Gebetsvigil in Rio: „Eine schönere Kirche, eine bessere Welt und eine gerechtere Gesellschaft“
Ungefähr zwei Millionen
junger Leute haben am Samstag Abend Ortszeit in Rio an der traditionellen Gebetsvigil
des Weltjugendtages teilgenommen. Papst Franziskus rief sie dazu auf, sich nicht nur
für Moden des Augenblicks zu interessieren, sondern die Zukunft selbst in die Hand
zu nehmen. Sie sollten „eine schönere Kirche, eine bessere Welt und eine gerechtere
Gesellschaft“ aufbauen. Musik, Glaubensbekenntnisse, kleine Theater-Aufführungen und
eine Eucharistische Anbetung gaben dem Ereignis am Copacabana-Strand ein sehr wechselhaftes
Gepräge.
Erstmals bei dieser Papstreise spielte das Wetter mit: Keine Spur
mehr von dem Regen, der eine Verlegung des Abendgebets von einem Gelände außerhalb
Rios an den berühmten Strand erzwungen hatte. Die bunte Choreographie bot mal kitschige,
mal anrührende Momente; Show-Elemente und ein beschwörender Ton ließen manchmal an
den Stil freikirchlicher Prediger denken, die der katholischen Kirche in Brasilien
viele Gläubige abgeworben haben. Jugendliche und junge Franziskaner bauten auf der
Strand-Bühne eine Holzkirche zusammen, ein früherer Drogensüchtiger berichtete, wie
er sich wieder mit der Kirche ausgesöhnt habe, und ein junger Mann im Rollstuhl rief
aus, er beziehe viel Kraft aus dem Anblick des Kreuzes. Immer wieder wurde die Feier
von Beifall, Sprechchören und Schreien unterbrochen; Nahaufnahmen des Fernsehens zeigten
viele Jugendliche mit Rosenkränzen in der Hand und Tränen in den Augen.
„Seid
keine Teilzeit-Christen, keine Spießer“
Papst Franziskus bezog sich
in seiner Predigt auf das Gleichnis Jesu vom Sämann. Er lud die Jugendlichen zu einer
Gewissenserforschung ein, ob das Wort Gottes bei ihnen auf fruchtbaren Boden oder
in die Dornen falle. „Auch heute noch braucht der Herr euch junge Menschen für seine
Kirche. Auch heute ruft er jeden von euch, ihm in seiner Kirche zu folgen und Missionar
zu sein... Welcher Boden sind wir oder wollen wir sein? Vielleicht sind wir manchmal
wie der Weg: Wir hören den Herrn, aber es ändert sich nichts im Leben, denn wir lassen
uns von vielen oberflächlichen Verlockungen, die wir hören, betäuben. Oder wie der
felsige Boden: Wir nehmen Jesus mit Begeisterung auf, aber wir sind unbeständig und
haben nicht den Mut, bei Schwierigkeiten gegen den Strom zu schwimmen. Oder wir sind
wie der Boden mit den Dornen: Die materiellen Dinge und die schlechte Leidenschaften
ersticken in uns die Worte des Herrn. Heute aber bin ich sicher, dass der Samen auf
guten Boden fällt, dass ihr guter Boden sein wollt, keine Teilzeit-Christen, keine
Spießer, nicht nur Fassade, sondern authentisch.“
Jesus lade uns ein, „in seiner
Mannschaft zu spielen“, so Franziskus mit einer Formulierung aus der Fussballersprache.
Aber um in Jesu Mannschaft zu spielen, müssten wir viel „trainieren“, und zwar durch
Gebet, die Sakramente und den Einsatz für andere. „Jesus bietet uns etwas Größeres
als den Weltcup! Er bietet uns die Möglichkeit eines fruchtbaren und glücklichen Lebens,
und er bietet uns auch eine Zukunft mit ihm, die kein Ende haben wird, das ewige Leben.
Aber wir müssen dafür „in Form bleiben“... Liebe junge Freunde, seid wahre „Athleten
Christi“!“ Wer an der Kirche mitbaue, sei nie allein. „In der Kirche Jesu sind wir
die lebendigen Steine, und Jesus bittet uns, seine Kirche aufzubauen; und nicht als
eine kleine Kapelle, die nur eine kleine Gruppe von Personen aufnehmen kann. Er bittet
uns, dass seine lebendige Kirche so groß sei, dass sie die ganze Menschheit aufnehmen
kann, dass sie ein Haus für alle sei!“
Papst ermuntert zu friedlichen
Demonstrationen
Er habe aufmerksam die Meldungen über Demonstrationen
junger Menschen in Brasilien und in anderen Teilen der Welt verfolgt, so der Papst
weiter. Bei den Protesten zeige sich „der Wunsch nach einer gerechteren und brüderlicheren
Gesellschaft“. Junge Leute wollten „Protagonisten des Wandels“ sein. Abweichend von
seinem Predigtmanuskript sagte Franziskus: „Ich ermuntere euch, in geordneter, friedlicher
und verantwortlicher Weise zu demonstrieren, motiviert von den Werten des Evangeliums!
Ihr überwindet damit die Apathie und gebt eine christliche Antwort auf die soziale
und politische Unruhe in euren Ländern.“ Junge Leute sollten sich „in der Geschichte
nicht hinten anstellen“, sondern selbst für Wandel sorgen; durch sie trete die Zukunft
in die Welt. Die Gebetsvigil war ein atmosphärischer Höhepunkt des 28. kirchlichen
Weltjugendtags. Viele Teilnehmer übernachteten am Strand, um schon gute Plätze für
die Sonntagsmesse mit Papst Franziskus zu haben.