Papst: „Brüderlichkeit unter Menschen ist keine Utopie“
Bei der Begegnung
mit brasilianischen Politikern und Vertretern aus Kultur und Wissenschaft hat der
Papst sie an ihre Verantwortung erinnert. Franziskus traf sie am Samstagmittag im
Stadttheater von Rio de Janeiro. Vor ihm sprachen der Erzbischof von Rio, Orani Joao
Tempesta, sowie Walmyr Júnior, ein knapp 30-jähriger ehemaliger Drogenabhängiger,
der durch die Hilfe der katholischen Kirche von der Sucht los kam und mittlerweile
erfolgreich ein Geschichtsstudium abgeschlossen hat. In seiner Ansprache sagte der
Papst:
„Wer in einer Nation eine verantwortungsvolle Rolle innehat, ist
berufen, die Zukunft anzupacken „mit dem ruhigen Blick eines, der die Wahrheit zu
sehen weiß“, wie der brasilianische Denker Alceu Amoroso Lima sagte („Nosso tempo“
in: „A vida sobrenatural e o mundo moderno“, Rio de Janiero, 1956, 106). Ich möchte
nun drei Punkte dieses ruhigen, sachlichen und weisen Blickes bedenken: erstens, die
Originalität einer kulturellen Tradition; zweitens, die solidarische Verantwortung,
die Zukunft aufzubauen und drittens, der konstruktive Dialog, um die Gegenwart zu
bewältigen.“
Die Kirche fördere eine ganzheitliche Humanisierung und die
Kultur der Begegnung und der Beziehung, so der Papst weiter: Hier überschneiden sich
Glaube und Vernunft, die religiöse Dimension mit den verschiedenen Aspekten der menschlichen
Kultur – Kunst, Wissenschaft, Arbeit, Literatur …
„Ein zweites Element,
das ich ansprechen möchte, ist die soziale Verantwortung. Diese erfordert eine gewisse
Art eines kulturellen und folglich politischen Vorbilds. Wir sind verantwortlich für
die Bildung neuer Generationen, die tüchtig sind in Wirtschaft und Politik und in
ethischen Werten feststehen. Die Zukunft verlangt von uns eine humanistische Sicht
der Wirtschaft und eine Politik, die immer mehr und immer besser die Beteiligung der
Bevölkerung verwirklicht, Formen des Elitebewusstweins vermeidet und die Armut ausmerzt.“
Dass
es niemandem am Nötigsten fehle und allen Würde, Brüderlichkeit und Solidarität gewährleistet
wird – das sei der zu beschreitende Weg, so der Papst. Wer eine Führungsrolle innehabe,
müsse ganz konkrete Ziele haben und nach den spezifischen Mitteln suchen, um diese
zu erreichen.
„Die Führungsspitze ist in der Lage, die beste der Optionen
zu wählen, nachdem sie sie alle aus der eigenen Verantwortung heraus und im Interesse
des Gemeinwohls erwogen hat. Das ist die Art, um zur Mitte der Übel einer Gesellschaft
vorzudringen und diese auch mit der Kühnheit mutiger und freier Handlungen zu überwinden.
In unserer – wenn auch stets begrenzten – Verantwortung ist es wichtig, die ganze
Wirklichkeit zu verstehen, indem man beobachtet, abwägt und beurteilt, um in der vorliegenden
Situation Entscheidungen zu treffen, dabei aber den Blick auf die Zukunft hin weitet
und über die Folgen der Entscheidungen nachdenkt.“
Zwischen der egoistischen
Gleichgültigkeit und dem gewaltsamen Protest gebe es eine Option, die immer möglich
sei, nämlich der Dialog zwischen den Generationen und der Dialog mit dem Volk. Ein
Land wachse, wenn seine verschiedenen kulturellen Reichtümer konstruktiv im Dialog
miteinander stünden.
„Exzellenzen, meine Damen und Herren, ich danke Ihnen
für Ihre Aufmerksamkeit. Nehmen Sie diese Worte auf als Ausdruck meiner Sorge als
Hirte der Kirche und der Liebe, die ich für das brasilianische Volk hege. Die Brüderlichkeit
unter den Menschen und die Zusammenarbeit, um eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen,
sind keine Utopie, sondern das Ergebnis eines gemeinsamen Bemühens aller zugunsten
des Gemeinwohls. Ich ermutige Sie in Ihrem Einsatz für das Gemeinwohl, das von Seiten
aller Weisheit, Klugheit und Großherzigkeit erfordert. Ich vertraue Sie dem Vater
im Himmel an und bitte ihn unter Anrufung der Fürsprache Unserer Lieben Frau von Aparecida,
alle Anwesenden sowie ihre Familien und Gemeinschaften im persönlichen Umfeld wie
am Arbeitsplatz mit seinen Gaben zu erfüllen.“