hanna Ghoneim nicht glauben, dass die Regierung Assad
dahinter stehen könnte. Mögen nach Angaben der USA die Hinweise auch noch so schlüssig
sein, Ghoneim und mit ihm viele Christen in Syrien derzeit trauen das der syrischen
Führung einfach nicht zu. Auch eine italienische Ordensfrau, die in einem Krankenhaus
in Damaskus arbeitet, spricht in einer Email davon, dass die UNO gefälschte Beweise
vorlege, und fragt: Warum sind denn offenbar nur Kinder an Giftgas gestorben? Wo waren
denn die Erwachsenen, die sich um die Kinder gekümmert haben? Ghoneim sagt: „Wer
hinter dem Einsatz steckt, weiß man tatsächlich nicht; unter der Opposition gibt es
so viele Gruppierungen, und es kann leicht sein, dass irgendeine terroristische Gruppe
Giftgas einsetzt. Wir wissen noch nicht, die Zeit wird noch zeigen, was da los war;
alle sagen, dass die USA eine Ausrede finden will, um jetzt gegen die syrische Armee
einen Einsatz zu führen. Aber das ist ihr, Gott sei Dank, nicht gelungen.“
Die
Berichte über das Elend von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Syrien liest der melkitische
Priester in Freising sehr genau. Er findet es richtig, dass man Menschen in Not hilft,
sagt er. Aber auch hier gehen ihm ein paar Fragen durch den Kopf: „Was erzielt
man denn mit diesen Hilfen? Geht es um die Syrer? Geht es um das Land? Geht es um
die Menschen dort? Wenn es um die Syrer geht, dann muss man seine Tür jetzt für alle
aufmachen, nicht nur für ein paar Leute!“ Dann muss auch Deutschland großzügiger
Flüchtlinge aufnehmen, findet Ghoneim. Aber unruhig macht ihn vor allem, wie im Moment
die christliche Präsenz in Syrien durch die Flüchtlingsströme ausdünnt. Er fürchtet
ein irakisches Szenario, also das Ende des Christentums im Land nach etwa zwei Jahrtausenden
Präsenz durch einen Massenexodus. „Ich bin dafür, dass man die Menschen dort vor
Ort unterstützt, damit sie dort bleiben, damit sie sich dort behaupten! Ein Syrer
hat eine Bedeutung in seiner Heimat. Wenn man seine Heimat verliert, dann wird man
entfremdet und weiß nicht, wohin man gehört. Das finde ich das Allerbeste: Menschen
jetzt dort vor Ort zu helfen.“
Ein Beispiel unter vielen: Syrische Kinder
in Privatschulen könnten jetzt oft ihre Schulbeiträge nicht mehr bezahlen. Die meisten
der Privatschulen im Land sind christlich geführt, von Ordensleuten in der Regel.
„Und wenn die Kinder weg sind, dann kann man die Lehrer nicht mehr bezahlen. Das
heißt: Auch die Lehrer müssen dann die Schule verlassen – dann bleibt die Schule leer.
Dann verlieren wir auch die Schule, dann wird die Schule geschlossen! Also, wir verlieren
Arbeitsplätze für die Lehrer, und die Schüler müssen dann in die staatlichen Schulen
gehen, die überfüllt sind!“
Eine christliche Schule nach der anderen gerät
im Moment in Syrien in ernste Finanznot, so Hanna Ghoneim. Für die christlichen Familien
mit schulpflichtigen Kindern bedeute das große Schwierigkeiten. „Sie müssen bedenken:
Unter den 20.000 Schulen in ganz Syrien sind 4.000 zerstört, bombardiert oder mittlerweile
in den Rebellengebieten in ein Gefängnis verwandelt. Diese Schüler müssen also in
andere Schulen gehen, und darum sind die staatlichen Schulen überfüllt. Das vermindert
natürlich die Qualität des Schulunterrichts. Darum sage ich mir: Wir müssen unbedingt
unsere Schüler in Privatschulen unterstützen! Damit sie in der Schule bleiben, und
damit auch die Schule erhalten bleibt.“
Jede Privatschule habe „eine gewisse
Mission“, so der melkitische Priester; sie diene auch dem Wohl des Landes. „Es
ist bekannt, dass die Kinder in Privatschulen besser lernen. Das ist gut für die Zukunft
der Kinder und auch für die Zukunft des Landes!“ Eine Zukunft, an die Hanna Ghoneim,
von Freising aus, immer noch unbeirrt glaubt.
Mit Hanna Ghoneim sprach Brigitte
Schmitt für Radio Vatikan.