Kardinal Vegliò: Gegen eine Politik der Abschottung
„In Flüchtlingen und
gewaltsam Vertriebenen Christus aufnehmen“, das ist der Titel der fast 70 Seiten umfassenden
neuen Richtlinien für die Migranten-Seelsorge, die an diesem Donnerstag im Vatikan
präsentiert wurden. Der Päpstliche Rat Cor Unum und der Päpstliche Rat der Seelsorge
für Migranten und Menschen unterwegs erarbeiteten das Dokument gemeinsam. Im Zentrum
steht die Seelsorge für Flüchtlinge und gewaltsam Vertriebene: Asylsuchende, Evakuierte,
Opfer des Menschenhandels oder der Zwangsarbeit, sowie Kindersoldaten. Im Gespräch
mit Radio Vatikan erklärte der Vorsitzende des Päpstlichen Rates für die Migrantenseelsorge,
Kardinal Antonio Maria Vegliò:
„In der Welt von heute hat sich die Migration
geändert. In der Vergangenheit war es sehr viel einfacher, zwischen freiwilliger und
erzwungener Migration zu unterscheiden, zwischen denen, die fortgingen, um eine bessere
Arbeit oder eine bessere Ausbildung zu finden und denen, deren Leben von Verfolgung
bedroht war. Mittlerweile sind einige Formen der gewaltsamen Vertreibung offensichtlicher
geworden, zum Beispiel die Flucht innerhalb des eigenen Landes, oder die Probleme
der Heimatlosen. Wir achten mittlerweile auch mehr auf die Folgen des Klimawandels
oder auf das beklagenswerte Phänomen des Menschenhandels. All das kann sogar noch
zu einem Anstieg der Migrationsströme führen.“
Nach aktuellen Schätzungen
verlassen etwa 100 Millionen Menschen ihre Heimat gegen ihren Willen. Sie alle seien
besonders schutzbedürftig, so Kardinal Vegliò. Das Verhalten einiger Regierungen
und auch der Öffentlichkeit gegenüber diesen Menschen stehe dazu oft in krassem Gegensatz:
„Tatsächlich wird der Versuch, diejenigen, die um Asyl bitten, aufzuhalten,
immer stärker. Das scheint mit der Knackpunkt der Flüchtlingsfrage zu sein, viel mehr
noch als die Gründe für ihre Flucht.“
Allen Menschen unterwegs, den Asylbewerbern
und Flüchtlingen, müssten ein angemessenes Verfahren, ein fairer Prozess und die grundlegenden
Rechte zugestanden werden. So dass sie ein freies, menschenwürdiges, selbständiges
Leben führen können und in der Lage sind, sich dieses neue Leben in einer anderen
Gesellschaft aufzubauen, heißt es in den neuen Richtlinien für die Migrantenseelsorge.
Vegliò sieht hier nicht nur die Kirche, sondern auch die Regierungen in der Pflicht:
„Der
Heilige Stuhl betont, neben anderen, die folgenden Aspekte: Die Armen sollten ins
Zentrum der Politik gerückt werden, als Personen, die genauso viel Würde haben wie
alle anderen auch; deshalb sollten sie genauso wie alle anderen an wichtigen Entscheidungen
beteiligt werden. Die öffentlichen Hilfen für Arme sollten gesteigert werden, und
die Schulden der stark verschuldeten und weniger entwickelten Länder erlassen werden
– und zwar unter solchen Bedingungen, dass sie sich nicht gleich wieder verschulden.
Außerdem muss eine Reform des Finanzmarktes auf den Weg gebracht werden, so dass die
Märkte sich auch in Entwicklungsländern entwickeln können. […] Der Kampf gegen die
Korruption muss verstärkt werden. Die Rüstungskosten sollten sinken, und stattdessen
müsste mehr in die Forschung für Medikamente gegen AIDS, gegen Tuberkulose, Malaria
oder andere Tropenkrankheiten investiert werden.”
Obwohl alle Menschen
die nötigen Mittel bekommen sollten, um die Grundbedürfnisse des Lebens zu stillen,
existierten fundamentale Ungleichgewichte im Weltwirtschaftssystem, die korrigiert
werden müssten, so Vegliò. Die Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951 garantiere
die Menschenrechte ausreichend, allerdings werde die Konvention nicht von allen Regierungen
beachtet oder umgesetzt, so der Vorsitzende des Päpstlichen Rates für die Migrantenseelsorge.
Hintergrund: Das aktuelle Dokument „In Flüchtlingen und gewaltsam
Vertriebenen Christus aufnehmen“ ist eine Aktualisierung der Veröffentlichung von
1992 „Flüchtlinge, eine Herausforderung an die Solidarität“. Es soll Seelsorgern in
der Kirche, katholischen Organisationen, die sich mit den verschiedenen Hilfs- und
Förderungsprogrammen für Flüchtlinge und Vertriebene befassen, sowie allen Gläubigen
und allen Männern und Frauen guten Willens als Richtschnur dienen.