2013-09-02 15:37:55

Kolumbien: „Friedensprozess muss ganze Gesellschaft mittragen“



RealAudioMP3 In der vergangenen Woche haben die kolumbianischen Farc-Rebellen die Friedensverhandlungen mit der Regierung unterbrochen, nachdem Präsident Juan Manuel Santos eine Volksbefragung über das erhoffte Abkommen angekündigt hatte. Seit November sitzen Vertreter beider Parteien in Havanna am Verhandlungstisch, um den längsten Aufstand Lateinamerikas zu beenden. Drohen die Verhandlungen jetzt zu scheitern? Monika Lauer Perez vom Kolumbienreferat des katholischen Hilfswerkes Adveniat schätzt die Lage im Gespräch mit Stefanie Stahlhofen so ein:

„Die Farc ist glaube ich sehr überrascht gewesen über diesen Vorstoß von Präsident Santos. Sie haben dann auch gesagt, dass es sehr einseitig war und nicht vorher besprochen worden war. Darin sahen sie einen gewissen Vertrauensbruch. Hinterher sind sie aber doch an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Sie haben zwar ihr Missfallen ausgedrückt, aber sie haben nicht zugelassen, dass das jetzt den ganzen Verhandlungsprozess stoppt.“

Warum möchte Präsident Santos denn ein mögliches Friedensabkommen an eine Volksbefragung knüpfen? Das war ja jetzt doch ein eher überraschender Vorstoß.

„Die Idee dahinter ist meiner Ansicht nach schon sehr gut: Das macht deutlich, dass für diesen Friedensprozess nicht nur einzelne Menschen oder Vertreter von Regierung und von Guerilla die Verantwortung tragen, sondern die ganze kolumbianische Gesellschaft. Das ist auch die Herausforderung für den ganzen Prozess: Wenn er nicht von der ganzen Gesellschaft mitgetragen wird, ist er aussichtslos. Also Farc und Regierung alleine können das nicht stemmen.“

Am Freitag haben die kolumbianischen Bischöfe nochmals zum Frieden und zur Fortsetzung der Verhandlungen aufgerufen – welche Rolle spielt das?

„Ich denke, dass die katholische Kirche in Kolumbien sehr gut daran getan hat, sich nicht in irgendeiner Weise an den Verhandlungen direkt zu beteiligen, sondern dann zur Verfügung zu stehen, wenn die Verhandlungen ins Stocken kommen. Das war jetzt so ein Moment. Dann hat die kolumbianische Kirche diesen Appell gestartet und wirklich auch noch einmal zur Einsicht aufgerufen: ,Ihr müsst jetzt auch sehen, dass wir alle gemeinsam diesen Friedensprozess unterstützen. Bitte hört Euch die Proteste an und nehmt wahr, was nicht in Ordnung ist’. Und sie hat sich auf der anderen Seite an die Protestierenden gewandt: ,Bitte missbraucht eure berechtigten Forderungen nicht, um neuerlich Gewalt einzusetzen.’ Das war ein sehr wichtiger Schritt, und man kann nur hoffen, dass er Gehör findet!“

Aktuell wurde ja eigentlich über einen anderen wichtigen Verhandlungspunkt diskutiert, nämlich darüber, wie die Guerilla entwaffnet werden sollen, wie die Verbrechen untersucht werden sollen, die begangen wurden, wie die Opfer entschädigt werden sollen und um die Frage, wie die zukünftige politische Beteiligung der FARC-Mitglieder aussehen kann. Welche Bedeutung hat das für die Verhandlungen?
„Für die Guerilla ist das natürlich eine sehr wichtige Frage. Ich denke, für die Farc ist es ein wichtiges Anliegen, als politische Kraft erhalten zu bleiben, auch wenn sie dann keinen bewaffneten Kampf mehr führen. So, wie es aussieht, ist die Regierung ja auch bereit, da zuzustimmen, sofern gewisse Vorgaben, wie zum Beispiel die Niederlegung der Waffen und so weiter, erfüllt werden.“

In dem Zusammenhang gab es in der vergangenen Woche eine wichtige Entscheidung vor Gericht: Das kolumbianische Verfassungsgericht hat ein Gesetz, bestätigt, das vorsieht, das Haftstrafen für Aufständische ausgesetzt oder verkürzt werden können, wenn diese ihre Waffen niederlegen. Ist das auch ein Impuls für die Verhandlungen?

„Das wird wahrscheinlich nicht ganz so einfach zu lösen sein. Ich denke, dass das für die Farc noch einmal ein großer Knackpunkt ist. Die Forderung ist natürlich berechtigt. Ich habe gelesen, dass der Führer der Farc gesagt hat: ,wir werden die Waffen nicht mehr gebrauchen.’ Er hat nicht gesagt, ,wir werden die Waffen niederlegen.’ Das sind ja zwei unterschiedliche Dinge. Bei solchen Aussagen muss man also sehr wohl hinhören. Ich denke, an dem Punkt ist man noch nicht zu einer Entscheidung gekommen Das wird sich noch etwas hinziehen.“

„Mit einer Brechstange kann man keinen Frieden machen“

Präsident Santos hat aber ja angekündigt, die Verhandlungen noch im Jahr 2013 abschließen zu wollen. Ist das überhaupt möglich?

Nein. Das halte ich für gänzlich unmöglich. Santos hat sich da selbst unter Druck gesetzt, das hätte er besser nicht getan: Wird ihm das nicht gelingen, dann wird das heftig an seiner Glaubwürdigkeit kratzen. Es ist ein Mammutprogramm: von sechs Punkten ist bisher erst beim ersten in den Grundzügen zu einer Übereinstimmung gekommen. Es ist gänzlich unmöglich ,das bis November durchzupeitschen und wenn, es irgendwie doch gelingen sollte, dann wäre das zu nichts gut: Man keinen Frieden mit der Brechstange machen.“

In der vergangenen Woche hat Präsindent Santos angekündigt, dass er auch mit den Ejército de Liberación Nacional (ELN) verhandeln will. Ist das nicht zu viel, jetzt noch ein anderes Fass aufzumachen?

„Ja und Nein. Es ist nicht wirklich ein anderes Fass, es ist eine andere Gruppierung, die ähnliche Forderungen wie die Farc stellt. Und es wäre auch eine Gefahr für den Friedensprozess, wenn Santos sie nicht miteinbeziehen würde. Die ELN hat ja auch eine Kondition erfüllt, die Präsident Santos gestellt hatte: Sie haben eine kanadische Geisel, die seit sieben Monaten in der Gewalt der ELN war, freigelassen – übrigens mit der Unterstützung eines Bischofs. Er war von der ELN gefragt worden, ob er die Geiselübergabe begleiten möchte. Das war auch ein Vertrauensbeweis für die Kirche.“

Wird also die Kirche auch weiterhin eine wichtige Rolle bei diesen Verhandlungen spielen?

„Das glaube ich ganz bestimmt. Weil die Kirche auch regional in Kolumbien häufig eine Art Mittlerrolle hat. Das heißt, das Bischöfe natürlich mit der Regierung, mit Streitkräften, wie aber auch mit der Guerilla, die dann in der Umgebung ist, im Dialog sind und dafür sorgen, dass die Gewalt da nicht zu groß wird. Ich denke, dass ist auch in dem großen Friedensprozess wichtig, dass die Kirche immer wieder bereitsteht, wenn ein Scheitern der Verhandlungen droht.“

Bei den Friedensverhandlungen melden sich außerdem jetzt auch die Opfer des bewaffneten Konfliktes zu Wort: Sie wollen der Regierung und der Guerilla-Organisation Farc 4.000 Vorschläge für einen nachhaltigen Frieden übergeben, die sie in den vergangenen zwei Monaten erarbeitet haben.

(rv 02.09.2013 sta)









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