Polen erinnert sich
in diesen Stunden an den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto vor genau siebzig
Jahren. Die Erhebung gegen die deutschen Besatzer sei auch eine Anklage gegen die
Gleichgültigkeit in der freien Welt gewesen: Das sagte Polens Präsident Bronislaw
Komorowski am Freitag. Am 19. April 1943 hatten Juden im Ghetto einen Kampf gegen
die deutschen Besatzer in der polnischen Hauptstadt begonnen, der erst Mitte Mai unterdrückt
wurde. Auch die Spitzen der katholischen Kirche nehmen am Gedenken in Warschau teil.
Kardinal Kazimierz Nycz von Warschau sagte uns:
„Man muss sich daran erinnern,
dass es in Warschau unter der deutschen Besatzung insgesamt zwei Aufstände gegeben
hat: den im Ghetto und einen weiteren im Jahr darauf, 1944. Durch die zwei Aufstände
hat Warschau mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Wir sehen beide Aufstände
als unsere an, denn die Juden waren seit vielen Jahrhunderten Einwohner von Warschau,
sie haben die Geschichte und Kultur der Stadt geschaffen.“
Am Freitag wurde
in Warschau ein neues Museum der Geschichte der polnischen Juden eröffnet. Die katholische
Kirche ehrte die Widerstandskämpfer mit dem Geläut aller Kirchenglocken im Erzbistum
Warschau. Im November 1940 hatten die Deutschen das Ghetto wegen angeblicher Seuchengefahr
errichtet und Juden aus ganz Polen dort zusammengepfercht. Zeitweise waren 445.000
Menschen in dem Gebiet im Stadtzentrum eingeschlossen. Der Aufstand ab April 1943
forderte 12.000 Todesopfer. Weitere 30.000 Menschen wurden anschließend erschossen,
7.000 in Vernichtungslager transportiert. Nur wenigen Widerstandskämpfern gelang die
Flucht durch die Kanalisation.
„Das Klima dieser Tage“, so berichtet
der polnische Journalist Marek Lehnert, „gibt am besten ein berühmtes Gedicht des
Literaturnobelpreisträgers Czesław Miłosz wieder, Campo di Fiori. Es
schildert, wie unmittelbar an der Mauer zum Ghetto Menschen auf einem Rummelplatz
Karussell fahren und sich amüsieren.“
„Der Wind von den brennenden Häusern
blies in die Kleider der Mädchen“, so das Gedicht, das 1943 unter dem direkten Eindruck
des Aufstands im Ghetto entstand. „Die fröhliche Menge lachte an diesem schönen Warschauer
Sonntag... Der Wind trieb zuweilen schwarze Drachen von brennenden Häusern. Die Schaukelnden
fingen die Flocken im Fluge aus ihren Gondeln.“ Am 16. Mai 1943 war die größte jüdische
Erhebung, die es im Zweiten Weltkrieg gegeben hat, mit Gewalt niedergeschlagen worden;
ein SS-Führer schrieb in seinem Tagesbericht: „Das ehemalige jüdische Wohnviertel
in Warschau besteht nicht mehr.“