Schriftsteller Akhanli: „Türkei ist gespaltenes Land“
Die Demonstration
auf dem Taksim-Platz in Istanbul sind etwas Neues in der türkischen Geschichte. Das
sagt gegenüber dem Kölner Domradio der türkischstämmige Schriftsteller Dogan Akhanli,
der seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Die aktuellen Proteste in seinem Geburtsland
kommen für ihn wenig überraschend. Zu den Ursachen sagt Akhanli:
„Die Individualität
und Kreativität der Massenbewegung ist eine ganz neue Erfahrung für die Gesellschaft.
Und diese Individualität erstaunt alle, auch in Deutschland. Natürlich sind die Bäume
nicht der Hauptgrund, es geht um ganz andere Probleme. Diese Regierung hat es zwar
gewagt, sich mit den Kurden an einen Tisch zu setzen. Auf der anderen Seite vergisst
sie, dass diese Gesellschaft seit 90 Jahren ein westlich orientiertes, modernes und
säkulares Land ist.“
Dass so viele junge und gebildete Frauen bei den Protesten
teilnähmen, habe auch mit ihrer eigenen Angst zu tun, so Akhanli.
„Angst
davor, dass sich das Land in Richtung Islamisierung bewegt und sie sich nicht mehr
so frei bewegen können wie früher. Auf der einen Seite genießt die Regierung eine
unglaubliche Unterstützung der Bevölkerung, auf der anderen Seite schlägt ihr nun
unglaublicher Hass entgegen:weil sie ignoriert, dass auch diese Hälfte der Bevölkerung
ein Recht auf eigene Meinung und Lebensart hat.“
Ministerpräsident Recep
Tayyip Erdogan hat für diesen Mittwochnachmittag ein Treffen mit führenden Vertretern
der Protestbewegung angekündigt. Doch dürfte dieses angesichts der neuen Gewaltwelle
wieder in Frage gestellt sein. Erdogan wurde vor allem aus dem Ausland wegen seines
harten Vorgehens gegen die Demonstranten kritisiert. Er verteidigte den massiven Polizeieinsatz
mehrfach und sieht die Türkei als Opfer von Angriffen aus dem In- und Ausland.