Es war ihre erste
Begegnung seit der Papstwahl: Der argentinische Rabbiner Abraham Skorka war an diesem
Mittwoch in Rom und hat dabei erstmals wieder den heutigen Papst Franziskus getroffen.
Die beiden haben vor einigen Jahren ein Gesprächsbuch zusammen veröffentlicht, das
Zeugnis von ihrer Freundschaft gibt. Damals war Franziskus noch Kardinal Jorge Mario
Bergoglio von Buenos Aires. Das Buch ist auf Deutsch mit dem Titel „Über Himmel und
Erde“ im Riemann Verlag erschienen. Skorka leitet die Rabbinerschule in Buenos Aires.
Vor Journalisten erklärte Skorka während einem Besuch bei Radio Vatikan, was für ihn
das Entscheidende an einem interreligiösen Dialog ist, so wie er ihn mit dem jetzigen
Papst geführt hat:
„Dialog bedeutet vor allem, sich in die Haut des anderen
zu versetzen, also unsere Fähigkeit zur Empathie weiterzuentwickeln. In die Schuhe
des anderen schlüpfen, ihn fühlen, versuchen zu denken wie er. Im Hebräisch der Bibel
ist das Verb für „erkennen“ an einigen Stellen das Synonym für „lieben“. Eine Frau
lieben oder Gott lieben. Das ist der beste Weg, um zu handfesten Elementen für eine
bessere Zukunft zu kommen. Dialog muss soweit kommen, dass der eine dem anderen sein
Herz aufschließt und dass der eine dem anderen hilft, auch wenn beide ganz unterschiedlicher
Meinung sind. Dass man ohne Einschränkungen miteinander redet und dabei bis zu dem
Punkt kommt, von dem an man nur noch schweigen kann – weil man in Übereinstimmung
miteinander nicht mehr sagen kann, oder weil man sich tatsächlich vollkommen einig
ist.“
Dialog ist der Schlüssel
Der Katholizismus ist in
Argentinien immer noch die bei weitem vorherrschende Religionszugehörigkeit; die jüdische
Gemeinschaft Argentiniens hingegen ist zwar die wohl wichtigste in Lateinamerika,
hat aber nach einem Terroranschlag in den neunziger Jahren und der argentinischen
Wirtschaftskrise in den Nullerjahren stark an Bedeutung verloren. Vor ein paar Jahrzehnten
gab es noch achtzehn jüdische Gymnasien in Buenos Aires, mittlerweile sind es nur
noch fünf. Das ist der Hintergrund für das interreligiöse Gespräch zwischen dem Rabbiner
und dem damaligen Erzbischof von Buenos Aires. Bis heute ist Abraham Skorka erstaunt
darüber, wie sehr sich Bergoglio zurückzunehmen verstand, statt sich als Vertreter
der Mehrheitsreligion zu präsentieren.
„Als ich mit meinem lieben Freund,
dem heutigen Papst Franziskus – als wir das Dialogbuch geschrieben haben, da war und
ist diese umfassende Vorstellung von Dialog der Schlüssel, um das Buch zu verstehen.
Sie werden in dem Buch sehen, dass es kein Thema gab, so heikel es auch sein mochte,
dass wir ausgespart hätten. Nichts, was Argentinien betraf, seine Politik, die Jahre
der Militärdiktatur, nichts, was das Ausland betraf: den israelisch-palästinensischen
Konflikt. Und auch nichts Religiöses, zum Beispiel: Was wird mit dem Zölibat passieren?
Oder: Welche Haltung hatte Pius XII. zur Shoah? Wir haben alles in Ruhe analysiert
und versucht, den jeweils anderen zu verstehen, ihm aber auch etwas Interessantes
beizubringen. Ich könnte Ihnen unzählige Anekdoten darüber erzählen, was ich bei diesen
Gesprächen alles gelernt habe – zum Beispiel, was der Moment des Todes bedeutet. Das
habe ich von Bergoglio gelernt. In aller Bescheidenheit glaube ich doch, auch in seinem
Herzen einige Samenkörner hinterlassen zu haben.“
Was der Moment des
Todes bedeutet
Besonders Bergoglios Gedanken über den Tod hätten bei ihm
Nachdenken ausgelöst, so der Rabbiner. Aus dem Gesprächsbuch selbst geht das nicht
unbedingt hervor, aber Skorka erklärt den Hintergrund so:
„Als wir das Buch
schrieben, sprachen wir miteinander, da stand ein Aufnahmegerät, und ein Journalist
hat diese Aufnahmen dann abgeschrieben. Dieser ganze Prozess dauerte ein Jahr, und
in diesem Jahr hat jeder von uns dreien einen lieben Menschen verloren. Dem Journalisten
starb die Mutter, Bergoglio verlor einen seiner Brüder, und mir starb mein Schwager.
Jeder von uns sah in diesem Jahr den anderen leiden. Es waren keine plötzlichen Tode,
sondern immer mit Krankheit und viel Leid und Schmerz verbunden, für den Kranken selbst
und für die Angehörigen. Als wir über das Thema Tod sprachen, gingen wir gerade alle
drei intensiv mit diesem Thema um; da entwickelte Bergoglio gesprächsweise die Vorstellung
vom Tod als der Übergabe des Geistes an den Vater. Das hört sich an wie ein sehr einfaches
und offensichtliches und bekanntes Konzept an – aber alles hängt davon ab, wie und
in welcher Haltung jemand etwas sagt. Ich habe Bergoglio begleitet, als dieser ging,
um am aufgebahrten Leichnam seines Bruders zu beten… und auch dieser Moment gehört
zum Dialog dazu. Aber das steht natürlich nicht im Buch.“
Und noch
eine Anekdote erzählt der argentinische Rabbiner an diesem Mittwoch, kurz nach der
Generalaudienz beim neuen Papst, seinem alten Freund:
„Als wir einmal mit
so einer Sitzung für unser Buch angefangen haben, fragte Bergoglio den Journalisten:
Und wie geht es Ihrer Mutter? Und dieser antwortete: Sie ist gestorben. Da verstummte
Bergoglio und senkte den Blick, es entstand ein Schweigen, bei dem ich spürte: Genau
das ist Empathie, Einfühlung in den anderen. Er fühlte den Schmerz des Journalisten
mit und betete für die Seele seiner Mutter.“