Ein historischer Besuch:
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill von Moskau war in China. Und dort hat er nicht
nur die Orthodoxen besucht – es sind einige tausend, nicht mehr –, sondern er ist
sogar vom neuen Staats- und Parteichef Xi Jinping empfangen worden. So etwas hat es
seit Gründung der Volksrepublik nicht gegeben – kein einziges Mal: Pekings Präsident
trifft in der „Großen Halle des Volkes“ einen ausländischen Kirchenführer. Kyrill
kommt wohl zugute, dass Russland auf internationaler Bühne der wichtigste Verbündete
Chinas ist. Präsident und Patriarch lobten nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur
RIA Novosti vor allem die Qualität der russisch-chinesischen Beziehungen. Radio Vatikan
hat über Kyrills Visite mit dem Mailänder Kirchenhistoriker Agostino Giovagnoli gesprochen.
„Die
heutige orthodoxe Kirche in China ist das Ergebnis der politischen Spaltung zwischen
China und der Sowjetunion im Jahr 1956; damals entstand diese Kirche, die sich von
Moskau abgespalten hat. Das Patriarchat von Moskau versucht nun, an die alte Verbindung
wieder anzuknüpfen, und durch den Besuch Kyrills sind die Voraussetzungen für eine
solche Operation jetzt gegeben. Es ist eine sehr kleine Kirche, sie hat keinen Priester
mehr, denn der einzige chinesisch-orthodoxe Priester ist schon verstorben; in der
Regel sind sie Nachfahren russischer Einwanderer aus den letzten Jahrhunderten.“
Kyrill
ging es im Reich der Mitte darum, für die Orthodoxen in China einen rechtlichen Status
zu erhalten – und die Moskauer Jurisdiktion über sie bald wiederherzustellen.
„Und
das ist eine Operation, die in ihrer Bedeutung über die geringe Zahl der orthodoxen
Gläubigen in China weit hinausgeht. Hier will ein Patriarchat, das außerhalb des chinesischen
Territoriums liegt, wieder Autorität über Gläubige in China beanspruchen – wenn das
gelänge, wäre das eine Errungenschaft von historischer Tragweite, wie auch schon Kyrills
Besuch selbst und seine Audienz beim Präsidenten. Aus meiner Sicht ist das das überraschendste
Resultat dieser Visite: Seit Maos Zeiten 1949 hat der Präsident der Volksrepublik
China noch nicht ein einziges Mal einen religiösen Führer von diesem Level empfangen,
und erst recht keinen ausländischen Führer einer christlichen Kirche. Hier handelt
es sich also um eine Öffnung, die schon für sich entschieden überraschend ist, von
möglichen konkreten Folgen einmal ganz abgesehen.“
Ein ausländischer Kirchenführer,
der Autorität über Christen in China beansprucht, ist auch der Papst. Wird also auch
Franziskus einmal nach Peking reisen können? War Kyrill der Eisbrecher für den Vatikan
in Peking? Schwer zu sagen, im Moment. Das Verhältnis des Heiligen Stuhls zur Volksrepublik
China derzeit gründlich verfahren – auch weil der Vatikan zu den wenigen Staaten gehört,
die Klein-China, also Taiwan, diplomatisch anerkennen. Noch komplizierter wird das
Tableau dadurch, dass auch zwischen dem Papst und dem Patriarchen von Moskau in den
letzten Jahrzehnten noch nie ein Treffen zustande gekommen ist.
„In gewisser
Hinsicht ist die Lage der Orthodoxen in China durchaus mit der der katholischen Kirche
in China vergleichbar. Da sind zum einen die Probleme, die alle religiösen Bekenntnisse
in China haben und die mit der staatlichen Kontrolle der Religionen zu tun haben.
Zusätzlich stellt sich auch noch das Problem einer Verbindung mit einer geistlich-religiösen
Autorität von außerhalb der Landesgrenzen. Das ist etwas, das – wie jeder weiß – das
Leben der chinesischen Katholiken seit jeher belastet: Die Behörden blicken auf sie
voller Misstrauen, weil sie aus chinesischem Blickwinkel einer ‚ausländischen’ Macht
gehorchen, dem Papst nämlich; darum gelten sie mit ihren Aktivitäten als eine Art
Einmischung in die chinesische Gesellschaft. In analoger Weise haben die Orthodoxen
Schwierigkeiten, wenn sie Verbindungen nach Moskau aufrechterhalten wollen. Da handelt
es sich zum Beispiel um die Ausbildung von orthodoxen Priestern, die nur in Moskau
geschehen kann, weil es dafür natürlich in China keinerlei Strukturen gibt. Diese
Verbindungen treffen in China auf große Feindschaft, weil sie sich nicht mit der Religion
vertragen, so wie das kommunistische Regime in Peking sie definiert!“
Auch
hier ist dem 66-jährigen Kyrill ein Durchbruch gelungen: Die Behörden sagten ihm zu,
dass Moskau zwei Chinesen zu Priestern für China ausbilden darf. Da dürfte es wohl
auch kein Problem mehr darstellen, dem Regime eine offizielle Anerkennung der Orthodoxie
als Religionsgemeinschaft abzuringen. Bisher sind in China nur fünf religiöse Gruppen
anerkannt: Buddhismus, Katholizismus, Protestantismus, Islam und die einheimische
Tao-Religion. Der Gründer der römischen Basisgemeinschaft Sant`Egidio, Andrea Riccardi,
hofft nun, dass irgendwann auch mal ein Papstbesuch in China möglich wird. Das schrieb
er unlängst im „Corriere della Sera“. Aus dem Vatikan gibt es bislang keinen Kommentar
dazu. Frage an den Experten Giovagnoli: War es für die Chinesen vielleicht einfacher,
auf die Orthodoxen zuzugehen, weil die ja – anders als die Katholiken – nicht nur
einen einzigen, zentralen Kirchenführer haben? Seine Antwort:
„Das stimmt
zwar. In der Praxis allerdings bestreitet keiner, dass die Orthodoxen in China, wenn
es um einen Bezugspunkt im Ausland geht, ausschließlich dem Moskauer Patriarchat zuzuordnen
sind. Denn Chinas Orthodoxe sind ja allesamt Nachfahren russischer Einwanderer. Bis
1956 (also auch noch sieben Jahre nach Gründung der Volksrepublik) war diese Verbindung
zur Moskauer Kirche auch noch offiziell anerkannt.“