Die Proteste in mehreren
türkischen Großstädten sind auch am vergangenen Wochenende nicht abgerissen. Bis in
die Nacht zum Montag lieferten sich Demonstranten Straßenschlachten mit der Polizei.
Was mit Unmut über den geplanten Neubau eines Einkaufszentrums in Istanbul begann,
hat sich inzwischen zu einem breiteren Protest gegen die von vielen als autoritär
empfundene islamisch-konservative Regierung Recep Tayyip Erdoğan ausgewachsen. Von
einem „türkischen Frühling“ zu sprechen, wäre jedoch unangemessen, unterstreicht der
Seelsorger der deutschsprachigen katholischen Gemeinde St. Paul in Istanbul. Pater
Christian Rolke sagte an diesem Montag im Interview mit Radio Vatikan:
„Ich
glaube nicht, dass das mit anderen Ländern zu vergleichen ist, das ist etwas Türkei-Spezifisches.
Was ich natürlich wahrnehme ist, dass der Konflikt weiter gefördert wird, dass sehr
viel darüber berichtet wird, der Wunsch da ist, das es weiter geht. Es hängt natürlich
davon ab, wie weiter die Regierung reagiert, wie dabei vorgegangen wird, es ist noch
sehr offen. Was ich spüre, ist eine Unsicherheit der Leute, die sich auch zum Teil
sehr verunsichert fühlen. Deshalb wünsche ich mir, dass es im Sinne eines Dialoges
weitergeht und nicht in Form einer Eskalation – weil letztlich alle Seiten daran Schaden
nehmen, und es letztlich dann auch der Türkei sehr schadet.“
Die Europäische
Union hatte angesichts der gespannten Lage zu Dialog aufgerufen; sie verurteilte das
gewaltsame Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstranten. Der türkische
Ministerpräsident rief die Bevölkerung an diesem Montag zur Ruhe auf: Die Menschen
sollten sich nicht von „extremistischen Elementen“ provozieren lassen, die die Demonstrationen
organisiert hätten, sagte Erdoğan vor Journalisten. Er zeigte sich zuversichtlich,
dass sich die Lage wieder beruhige. Pater Rolke beobachtet, dass die aktuellen Proteste
an Fahrt gewonnen haben, es gehe nicht nur allein um ein Bauvorhaben:
„Ich
denke, dass da in vielschichtiger Weise verschiedene Themen mit dazugekommen sind,
dass die Proteste ein Stein des Anstoßes gewesen sind und dass sich in diesem Zuge
daraus jetzt so eine Bewegung entwickelt hat, an die sich mehr Menschen anschließen.
Und natürlich haben auch soziale Medien und auch ausländische Nachrichtenagentur mit
dazu beigetragen, dass dieser Protest auch größer geworden ist.“
Die politische
Opposition nutze die Gelegenheit, um ihre Kritik an der Regierung in diesen Tagen
"sehr stark" zum Ausdruck zu bringen, so der Geistliche weiter. Ein Thema im Zuge
der geplanten Verfassungsreform sei etwa Stellung der ethnischen und religiösen Minderheiten
in der Türkei. Die Regierung sei in diesem Kontext im Gespräch mit Minderheitenvertretern,
so Rolke, der auch aus seinem eigenen Gemeindeleben erzählt:
„Ich sage mal:
der Ansatz ist positiv. Was am Ende dort herauskommt, ist nochmals offen. Was meine
Kirche, die römisch-katholische, betrifft: Wir genießen keinen Rechtsstatus, aber
als Gemeindepfarrer kann ich meine Gottesdienste feiern und mich seelsorglich um die
Gemeindemitglieder in der deutschen Sprache in guter Weise kümmern.“
Unruhen
in mehreren Städten Unruhen gab es am Wochenende in mehreren türkischen
Städten. Laut CNN nahm die türkische Polizei mehrere hundert oppositionelle Demonstranten
in Gewahrsam. Im europäischen Teil Istanbuls gab es den Berichten zufolge Straßenkämpfe
im Stadtteil Besiktas, wo sich das Istanbuler Büro des türkischen Ministerpräsidenten
befindet. In einer nahen Moschee sei eine Krankenstation eingerichtet worden, um Verletzte
zu behandeln. In der Stadt Izmir attackierten Protestierer ein Büro der islamisch-konservativen
Regierungspartei AKP mit Brandsätzen. Auch in Ankara kam es am Sonntag zu Unruhen.