Wie ist er denn so,
der neue Papst? Das fragen sich auch genau zwei Monate nach der Wahl des Argentiniers
viele, in Rom und anderswo. Einer, der Jorge Mario Bergoglio gut kennt, ist sein langjähriger
Weggefährte Juan Carlos Scannone. Der 83-jährige Jesuit traf den heutigen Papst im
Jahr 1957. „Ich war sein Lehrer für Griechisch, als er noch Seminarist war.“ Bergoglio
war damals zwanzig: „Er hatte schon die Matura gemacht, aber ohne Latein und Griechisch
und „Humanidades“, darum musste er zwei Jahre als Latinist im Kleinen Seminar verbringen;
danach ist er in die „Gesellschaft Jesu eingetreten“.
Pater Scannone gilt
als einer der Mitbegründer der lateinamerikanischen Befreiungstheologie; sein gutes
Deutsch rührt von Studienzeiten in Innsbruck und München her. Seinen jungen Konfrater
Bergoglio hat er im Lauf der Jahre immer wieder getroffen. Sein Eindruck: „Er ist
ein Mann, der betet. Ein spiritueller Mensch. Das ist das Erste. Und als Jesuit beherrscht
er auch die Unterscheidung der Geister, das kommt hinzu. Als er Erzbischof von Buenos
Aires war, da „regierte“ er mehr geistlich, wie ein Hirte, nicht wie ein Politiker.“
Dass Franziskus jetzt im Vatikan ziemlich einfach auftrete, sei keine Verstellung:
So sei Bergoglio immer schon gewesen, sagt Pater Scannone. „Zum Beispiel kann er
Auto fahren und hat in seiner Zeit als Rektor nie einen Chauffeur benötigt. Später
als Erzbischof ist er dann, im Gegensatz zu anderen Bischöfen, ganz auf Bus und U-Bahn
umgestiegen und völlig ohne Auto ausgekommen! Er ist einfach, arm.“
Die
„vorrangige Option für die Armen“, die sich die Kirche Lateinamerikas nach dem Konzil
auf die Fahnen geschrieben hat – Jorge Mario Bergoglio setzte sie um, sogar als Erzbischof.
Lateinamerikas ersten Theologenkongress über die Frage der Inkulturation des Evangeliums
habe einstmals der Jesuitenrektor Bergoglio in San Miguel organisiert. „Er besuchte
oft die Elendsviertel und unterstützte die hier tätigen Seelsorger immer, selbst wenn
diese von der Drogenmafia verfolgt waren.“ Priester und Pastoralarbeiter habe
Bergoglio auf die Straße - etwa auf die Bahnhofsplätze der argentinischen Hauptstadt
- geschickt, nach dem Motto: Wartet nicht darauf, bis die Leute zu euch in die Kirche
kommen, sondern geht zu ihnen. Hintergrund dieser Haltung ist, zumindest in Scannones
Sicht, die Theologie der Befreiung in ihrer argentinischen Ausprägung der „teologia
del pueblo“ (Theologie des Volkes). Sie gehe davon aus, dass die Armen Ideen von Gemeinwohl,
Frieden und Gerechtigkeit besser bewahrt haben als die Mittel- und Oberschicht, die
meist nach Europa und in die USA blicken. Auch Volksfrömmigkeit sei beim einfachen
Volk am ehesten anzutreffen. Entsprechend sei für Bergoglio etwa die Marienverehrung
viel mehr als Folklore oder Andacht, sondern Evangelisierung durch das Volk selbst,
so Pater Scannone.
In Bergoglios schwierigster Zeit, während der Militärdiktatur,
wohnten Pater Scannone und er im selben Haus: Bergoglio war Provinzial der Jesuiten
in Argentinien. „Darum haben wir oft gesprochen, und ich habe selbst erlebt, dass
er alles tat, um zunächst zu wissen, wer jemanden festgenommen hatte. Das konnte nämlich
die Marine sein, das Heer, die Polizei oder die Luftwaffe – die operierten alle unabhängig
voneinander.“ Im Fall von zwei verhafteten Jesuiten, Jalicks und Yorio, habe Bergoglio
damals schließlich erfahren, dass dahinter die Marine steckte. „Und dann hat er
alles Mögliche getan, um sie befreien zu lassen! Der Bischof, der Vikar für diese
Zone von Buenos Aires, und Bergoglio selbst haben alles Mögliche getan, und Gott sei
Dank wurden sie später freigelassen, auch wenn sie ins Ausland gehen mussten wegen
der Gefahr, nochmals festgenommen zu werden. Aber wirklich, er hat alles getan! Und
als er später nicht mehr Provinzial war, sagte er öffentlich, wie froh er sei, dass
kein Jesuit ermordet worden sei.“
Auf Pater Scannone wirkt Jorge Mario
Bergoglio seit der Wahl zum Papst glücklicher denn je: „Sein Gesicht strahlt jetzt
noch viel mehr als früher. Theologisch könnte man sagen, man sieht ihm den Heiligen
Geist an!“ Er sei bis heute beeindruckt von Bergoglios konzentriertem Arbeiten,
so Pater Scannone: Innerhalb fünf Minuten habe der heutige Papst an einem theologischen
Artikel gearbeitet, gleichzeitig die Wäsche gewachsen und andere in geistlichen Fragen
beraten - wie ein 'Ein-Mann-Orchester'. Sehr am Herzen liege Bergoglio das Gespräch
der Religionen: Ihm sei es zu verdanken, dass Argentinien heute als eines von wenigen
Ländern weltweit einen Dialog zwischen Muslimen und Judentum habe. An einem Institut
im Erzbistum Buenos Aires legen katholische, protestantische und jüdische Bibelwissenschaftler
zusammen die Bibel aus, erarbeiten bibelpastorales Material, bieten Bibelkurse für
Arme an. Zum Leiter des Instituts hat Erzbischof Bergoglio einen laisierten Priester
gemacht.
Die Wahl des argentinischen Papstes habe in seiner Heimat zu Euphorie
geführt, bis heute: „Die ganze Bevölkerung, auch die nichtkatholische oder gegenüber
dem Glauben gleichgültige, ist sehr froh darüber. Etwa in der Karwoche und Osterzeit
sind viele wieder zur Beichte gekommen, die jahrelang keinen Kontakt mehr mit der
Kirche hatten." Eine Lücke sei durch Bergoglios Abgang nach Rom nicht entstanden,
glaubt Pater Scannone, schließlich sei Mario Aurelio Poli, der neue Erzbischof von
Buenos Aires und frühere Weihbischof Bergoglios, dessen „Schüler“.