2013-06-12 15:18:52

Interreligiöse Freundschaft: Rabbiner Skorka trifft Papst Franziskus


RealAudioMP3 Es war ihre erste Begegnung seit der Papstwahl: Der argentinische Rabbiner Abraham Skorka war an diesem Mittwoch in Rom und hat dabei erstmals wieder den heutigen Papst Franziskus getroffen. Die beiden haben vor einigen Jahren ein Gesprächsbuch zusammen veröffentlicht, das Zeugnis von ihrer Freundschaft gibt. Damals war Franziskus noch Kardinal Jorge Mario Bergoglio von Buenos Aires. Das Buch ist auf Deutsch mit dem Titel „Über Himmel und Erde“ im Riemann Verlag erschienen. Skorka leitet die Rabbinerschule in Buenos Aires. Vor Journalisten erklärte Skorka während einem Besuch bei Radio Vatikan, was für ihn das Entscheidende an einem interreligiösen Dialog ist, so wie er ihn mit dem jetzigen Papst geführt hat:

„Dialog bedeutet vor allem, sich in die Haut des anderen zu versetzen, also unsere Fähigkeit zur Empathie weiterzuentwickeln. In die Schuhe des anderen schlüpfen, ihn fühlen, versuchen zu denken wie er. Im Hebräisch der Bibel ist das Verb für „erkennen“ an einigen Stellen das Synonym für „lieben“. Eine Frau lieben oder Gott lieben. Das ist der beste Weg, um zu handfesten Elementen für eine bessere Zukunft zu kommen. Dialog muss soweit kommen, dass der eine dem anderen sein Herz aufschließt und dass der eine dem anderen hilft, auch wenn beide ganz unterschiedlicher Meinung sind. Dass man ohne Einschränkungen miteinander redet und dabei bis zu dem Punkt kommt, von dem an man nur noch schweigen kann – weil man in Übereinstimmung miteinander nicht mehr sagen kann, oder weil man sich tatsächlich vollkommen einig ist.“

Dialog ist der Schlüssel

Der Katholizismus ist in Argentinien immer noch die bei weitem vorherrschende Religionszugehörigkeit; die jüdische Gemeinschaft Argentiniens hingegen ist zwar die wohl wichtigste in Lateinamerika, hat aber nach einem Terroranschlag in den neunziger Jahren und der argentinischen Wirtschaftskrise in den Nullerjahren stark an Bedeutung verloren. Vor ein paar Jahrzehnten gab es noch achtzehn jüdische Gymnasien in Buenos Aires, mittlerweile sind es nur noch fünf. Das ist der Hintergrund für das interreligiöse Gespräch zwischen dem Rabbiner und dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires. Bis heute ist Abraham Skorka erstaunt darüber, wie sehr sich Bergoglio zurückzunehmen verstand, statt sich als Vertreter der Mehrheitsreligion zu präsentieren.

„Als ich mit meinem lieben Freund, dem heutigen Papst Franziskus – als wir das Dialogbuch geschrieben haben, da war und ist diese umfassende Vorstellung von Dialog der Schlüssel, um das Buch zu verstehen. Sie werden in dem Buch sehen, dass es kein Thema gab, so heikel es auch sein mochte, dass wir ausgespart hätten. Nichts, was Argentinien betraf, seine Politik, die Jahre der Militärdiktatur, nichts, was das Ausland betraf: den israelisch-palästinensischen Konflikt. Und auch nichts Religiöses, zum Beispiel: Was wird mit dem Zölibat passieren? Oder: Welche Haltung hatte Pius XII. zur Shoah? Wir haben alles in Ruhe analysiert und versucht, den jeweils anderen zu verstehen, ihm aber auch etwas Interessantes beizubringen. Ich könnte Ihnen unzählige Anekdoten darüber erzählen, was ich bei diesen Gesprächen alles gelernt habe – zum Beispiel, was der Moment des Todes bedeutet. Das habe ich von Bergoglio gelernt. In aller Bescheidenheit glaube ich doch, auch in seinem Herzen einige Samenkörner hinterlassen zu haben.“

Was der Moment des Todes bedeutet

Besonders Bergoglios Gedanken über den Tod hätten bei ihm Nachdenken ausgelöst, so der Rabbiner. Aus dem Gesprächsbuch selbst geht das nicht unbedingt hervor, aber Skorka erklärt den Hintergrund so:

„Als wir das Buch schrieben, sprachen wir miteinander, da stand ein Aufnahmegerät, und ein Journalist hat diese Aufnahmen dann abgeschrieben. Dieser ganze Prozess dauerte ein Jahr, und in diesem Jahr hat jeder von uns dreien einen lieben Menschen verloren. Dem Journalisten starb die Mutter, Bergoglio verlor einen seiner Brüder, und mir starb mein Schwager. Jeder von uns sah in diesem Jahr den anderen leiden. Es waren keine plötzlichen Tode, sondern immer mit Krankheit und viel Leid und Schmerz verbunden, für den Kranken selbst und für die Angehörigen. Als wir über das Thema Tod sprachen, gingen wir gerade alle drei intensiv mit diesem Thema um; da entwickelte Bergoglio gesprächsweise die Vorstellung vom Tod als der Übergabe des Geistes an den Vater. Das hört sich an wie ein sehr einfaches und offensichtliches und bekanntes Konzept an – aber alles hängt davon ab, wie und in welcher Haltung jemand etwas sagt. Ich habe Bergoglio begleitet, als dieser ging, um am aufgebahrten Leichnam seines Bruders zu beten… und auch dieser Moment gehört zum Dialog dazu. Aber das steht natürlich nicht im Buch.“


Und noch eine Anekdote erzählt der argentinische Rabbiner an diesem Mittwoch, kurz nach der Generalaudienz beim neuen Papst, seinem alten Freund:

„Als wir einmal mit so einer Sitzung für unser Buch angefangen haben, fragte Bergoglio den Journalisten: Und wie geht es Ihrer Mutter? Und dieser antwortete: Sie ist gestorben. Da verstummte Bergoglio und senkte den Blick, es entstand ein Schweigen, bei dem ich spürte: Genau das ist Empathie, Einfühlung in den anderen. Er fühlte den Schmerz des Journalisten mit und betete für die Seele seiner Mutter.“

(rv 12.06.2013 sk)







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