2013-05-14 10:24:04

Ein Mann, der betet - und einen Führerschein hat


RealAudioMP3 Wie ist er denn so, der neue Papst? Das fragen sich auch genau zwei Monate nach der Wahl des Argentiniers viele, in Rom und anderswo. Einer, der Jorge Mario Bergoglio gut kennt, ist sein langjähriger Weggefährte Juan Carlos Scannone. Der 83-jährige Jesuit traf den heutigen Papst im Jahr 1957. „Ich war sein Lehrer für Griechisch, als er noch Seminarist war.“ Bergoglio war damals zwanzig: „Er hatte schon die Matura gemacht, aber ohne Latein und Griechisch und „Humanidades“, darum musste er zwei Jahre als Latinist im Kleinen Seminar verbringen; danach ist er in die „Gesellschaft Jesu eingetreten“.

Pater Scannone gilt als einer der Mitbegründer der lateinamerikanischen Befreiungstheologie; sein gutes Deutsch rührt von Studienzeiten in Innsbruck und München her. Seinen jungen Konfrater Bergoglio hat er im Lauf der Jahre immer wieder getroffen. Sein Eindruck: „Er ist ein Mann, der betet. Ein spiritueller Mensch. Das ist das Erste. Und als Jesuit beherrscht er auch die Unterscheidung der Geister, das kommt hinzu. Als er Erzbischof von Buenos Aires war, da „regierte“ er mehr geistlich, wie ein Hirte, nicht wie ein Politiker.“ Dass Franziskus jetzt im Vatikan ziemlich einfach auftrete, sei keine Verstellung: So sei Bergoglio immer schon gewesen, sagt Pater Scannone. „Zum Beispiel kann er Auto fahren und hat in seiner Zeit als Rektor nie einen Chauffeur benötigt. Später als Erzbischof ist er dann, im Gegensatz zu anderen Bischöfen, ganz auf Bus und U-Bahn umgestiegen und völlig ohne Auto ausgekommen! Er ist einfach, arm.“

Die „vorrangige Option für die Armen“, die sich die Kirche Lateinamerikas nach dem Konzil auf die Fahnen geschrieben hat – Jorge Mario Bergoglio setzte sie um, sogar als Erzbischof. Lateinamerikas ersten Theologenkongress über die Frage der Inkulturation des Evangeliums habe einstmals der Jesuitenrektor Bergoglio in San Miguel organisiert. „Er besuchte oft die Elendsviertel und unterstützte die hier tätigen Seelsorger immer, selbst wenn diese von der Drogenmafia verfolgt waren.“ Priester und Pastoralarbeiter habe Bergoglio auf die Straße - etwa auf die Bahnhofsplätze der argentinischen Hauptstadt - geschickt, nach dem Motto: Wartet nicht darauf, bis die Leute zu euch in die Kirche kommen, sondern geht zu ihnen. Hintergrund dieser Haltung ist, zumindest in Scannones Sicht, die Theologie der Befreiung in ihrer argentinischen Ausprägung der „teologia del pueblo“ (Theologie des Volkes). Sie gehe davon aus, dass die Armen Ideen von Gemeinwohl, Frieden und Gerechtigkeit besser bewahrt haben als die Mittel- und Oberschicht, die meist nach Europa und in die USA blicken. Auch Volksfrömmigkeit sei beim einfachen Volk am ehesten anzutreffen. Entsprechend sei für Bergoglio etwa die Marienverehrung viel mehr als Folklore oder Andacht, sondern Evangelisierung durch das Volk selbst, so Pater Scannone.

In Bergoglios schwierigster Zeit, während der Militärdiktatur, wohnten Pater Scannone und er im selben Haus: Bergoglio war Provinzial der Jesuiten in Argentinien. „Darum haben wir oft gesprochen, und ich habe selbst erlebt, dass er alles tat, um zunächst zu wissen, wer jemanden festgenommen hatte. Das konnte nämlich die Marine sein, das Heer, die Polizei oder die Luftwaffe – die operierten alle unabhängig voneinander.“ Im Fall von zwei verhafteten Jesuiten, Jalicks und Yorio, habe Bergoglio damals schließlich erfahren, dass dahinter die Marine steckte. „Und dann hat er alles Mögliche getan, um sie befreien zu lassen! Der Bischof, der Vikar für diese Zone von Buenos Aires, und Bergoglio selbst haben alles Mögliche getan, und Gott sei Dank wurden sie später freigelassen, auch wenn sie ins Ausland gehen mussten wegen der Gefahr, nochmals festgenommen zu werden. Aber wirklich, er hat alles getan! Und als er später nicht mehr Provinzial war, sagte er öffentlich, wie froh er sei, dass kein Jesuit ermordet worden sei.“

Auf Pater Scannone wirkt Jorge Mario Bergoglio seit der Wahl zum Papst glücklicher denn je: „Sein Gesicht strahlt jetzt noch viel mehr als früher. Theologisch könnte man sagen, man sieht ihm den Heiligen Geist an!“ Er sei bis heute beeindruckt von Bergoglios konzentriertem Arbeiten, so Pater Scannone: Innerhalb fünf Minuten habe der heutige Papst an einem theologischen Artikel gearbeitet, gleichzeitig die Wäsche gewachsen und andere in geistlichen Fragen beraten - wie ein 'Ein-Mann-Orchester'. Sehr am Herzen liege Bergoglio das Gespräch der Religionen: Ihm sei es zu verdanken, dass Argentinien heute als eines von wenigen Ländern weltweit einen Dialog zwischen Muslimen und Judentum habe. An einem Institut im Erzbistum Buenos Aires legen katholische, protestantische und jüdische Bibelwissenschaftler zusammen die Bibel aus, erarbeiten bibelpastorales Material, bieten Bibelkurse für Arme an. Zum Leiter des Instituts hat Erzbischof Bergoglio einen laisierten Priester gemacht.

Die Wahl des argentinischen Papstes habe in seiner Heimat zu Euphorie geführt, bis heute: „Die ganze Bevölkerung, auch die nichtkatholische oder gegenüber dem Glauben gleichgültige, ist sehr froh darüber. Etwa in der Karwoche und Osterzeit sind viele wieder zur Beichte gekommen, die jahrelang keinen Kontakt mehr mit der Kirche hatten." Eine Lücke sei durch Bergoglios Abgang nach Rom nicht entstanden, glaubt Pater Scannone, schließlich sei Mario Aurelio Poli, der neue Erzbischof von Buenos Aires und frühere Weihbischof Bergoglios, dessen „Schüler“.

(kap/herder-korrespondenz/rv 13.05.2013 sk)







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