Papst Franziskus hat
sich mit einem Offenen Brief an die Nichtglaubenden gewandt. Darin schreibt er, es
sei an der Zeit, dass Gläubige und Nichtglaubende sich gemeinsam engagierten. Der
Brief erschien in der Mittwochsausgabe der linksliberalen italienischen Tageszeitung
„La Repubblica“. Franziskus antwortete damit auf einen Beitrag des „Repubblica“-Gründungsherausgebers
Eugenio Scalfari, der seit Jahrzehnten zu den führenden antiklerikalen Köpfen Italiens
zählt. Scalfari hatte unter dem Titel „Fragen eines Nichtglaubenden an den Jesuitenpapst,
der sich Franziskus nennt“ seinerseits einen Offenen Brief an das Kirchenoberhaupt
gerichtet. Dem Brief des Papstes hat die Zeitung die Überschrift „Wahrheit ist nie
absolut“ gegeben. Hier einige Auszüge aus dem Papstbrief in unserer eigenen Übersetzung.
„Sehr
geehrter Dr. Scalfari, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, mit der Sie die Enzyklika
,Lumen fidei‘ gelesen haben, denn sie will ja einen ehrlichen und klaren Dialog anstoßen
mit Menschen, die sich – wie Sie – als ,Nichtglaubende‘ sehen, ,die aber fasziniert
sind von der Predigt des Jesus von Nazareth‘. Es scheint mir auch für die Gesellschaft,
in der wir leben, sehr positiv, wenn wir über eine so wichtige Realität wie den Glauben
sprechen, der sich ja auf die Predigt und Figur Jesu beruft.
Dialog ist
kein Accessoire
In der Moderne erleben wir ein Paradox: Der christliche
Glaube, dessen Neuheit für den Menschen oft mit dem Symbol des Lichtes ausgedrückt
wurde, ist oft als Dunkel des Aberglaubens beschrieben worden, der sich dem Licht
der Vernunft entgegenstelle. Dadurch ist das Gespräch zwischen der Kirche und einer
christlich inspirierten Kultur auf der einen und der modernen, aufklärerisch geprägten
Kultur auf der anderen Seite verstummt. Jetzt ist die Zeit gekommen für einen offenen
Dialog ohne Vorurteile, der uns die Türen für eine ernsthafte und fruchtbare Begegnung
wieder öffnet. Dieser Dialog ist nicht nur ein nebensächliches Accessoire für das
Leben eines Gläubigen, sondern ganz im Gegenteil sein unverzichtbarer Ausdruck!
Für
mich entsteht der Glaube aus der Begegnung mit Jesus. Einer persönlichen Begegnung,
die mein Herz angerührt hat und meinem Leben eine Richtung und einen neuen Sinn gegeben
hat. Aber gleichzeitig eine Begegnung, die möglich wurde durch die Gemeinschaft des
Glaubens, in der ich lebe und die mir erlaubt hat, die Heilige Schrift zu verstehen;
zum neuen Leben aus den Sakramenten Zugang zu haben; Zugang zu finden zur Brüderlichkeit
mit allen und zum Dienst an den Armen, die das wahre Bild des Herrn sind. Glauben
Sie mir: Ohne die Kirche hätte ich Jesus nicht begegnen können.
Kirche
bemüht sich nicht um Hegemonie
Der Christ glaubt, dass Jesus Sohn Gottes
ist, gekommen, um sein Leben hinzugeben, damit allen der Weg der Liebe offenstehe.
Sie haben darum recht, verehrter Dr. Scalfari, wenn Sie in der Menschwerdung des Gottessohnes
den Angelpunkt des christlichen Glaubens ausmachen. Diese Menschwerdung, also die
Tatsache, dass der Sohn Gottes unsere Freuden und Schmerzen, Siege und Niederlagen
bis zum letzten Schrei am Kreuz geteilt hat, belegt die unglaubliche Liebe, die Gott
zu jedem Menschen hat, und den unermesslichen Wert, den er ihm beimisst. Darum ist
jeder von uns aufgerufen, sich Jesu Blick und seine Wahl der Liebe zu eigen zu machen,
seine Art zu sein, zu denken und zu handeln. Das ist der Glaube.
Sie fragen
mich nach der Originalität des christlichen Glaubens im Vergleich zu anderen Bekenntnissen,
die vor allem die absolute Transzendenz Gottes betonen. Nun, sie liegt darin, dass
uns der Glaube in Jesus an seiner Beziehung zu Gott als Vater teilhaben lässt – und
im Lichte dessen an seiner Beziehung zu allen Menschen, auch zu seinen Feinden. Die
Sohnschaft Jesu zieht nicht eine Mauer zwischen ihn und die anderen, sondern in ihm
sind wir alle dazu aufgerufen, Söhne des einen Vaters und untereinander Brüder zu
sein. Die Einzigartigkeit Jesu dient der Kommunikation, nicht dem Ausschluss. Natürlich
– und das ist nicht wenig – ergibt sich daraus auch diese Unterscheidung zwischen
der religiösen und der politischen Sphäre, die sich aus dem Satz ergibt: Gott geben,
was Gottes ist, und dem Cäsar, was dem Cäsar gehört. Hierauf ist die Geschichte des
Westens aufgebaut. Wer den Glauben lebt, flüchtet nicht aus der Welt oder sucht irgendeine
Hegemonie, sondern es geht ihm um den Dienst am Menschen: dem ganzen Menschen und
allen Menschen.
Sie fragen mich auch, was man den jüdischen Brüdern über den
Bund sagen kann, den Gott mit ihnen geschlossen hat: Ist er denn ganz ins Leere gegangen?
Glauben Sie mir: Das ist eine Frage, die uns als Christen radikal bewegt, weil wir
vor allem vom Konzil ausgehend wiederentdeckt haben, dass das jüdische Volk für uns
immer noch die heilige Wurzel ist, aus der Jesus kam. Gott ist dem Bund mit Israel
immer treu geblieben, und die Juden haben trotz aller furchtbaren Geschehnisse dieser
Jahrhunderte ihren Glauben an Gott bewahrt. Dafür werden wir ihnen als Kirche, aber
auch als Menschheit, niemals genug danken können. Und in ihrem Glauben drängen sie
alle, auch uns Christen, immer Wartende auf die Rückkehr des Herrn zu bleiben (wie
Pilger), und dass wir uns nie im schon Erreichten einrichten dürfen.
Wahrheit
ist nicht „absolut“
Sie fragen, welche Haltung die Kirche gegenüber
den nicht an Jesus Glaubenden hat, und ob der Gott der Christen denen, die nicht glauben
und sich auch nicht um den Glauben bemühen, verzeiht. Ich sage dazu, dass die Barmherzigkeit
Gottes keine Grenzen hat, wenn sich jemand ehrlichen, zerknirschten Herzens an ihn
wendet. Das ist fundamental. Bei der Frage der Nichtglaubenden geht es um das Hören
auf das eigene Gewissen. Sünde ist auch beim Nichtglaubenden, wenn er gegen sein Gewissen
handelt. Auf es zu hören und ihm zu gehorchen bedeutet, sich angesichts des für gut
oder für böse Erkannten zu entscheiden. Und an dieser Entscheidung hängt Güte oder
Schlechtigkeit unseres Handelns.
Sie fragen mich auch, ob es ein Irrtum oder
eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Ich würde zunächst
auch für einen Glaubenden nicht von ,absoluter‘ Wahrheit sprechen – für den Christen
ist die Wahrheit die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus, also eine Beziehung! Und
jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt:
von seiner Geschichte, Kultur, seiner Lage usw. Das heißt nicht, dass Wahrheit subjektiv
oder veränderlich wäre, im Gegenteil. Aber sie gibt sich uns immer nur als Weg und
als Leben. Hat nicht Jesus selbst gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben?
Und schließlich fragen Sie, ob mit dem letzten Menschen von der Erde auch
der Gedanke an Gott verschwinden wird. Natürlich: Die Größe des Menschen besteht darin,
Gott denken zu können, also eine bewusste und verantwortliche Beziehung zu ihm zu
haben. Aber das ist eine Beziehung zwischen zwei Realitäten. Gott ist keine Idee,
Gott ist kein Ergebnis menschlichen Denkens. Gott ist eine Realität mit großem R.
Jesus zeigt ihn uns als Vater voller Güte und Barmherzigkeit. Gott hängt also nicht
von unserem Denken ab.
Verehrter Dr. Scalfari, ich hoffe, Sie sehen in meiner
provisorischen, aber ehrlichen Antwort eine Antwort auf Ihre Einladung, einen Teil
des Weges gemeinsam zu gehen. Glauben Sie mir: So langsam, untreu und voller Irrtümern
und Sünden die Menschen, die die Kirche bilden, auch waren und noch sind – die Kirche
hat doch keinen anderen Sinn und kein anderes Ziel als das, Jesus zu leben und zu
bezeugen. In brüderlicher Nähe,