Flüchtlinge in Deutschland: „In der Heimat Bomben, und hier geht es weiter“
„In der Heimat krachen
die Bomben herunter, und hier geht es dann weiter.“ So kommentiert der evangelische
Pfarrer Hartmut Wittig von Berlin-Hellersdorf die Anfeindungen gegen Bewohner einer
Asyl-Unterkunft in seiner Gemeinde, vor der seit Tagen Befürworter und Gegner, darunter
auch Rechtsradikale, protestieren. Im Gespräch mit dem Domradio Köln geht der Seelsorger
auf die Gefühle der Flüchtlinge ein, die teilweise auf der Flucht vor Krieg und Gewalt
nach Deutschland kamen:
„Die denken, sie sind endlich angekommen, und
dann geht das alles von vorne los auf andere Weise, das man um sein Leben fürchten
muss. In der Heimat krachen die Bomben herunter, und hier geht es dann weiter. Es
ist peinlich, dass da Menschen vor uns flüchten! Es ist aber schwierig, das differenziert
darzustellen. Verständnis kann man von den Flüchtlingen kaum erwarten, die kommen
ja aus schlimmen Situationen.“
Einige Flüchtlinge sollen die
Hellersdorfer Asyl-Unterkunft aus Angst vor Übergriffen bereits wieder verlassen haben.
Der Berliner Flüchtlingsrat sieht die Sicherheit dieser hilfsbedürftigen Menschen
in dem Heim akut gefährdet. Es sei „unverantwortlich“, in der jetzigen Situation dort
Flüchtlinge unterzubringen, sagte Sprecherin Martina Mauer im Berliner Hörfunk. Politik
und Kirche verurteilten die Anfeindungen der Asylsuchenden und rufen zu Standhaftigkeit
gegen rechte Stimmungsmache und zum Dialog auf. Die rechtsextreme Stimmungsmache in
Hellersdorf habe jahrelange Vertrauensarbeit zerstört, klagt Pfarrer Wittig:
„Ich
bin ja als Christ zur Feindesliebe aufgerufen. Aber ich sehe auch, dass die Grenzen
oft fließend sind, gerade bei Menschen, die Angst und Vorbehalte haben. Das wieder
aufzubauen, was mit den Protesten ganz fix kaputtgemacht wird, ist eine langwierige,
schwierige Angelegenheit. Das braucht viele Gespräche. Aber ich bin hoffnungsvoll.“
Zusammen mit der katholischen Gemeinde engagiert sich die evangelische
Kirche in Berlin-Hellersdorf im Netzwerk „Für Menschen in Hellersdorf in Not“, das
auch das nachbarschaftliche Kennenlernen fördert. Angesichts der aktuellen Notsituation
suche man derzeit händeringend aktive Nachbarn, die sich für die Flüchtlinge engagieren:
„Man
muss Menschen finden, die da mitmachen! Auch Dolmetscher brauchen wir. Das zieht sich.
Aber die schlimmen Ereignisse haben Folgen von Tag zu Tag. Wir empfinden uns hier
tatsächlich im Ausnahmezustand.“
Auch der evangelische Berliner Bischof
Markus Dröge rief am Mittwoch im Berliner Hörfunk dazu auf, das Gespräch mit besorgten
Anwohnern zu suchen. Zugleich bezeichnete er es als „Bürgerpflicht“, sich von den
wenigen radikalen Gegnern nicht beeindrucken zu lassen. Insgesamt haben laut der Polizei
vor dem Heim bislang rund 30 Rechtsradikale demonstriert, gegen sie gingen in Hellersdorf
hunderte Gegendemonstranten auf die Straße. Es sei Aufgabe auch der Christen, eine
„Wagenburgmentalität“ mancher Gegner des Heims „liebevoll aufzubrechen“ und sich für
Flüchtlinge einzusetzen, was in Hellersdorf auch der Fall sei. Der Bischof wies die
Behauptung zurück, im Umfeld solcher Heime gebe es mehr Kriminalität und Krankheiten.
Dies sei erfahrungsgemäß nicht der Fall. Dröge wandte sich zudem gegen Formulierungen
von Politikern, die „Lasten“ bei der Aufnahme von Flüchtlingen müssten gerecht verteilt
werden. Menschen aus Bürgerkriegsgebieten dürften nicht zuerst als Last gesehen werden,
sondern hätten einen Anspruch, menschlich behandelt zu werden.