D: Bertelsmann-Religionsmonitor erschienen, "Religion weiterhin prägend"
Eine Mehrheit der Deutschen findet religiöse Vielfalt bereichernd, sieht darin aber
auch eine Ursache für Konflikte. Das ist eines der Ergebnisse des neuen „Religionsmonitors“
der Bertelsmann Stiftung. Es gäbe allerdings große Vorbehalte gegenüber dem Islam,
so die Stiftung in einer Pressemitteilung vom Sonntag.
Rund 85 Prozent der
Menschen in Deutschland sagen, dass man allen Religionen gegenüber offen sein sollte
– in den westlichen Bundesländern sind es sogar 87 Prozent. 60 Prozent der Befragten
empfinden die wachsende religiöse Vielfalt als eine Bereicherung. Allerdings erkennen
noch mehr Befragte (64 Prozent) darin eine Ursache für Konflikte.
Für die
repräsentative Studie zur gesellschaftlichen Bedeutung von Religion und Werten wurden
in Deutschland sowie in zwölf anderen Ländern umfangreiche Daten erhoben. Die Ergebnisse
zeigen, dass die Zentren hoher Religiosität heute außerhalb Europas liegen: die Türkei
(82 Prozent), Brasilien (74 Prozent) Indien (70 Prozent) und die USA (67 Prozent)
weisen die größten Anteile derjenigen auf, die angeben „mittel“, „ziemlich“ oder „sehr
religiös“ zu sein. In Schweden (28 Prozent) und Israel (31 Prozent) liegt dieser Wert
am niedrigsten. Deutschland liegt mit 57 Prozent der Personen, die dies angeben, in
der Mitte (Ostdeutschland 26 Prozent, Westdeutschland 64 Prozent).
Doch auch
in Deutschland und Europa ist die Mehrheit der Menschen religiös. „Religion ist ein
wesentlicher Faktor für das Denken und Handeln der Menschen, denn sie gibt Orientierung
und Sinn“, betont Liz Mohn, stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes der Bertelsmann
Stiftung. Man solle aber nicht vergessen, dass unterschiedliche Religionen, wenn sie
aufeinanderstoßen, auch Konfliktpotenzial besitzen.
So sehen 51 Prozent der
Befragten in Deutschland den Islam eher als Bedrohung an, in Ostdeutschland, wo es
kaum Muslime gibt, sind sogar 57 Prozent dieser Auffassung. Auch das Judentum halten
19 Prozent der Befragten in Deutschland für eine Bedrohung. „Für die negative Einschätzung
nicht-christlicher Religionen sind offenbar echte Begegnungen weniger entscheidend
als die Stereotype, die über sie verbreitet werden“, erklärt Stephan Vopel, Programmleiter
der Bertelsmann Stiftung. „Die Daten des Religionsmonitors belegen, dass der persönliche
Kontakt mit Menschen anderer Religionen eng verbunden ist mit einer höheren Aufgeschlossenheit
ihnen gegenüber.“
Insgesamt fällt auf, dass die Ablehnung des Islam ein Phänomen
der westlichen Welt zu sein scheint. So fühlen sich die Menschen auch in Spanien (60
Prozent), den USA (42 Prozent), der Schweiz (50 Prozent) und Israel (76 Prozent) vom
Islam bedroht; deutlich weniger stark dagegen jene in Südkorea (16 Prozent) oder Indien
(30 Prozent). Auf der anderen Seite nehmen 32 Prozent der Befragten in der Türkei
und 27 Prozent der Israelis das Christentum als Bedrohung wahr. 50 Prozent der Befragten
in Deutschland lehnen die Aussage ab, dass der Islam in die westliche Welt passe.
Die höchsten Ablehnungswerte finden sich in Europa in Spanien mit 65 Prozent und in
der Schweiz mit 58 Prozent, der niedrigste Wert findet sich in Großbritannien mit
45 Prozent.
Neben dem persönlichen Kontakt mit Menschen anderer Religionen
hängen auch eine höhere Bildung sowie eine bessere wirtschaftliche Lage mit größerer
Offenheit gegenüber anderen Religionen zusammen. Zudem wirkt der eigene Glaube als
Brückenbauer: So neigen religiöse Menschen eher dazu, die zunehmende religiöse Vielfalt
als Bereicherung wahrzunehmen.
Der Religionsmonitor macht noch ein Weiteres
deutlich: Eine überwältigende Zustimmung zur Demokratie als Regierungsform und zur
Trennung von Religion und Politik über alle Glaubensrichtungen hinweg. Hierin unterscheiden
sich die Ergebnisse in Deutschland kaum von denen der übrigen untersuchten Länder.
Die höchste Zustimmung zur Demokratie findet sich in Schweden (95 Prozent), die niedrigste
mit immerhin 79 Prozent in Großbritannien. In Deutschland halten 88 Prozent der Christen,
79 Prozent der Muslime und 80 Prozent der Konfessionslosen die demokratische Regierungsform
für gut. „Diese Antworten stimmen in Bezug auf die Stärke und Akzeptanz unseres Regierungssystems
zuversichtlich“, analysiert Stephan Vopel. „Die Sorge, dass religiöse Dogmatiker und
Fundamentalisten unsere Demokratien unterwandern könnten, erweist sich als unbegründet.“
Jenseits des breiten Konsenses zu demokratischen Grundwerten legt der Religionsmonitor
unterschiedliche Haltungen zu ausgewählten ethischen Grundsatzfragen offen. Die Konfliktlinien
verlaufen dabei zwischen den Religionen, aber auch zwischen den christlichen Konfessionen:
So sprechen sich 62 Prozent der Protestanten für ein grundsätzliches Recht auf einen
Schwangerschaftsabbruch aus. Unter den Katholiken wie auch den Muslimen vertritt nur
eine Minderheit diese Auffassung (46 bzw. 35 Prozent). Dass Homosexuelle die Möglichkeit
haben sollten, zu heiraten, finden immerhin 70 Prozent der Katholiken und stellen
sich damit gegen die Lehrmeinung ihrer eigenen Amtskirche. Unter den Muslimen ist
die Zustimmung mit 48 Prozent deutlich geringer. Konfessionslose vertreten in allen
Fragen eher liberale Positionen.
„Es ist eine der großen Herausforderungen
moderner Gesellschaften, ein friedliches Miteinander der Menschen mit unterschiedlichen
Werten und Überzeugungen zu ermöglichen“, betont die stellvertretende Vorsitzende
des Vorstands der Bertelsmann Stiftung, Liz Mohn. Der Wandel hin zu mehr Vielfalt
sei unumkehrbar, daher müsse die Kompetenz im Umgang damit gefördert werden. „Die
persönliche Begegnung mit anderen Religionen ist dafür ein Türöffner, denn sie trägt
zum besseren gegenseitigen Verstehen bei.“ Das gelte auch für ethische Konfliktthemen,
bei denen die Meinungen weit auseinander gehen: „Hierfür brauchen wir geeignete öffentliche
Räume, in denen diese Fragen gemeinsam diskutiert und verhandelt werden können.“
Der Religionsmonitor
Mit dem Religionsmonitor 2013 stellt die Bertelsmann
Stiftung ein Instrument zur Verfügung, das es erlaubt, die Wechselwirkungen zwischen
Religion, Werten und Zusammenhalt in der Gesellschaft genauer zu beleuchten. An dem
internationalen Projekt haben Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen mitgewirkt.
In die Auswertung sind Antworten von 14.000 Menschen aus 13 Ländern auf rund 100 Fragen
eingeflossen. Ein zentraler Anspruch des Religionsmonitors ist es, durch wissenschaftliche
Erkenntnisse die Verständigung zwischen den Religionen und den Dialog zwischen Religion
und Gesellschaft zu befördern.
(pm 28.04.2013 mc)
Weitere Informationen
unter www.religionsmonitor.de