2013-05-05 12:41:33

Menschen in der Zeit: Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius


RealAudioMP3 Friedrich Christian Delius wurde 1943 in Rom geboren, wo sein Vater Pfarrer an der Deutschen Evangelischen Kirche war. Nach dem Beruf des Lektors entschied er sich für die freie Schriftstellerei. 2011 wurde er mit dem Georg-Büchner-Preis geehrt, dem bedeutendsten Literaturpreis im deutschen Sprachraum. Er lebt in Berlin und Rom. In diesen Tagen feiert er seinen 70. Geburtstag.


Wenn man Menschen verstehen will, stellt man ihnen gerne die erste Frage über ihr Elterhaus: welche Erinnerungen tragen Sie mit besonderer Nachhaltigkeit an Ihre Mutter, an Ihren Vater?

„Meine Sicht als Schriftsteller ist natürlich immer eine differenzierte, die versucht alle Aspekte zu sehen und zu berücksichtigen. Dass ich geprägt worden bin durch das evangelische Pfarrhaus, das sieht man meiner Art wie ich mich gebe und wie ich auftrete an. Auch meinem Schreiben. Ich habe daran gute Erinnerungen und gute Prägungen, aber auch weniger gute Erinnerungen. Ich habe versucht darüber zu schreiben, unter anderem in meinem Buch “Der Sonntag an dem ich Weltmeister wurde”, wo ich aus der Sicht eines 11-Jährigen, vom Stand des Bewusstseins eines 11-Jährigen
über meine Eltern geschrieben habe”.


Wie haben Sie zum Beispiel die Doppelrolle Ihres Vaters als evangelischer Pfarrer und leiblicher Vater als Kind aufgenommen?

„Ja, das ist eine ganz schwierige Geschichte, die man als Kind nicht so genau bemerkt, die man erst versteht, wenn man später darüber nachdenkt und versucht, sich über seine frühen Gefühle klar zu werden. Diese Doppelrolle ist schon etwas Schwieriges, d.h. man weiß ja nie so genau:
spricht nun die göttliche Autorität durch ihn, oder spricht er jetzt als der leibliche Vater. Das hat sicher dazu beigetragen, dass ich auch immer ein recht schwieriges Verhältnis mit meinem Vater hatte, was ich nie richtig mit ihm aussprechen konnte, weil er schon recht früh starb, nämlich mit 48 Jahren – da war ich siebzehn. Also ich konnte mich nicht mehr mit ihm darüber und über anderes auseinandersetzen”.

Während Sie über Ihren Vater kein Buch geschrieben haben, haben Sie über Ihre Mutter aber eine Erzählung geschrieben: In diesem Buch über Ihre Mutter schildern Sie in einem einzigen langen Satz den Gang einer hochschwangeren Frau durch die Straßen Roms…..Hatten Sie eine engere Bindung mit Ihrem Vater oder mit der Mutter?

„Ich hatte insofern eine engere mit meiner Mutter, als viele Jahre länger mit ihr gelebt habe als mit meinem Vater und sie deshalb besser und näher kannte. Dass ich ihre Geschichte geschrieben habe, im Jahre 1943 in Rom, ist eigentlich auch der Versuch, das Leben dieser Eltern in Rom damals, also im faschistischen Rom und nicht im Nazi-Deutschland, zu beschreiben und näher zu erfassen. Es ist ja auch die Liebesgeschichte dieser Eltern”.

Als 10-Jähriger – so schreiben Sie in einem Selbstportrait - geben Sie als Beruf ‘Dichter’ an. Nach und nach gewinnen Sie – ich zitiere - mit ‘gelähmter Zunge’ die Macht über die Wörter. Können Sie und diesen inneren, psychologischen Werdegang kurz beschreiben?

„„Mit gelähmter Zunge” heißt, dass ich als Kind ein starker Stotterer war, sehr schüchtern und mich nicht getraut habe zu reden, was ich aber auch im nachhinein sehe als eine gewisse Vorsicht im Umgang mit den Worten, eine gewisse Sorgfalt, dass ich mir länger überlegt habe, vielleicht als andere, was ich sage und wann ich etwas sage. Das ist jetzt die positive Formulierung. Und dass ich dann doch so viele Wörter und Formulierungen in mir gespeichert habe, dass ich dann in der Pubertät anfangen konnte, das aus mir herauszulassen und in Gedichte und dann nach und nach auch in Litratur umzusetzen”.

Mit 35 Jahren haben Sie die Lektorenarbeit aufgegeben und sind freier Schriftsteller geworden. War das ein natürlicher Schritt auf Ihrem Berufsweg oder ein mutiger Sprung ins Wasser?

„In unserer Generation haben wir nie an so etwas wie Karriere gedacht, also ich bin nicht einem Plan gefolgt, sondern ich habe mir gedacht, ich möchte eigentlich versuchen, nachdem ich eben acht Jahre Lektor war, ob ich schreiben kann. Ich hatte bis dahin noch keine Prosa geschrieben, noch keinen Roman geschrieben, ich hatte eine Idee von einem Roman, und dachte: ich will das mal fünf Jahre probieren, und wenn es dann nicht geht, wenn ich keinen Erfolg habe, wenn ich verzweifle an dem, was ich da vorhabe, dann kann ich immer noch Lektor bleiben. Insofern habe ich das eher lässig angegangen, nicht als Sprung ins Wasser. Ich gehöre ja noch zu der Generation, die das Privileg hatte, dass sie auf dem Arbeitsmarkt willkommen war. Ich hätte auch bei vielen anderen Verlagen als Lektor weiter arbeiten können. Der Versuch, meine eigene Stimme zu finden und zu entwickeln und nicht nur sozusagen der Helfer und Diener von anderen Autoren zu sein”.

Friedrich Christian Delius, Sie sind Autor von knapp 30 Büchern, die den Gang der deutschen Geschichte von der Studentenrevolte bis in die Gegenwart hinein beschreiben. Über 20 Jahre trennen uns bereits von
politisch-sozialen Großereignissen wie die Wiedervereinigung Deutschlands und beinahe ein halbes Jahrhundert von den berühmt-berüchtigen 68-Jahren.
Sie sind Zeuge einer Zeit, die Europa verändert hat und Sie haben diese Zeit durch Ihre Literatur erklärbar gemacht. Hat die Gesellschaft die Politik verändert oder umgekehrt, die Politik die Gesellschaft?

„Das ist für mich eine akademische Frage. Ich denke, dass diese 68er Bewegungen in den verschiedenen Ländern, in de USA, in Frankreich, Italien und natürlich auch in Prag die Gesellschaften sehr verändert haben und im wesentlichen doch einen guten Schritt vorangebracht haben. Auch sogar unter kapitalistischen Begriffen war das eine Modernisierung. Die ganze Unternehmenswelt z.B. hat sich verändert, die früher viel autoritärer war, die Unternehmer-Wirtschaft ist eine Manager-Wirtschaft geworden, um von der Studentenrevolte einmal gar nicht zu reden. Es hat sich vieles aus der Zeit der Starre herausentwickelt. In Deutschland hat es zusätzlich die Rede über die verdrängte Vergangenheit belebt und das war dringend notwendig”.

Wer war eigentlich in den 68er Jahren auf der richtigen, wer auf der falschen Seite?

„Ja, wobei ich eigentlich wenig anfangen kann mit ‚die Linke’ und ‚die Rechte’. Ich rede lieber von den einzelnen Menschen, darüber kann ich reden. Wenn ich meine Generation angucke – die hat natürlich auch gelernt, sehr viel gelernt. Und zwar, dadurch dass einige, ganz wenige, sich so radikal der Gewalt zugewandt haben, haben viele gelernt, was es heißt, eine ordentliche Verfassung zu haben, wie sie das Grundgesetz der Bundesrepublik zum Beispiel darstellt. Ich denke, das ist in Italien auch nicht viel anders gewesen. Dass man einfach gelernt hat, wie wichtig eine liberale, demokratische Verfassung ist, wie hoch dieses Gut ist, was wir in einer Demokratie haben, was anderswo erkämpft wird. Also, ich sehe ganz viele aus meiner 68er Generation, die sehr hellhörig dadurch geworden sind für alles was antidemokratisch sich in verschiedensten Ländern entwickelt, die dort dagegen protestieren, die aus den 68er Jahren sehr viel gelernt haben”.

Hat sich die deutsche Wiedervereinigung, das hervorragenste Ereignis Europas, wenn nicht der Welt, in der Realität bereits vollzogen?

„Selbstverständlich besteht auch ein Land wie Deutschland in seiner Verschiedenheit. Die Schlewig-Holsteiner und die Bayern haben sich bis heute auch nicht besonders vereinigt und deshalb müssen die Sachsen mit den Leuten vom Niederrhein auch nicht einig oder jedenfalls ähnlich sein. Das ist ja immer eine Sache die im Fluss ist, dass sich Menschen in einem Land aneinander reiben und hie und da auch Vorteile haben gegeneinander. Das ist ganz normal. Denken Sie an Nord- und Süditalien, das ist ja heute noch eine viel größere Differenz als zwischen dem früheren Westdeutschland und dem früheren Ostdeutschland”.

Haben die Menschen von heute die Privilegien, die unsere Generation in Europa erleben durfte – Frieden, Wachstum, Wohlstand – in der rechten Weise genützt?

„Ich denke, was meine Generation noch zu wenig getan hat, ist, der folgenden zu vermitteln, wie wichtig diese Privilegien sind und dass sie nicht selbstverständlich sind. Dass sie in der Geschichte erkämpft wurden, mit sehr viel Blut, mit sehr viel Unterdrückung. Und das weiter zu geben, dass man an einer Demokratie ständig arbeiten muss, und nicht einfach sagen kann, wir wollen hundert Prozent haben, das hat meine Generation noch versäumt, aber das kann ja noch nachgeholt werden”.


Vor zwei Jahren wurden Sie mit dem Gerog-Büchner-Preis geehrt, dem bedeutendsten Leiteratur-Preis im deutschen Sprachraum. Die deutsche Akademie für Sprache und Dichtung begründete dies u.a. damit, dass Sie als kritischer, findiger und erfinderischer Beobachter in Ihren Romanen und Erzählungen, die Geschichte der deutschen Bewusstseinslage im 20. Jahrhundert erforscht haben. Bei der Verleihung des Büchnerpreises hat mich eine Aussage von Ihnen sehr beeindruckt: Sie sagten bei dieser Gelegenheit: ‚Ich freue mich mehr als ich sagen kann’. Das ist ein nicht alltägliches Bekenntnis für einen Literaten, dem dieser bedeutende Literaturpreis zuerkannt wird.

„Ja, so war das. Wenn ich daran zurückdenke, wie ich da angefangen habe als 16-17Jähriger meine Gedichtchen zu schreiben und das Schöne und das Mühsame dieser Anfänge mich versucht habe, durch das Schreiben mich selber,also meine Identität zu finden, und wenn man das ein paar Jahrzehnte gemacht hat, und auch ein paar Prügel dafür eingesteckt hat, Prügel auch von der literarischen Kritik, ich meine damit auch oft sehr böse Angriffe literararischer Art, dann fühlt man doch auf einmal, dass man sagen kann, o.k. Du hast es eigentlich ganz gut gemacht”.

Herr Delius, Sie sprechen vor dem Mikrophon von Radio Vatikan, dem Sender des Papstes. Wie haben Sie den Papstwechsel rein emotional wahrgenommen?

„Ich war natürlich wie alle also höchst überrascht über diesen Rücktritt und über diese Art des Rücktritts und noch über diese schnelle Art. Ich war ebenso überrascht, dass da ein neuer Papst auftritt, der offenbar andere Wege, neue Wege gehen will: also das ist doch ein ganz erheblicher Wechsel und wir werden sehen, was dabei herauskommt”.

Die alte Sehnsucht der Menschen nach Orientierung und Geborgenheit ist auch im 21. Jahrhundert nicht geringer geworden. Wie kann und wie muss die Kirche in Ihren Augen wieder anziehender, aktraktiver, ja glaubhafter werden? Welche Funktion hat der Glaube in unserer Zeit?

„Ich bin eigentlich nicht jemand, der darauf Antworten geben kann, Ich habe -sagen wir einmal- in meiner Jugend eine Überdosis an Religion mitbekommen, sodass ich mich in diesen Fragen doch eher zurückhalte. Ich will auch niemandem -auch keiner der verschiedenen Kirchen - irgendwelche Vorschläge machen. Das sollen diese selbst entwickeln aus ihren eigenen Möglichkeiten und aus ihrer eigenen Vorstellungskraft. Ich möchte mich da nicht zu einem Ratgeber aufschwingen”.

(ap 05.05.2013 ap)







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