Räume der Begegnung mit Christus - die Papstpredigt im Volltext
Sie lesen hier die Predigt des Heiligen Vaters in der Eucharistiefeier mit den Bruderschaften
in einer offiziellen deutschen Übersetzung im Volltext.
Liebe Brüder und Schwestern,
im
Zuge des Jahres des Glaubens freut es mich, diese Eucharistie speziell für
die Bruderschaften zu feiern – ein traditionsreiches Element in der Kirche, das in
jüngster Zeit eine Erneuerung und eine Wiederentdeckung erfahren hat. Ich begrüße
euch alle von Herzen, besonders die aus verschiedenen Teilen der Welt angereisten
Bruderschaften! Danke für eure Anwesenheit und für euer Zeugnis! 1. Im Evangelium
haben wir eine Passage aus den Abschiedsreden Jesu gehört, die der Evangelist Johannes
im Kontext des Letzten Abendmahls wiedergibt. Jesus vertraut den Aposteln seine letzten
Gedanken wie ein geistliches Testament an, bevor er von ihnen geht. Der heutige Text
betont nachdrücklich, dass der christliche Glaube ganz auf die Beziehung zum Vater,
zum Sohn und zum Heiligen Geist ausgerichtet ist. Wer Jesus, den Herrn, liebt, nimmt
ihn und den Vater in seinem Innern auf, und dank dem Heiligen Geist empfängt er das
Evangelium in seinem Herzen und in seinem Leben. Hier wird uns die Mitte gezeigt,
von der alles ausgehen und zu der alles hinführen muss: Gott lieben und Jünger Christi
sein, indem man das Evangelium lebt. Benedikt XVI. hat euch gegenüber das Wort „Evangelientreue“
gebraucht. Liebe Bruderschaften, die Volksfrömmigkeit, die in euch einen bedeutenden
Ausdruck findet, ist ein Schatz, den die Kirche besitzt und den die lateinamerikanischen
Bischöfe bezeichnenderweise eine Spiritualität, eine Mystik genannt haben, die ein
„Raum der Begegnung mit Jesus Christus“ ist. Schöpft immer aus der unerschöpflichen
Quelle, die Christus ist, stärkt euren Glauben, indem ihr für eure geistliche Bildung
sorgt und das persönliche wie gemeinschaftliche Gebet und die Liturgie pflegt. Über
Jahrhunderte sind die Bruderschaften Schmiede der Heiligkeit vieler Menschen gewesen,
die in Einfachheit eine intensive Beziehung zum Herrn gelebt haben. Geht entschlossen
den Weg der Heiligkeit; gebt euch nicht mit einem mittelmäßigen christlichen Leben
zufrieden, sondern eure Zugehörigkeit sei vor allem für euch ein Ansporn, Jesus Christus
mehr zu lieben. 2. Auch der Abschnitt aus der Apostelgeschichte, den wir gehört
haben, spricht zu uns vom Wesentlichen. In der werdenden Kirche ergab sich sofort
die Notwendigkeit zu unterscheiden, was wesentlich ist für das Christsein, für die
Nachfolge Christi, und was nicht. Die Apostel und die anderen Ältesten hielten in
Jerusalem eine wichtige Versammlung, ein erstes „Konzil“ zu diesem Thema ab wegen
der Probleme, die aufgetaucht waren, nachdem das Evangelium den Heiden, den Nichtjuden
verkündet worden war. Das war eine günstige Gelegenheit, um zu begreifen, was wesentlich
ist, nämlich an Jesus Christus zu glauben, der für unsere Sünden gestorben und auferstanden
ist, und einander zu lieben, wie er uns geliebt hat. Doch beachtet, dass die Schwierigkeiten
nicht außerhalb, sondern innerhalb der Kirche überwunden wurden. Und darin liegt ein
zweites Element, an das ich euch, wie seinerzeit Benedikt XVI., erinnern möchte: die
Kirchlichkeit. Die Volksfrömmigkeit ist ein Weg, der zum Wesentlichen führt, wenn
sie in der Kirche in tiefer Gemeinschaft mit euren Hirten gelebt wird. Liebe Brüder
und Schwestern, die Kirche liebt euch! Seid eine aktive Gegenwart in der Gemeinde
als Zellen voller Leben, als lebendige Steine. Die lateinamerikanischen Bischöfe haben
geschrieben, dass die Volksfrömmigkeit, deren Ausdruck ihr seid, „eine legitime Weise
ist, den Glauben zu leben, eine Art, sich als Teil der Kirche zu fühlen“ (Dokument
von Aparecida, 264). Liebt die Kirche! Lasst euch von ihr führen! Seid in den
Pfarreien, in den Diözesen eine wahre „Lunge“ des Glaubens und des christlichen Lebens!
Ich sehe auf diesem Platz eine große Vielfalt der Farben und Zeichen. So ist die Kirche:
eine große und reiche Vielfalt an Ausdrucksformen, in denen alles auf die Einheit
zurückgeführt wird, auf die Begegnung mit Christus. 3. Ich möchte noch ein drittes
Wort hinzufügen, das euch kennzeichnen muss: das Missionsstreben. Ihr habt einen besonderen
und wichtigen Auftrag, nämlich die Beziehung zwischen dem Glauben und den Kulturen
der Völker, denen ihr angehört, lebendig zu erhalten, und ihr tut dies durch die Volksfrömmigkeit.
Wenn ihr zum Beispiel mit großer Verehrung und Liebe gegenüber dem Herrn den Gekreuzigten
in einer Prozession tragt, dann vollzieht ihr nicht eine bloß äußerliche Handlung,
sondern weist auf die Zentralität des österlichen Geheimnisses des Herrn – seines
Leidens, Sterbens und Auferstehens – hin, das uns erlöst hat, und zeigt zuallererst
euch selbst und der Gemeinde, dass man auf dem konkreten Lebensweg Christus nachfolgen
muss, damit er uns verwandelt. Ebenso weist ihr, wenn ihr die tiefe Verehrung für
die Jungfrau Maria zum Ausdruck bringt, auf die erhabenste Verwirklichung des christlichen
Lebens hin – auf die Frau, welche durch ihren Glauben und durch ihren Gehorsam gegenüber
dem Willen Gottes sowie durch ihr Betrachten des Wortes und Handels Jesu die vollkommene
Jüngerin des Herrn ist (vgl. Lumen gentium, 53). Diesen Glauben, der aus dem
Hören auf das Wort Gottes hervorgeht, bringt ihr in Formen zum Ausdruck, welche die
Sinne, die Gefühle und die Symbole der verschiedenen Kulturen einbeziehen… Und auf
diese Weise tragt ihr dazu bei, ihn den Menschen zu vermitteln, besonders den einfachen,
denen, die Jesus im Evangelium „die Kleinen“ nennt. Tatsächlich ist „das gemeinsame
Pilgern zu den Wallfahrtsorten und die Teilnahme an anderen Ausdrucksformen der Volksfrömmigkeit,
wenn man auch die Kinder mitnimmt und andere Menschen mit einbezieht, in sich selbst
ein Akt der Evangelisierung“ (Dokument von Aparecida, 264). Seid auch ihr wirkliche
Boten des Evangeliums! Mögen eure Initiativen „Brücken“ sein, Wege, die zu Christus
führen, um mit ihm zu gehen. Und achtet in diesem Geist immer auf die Nächstenliebe.
Jeder Christ und jede Gemeinschaft ist in dem Maße missionarisch, in dem sie das Evangelium
bringt und lebt und die Liebe Gottes zu allen, besonders zu den Notleidenden bezeugt.
Seid Missionare der zärtlichen Liebe Gottes! Evangelientreue, Kirchlichkeit, Missionsstreben.
Bitten wir den Herrn, dass er unseren Geist und unser Herz immer auf ihn hin ausrichte,
als lebendige Steine der Kirche, damit all unser Tun, unser ganzes christliches Leben
ein strahlendes Zeugnis seiner Barmherzigkeit und Liebe sei. Und so werden wir dem
Ziel unserer irdischen Pilgerschaft entgegengehen, dem himmlischen Jerusalem. Dort
gibt es keinen Tempel mehr: Gott selbst und das Lamm sind ihr Tempel; und an die Stelle
des Lichtes von Sonne und Mond tritt die Herrlichkeit des Höchsten. So sei es.