2013-06-03 14:57:54

Türkei: „Kein türkischer Frühling“


RealAudioMP3 Die Proteste in mehreren türkischen Großstädten sind auch am vergangenen Wochenende nicht abgerissen. Bis in die Nacht zum Montag lieferten sich Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei. Was mit Unmut über den geplanten Neubau eines Einkaufszentrums in Istanbul begann, hat sich inzwischen zu einem breiteren Protest gegen die von vielen als autoritär empfundene islamisch-konservative Regierung Recep Tayyip Erdoğan ausgewachsen. Von einem „türkischen Frühling“ zu sprechen, wäre jedoch unangemessen, unterstreicht der Seelsorger der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Paul in Istanbul. Pater Christian Rolke sagte an diesem Montag im Interview mit Radio Vatikan:

„Ich glaube nicht, dass das mit anderen Ländern zu vergleichen ist, das ist etwas Türkei-Spezifisches. Was ich natürlich wahrnehme ist, dass der Konflikt weiter gefördert wird, dass sehr viel darüber berichtet wird, der Wunsch da ist, das es weiter geht. Es hängt natürlich davon ab, wie weiter die Regierung reagiert, wie dabei vorgegangen wird, es ist noch sehr offen. Was ich spüre, ist eine Unsicherheit der Leute, die sich auch zum Teil sehr verunsichert fühlen. Deshalb wünsche ich mir, dass es im Sinne eines Dialoges weitergeht und nicht in Form einer Eskalation – weil letztlich alle Seiten daran Schaden nehmen, und es letztlich dann auch der Türkei sehr schadet.“

Die Europäische Union hatte angesichts der gespannten Lage zu Dialog aufgerufen; sie verurteilte das gewaltsame Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstranten. Der türkische Ministerpräsident rief die Bevölkerung an diesem Montag zur Ruhe auf: Die Menschen sollten sich nicht von „extremistischen Elementen“ provozieren lassen, die die Demonstrationen organisiert hätten, sagte Erdoğan vor Journalisten. Er zeigte sich zuversichtlich, dass sich die Lage wieder beruhige. Pater Rolke beobachtet, dass die aktuellen Proteste an Fahrt gewonnen haben, es gehe nicht nur allein um ein Bauvorhaben:

„Ich denke, dass da in vielschichtiger Weise verschiedene Themen mit dazugekommen sind, dass die Proteste ein Stein des Anstoßes gewesen sind und dass sich in diesem Zuge daraus jetzt so eine Bewegung entwickelt hat, an die sich mehr Menschen anschließen. Und natürlich haben auch soziale Medien und auch ausländische Nachrichtenagentur mit dazu beigetragen, dass dieser Protest auch größer geworden ist.“

Die politische Opposition nutze die Gelegenheit, um ihre Kritik an der Regierung in diesen Tagen "sehr stark" zum Ausdruck zu bringen, so der Geistliche weiter. Ein Thema im Zuge der geplanten Verfassungsreform sei etwa Stellung der ethnischen und religiösen Minderheiten in der Türkei. Die Regierung sei in diesem Kontext im Gespräch mit Minderheitenvertretern, so Rolke, der auch aus seinem eigenen Gemeindeleben erzählt:

„Ich sage mal: der Ansatz ist positiv. Was am Ende dort herauskommt, ist nochmals offen. Was meine Kirche, die römisch-katholische, betrifft: Wir genießen keinen Rechtsstatus, aber als Gemeindepfarrer kann ich meine Gottesdienste feiern und mich seelsorglich um die Gemeindemitglieder in der deutschen Sprache in guter Weise kümmern.“

Unruhen in mehreren Städten
Unruhen gab es am Wochenende in mehreren türkischen Städten. Laut CNN nahm die türkische Polizei mehrere hundert oppositionelle Demonstranten in Gewahrsam. Im europäischen Teil Istanbuls gab es den Berichten zufolge Straßenkämpfe im Stadtteil Besiktas, wo sich das Istanbuler Büro des türkischen Ministerpräsidenten befindet. In einer nahen Moschee sei eine Krankenstation eingerichtet worden, um Verletzte zu behandeln. In der Stadt Izmir attackierten Protestierer ein Büro der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP mit Brandsätzen. Auch in Ankara kam es am Sonntag zu Unruhen.

(rv/faz-online 03.06.2013 pr)








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