Der Beginenhof in Essen – eine alte Tradition ins 21. Jahrhundert übersetzt
Die letzte Begine
ist tot. Im Alter von 91 Jahren starb am Sonntag die Belgierin Marcella Pattyn im
westbelgischen Kortrijk. Mit Marcella Pattyn endet eine 800 Jahre alte Tradition frommer
Frauen, die in ganz Europa zwischen den Welten von Ordensleben und Laientum gelebt
haben. Seit 2007 gibt in Essen einen modernen Beginenhof, der versucht, die alte Tradition
ins 21. Jahrhundert zu übersetzen.
Seit dem 13. Jahrhundert gibt es sie, die
sogenannten Beginen. Frauen, die das Bedürfnis nach einer klösterlichen Gemeinschaft
haben, doch nicht für ein Leben lang Gelübde ablegen wollten, wohnten in eigenen Gemeinschaften
mit klosterähnlichen Regeln zusammen. Ute Hüfken und Waltraud Pohlen fühlten diesen
Wunsch ebenfalls und starteten das Projekt „Beginenhof im 21. Jahrhundert“. Im ehemaligen
Finanzamt Essen haben die beiden Initiatorinnen ein Zentrum aufgebaut, in den Frauen
im Sinne einer „Wahlverwandtschaft“ zusammen leben und arbeiten. Waltraud Pohlen erzählt,
wie sie und ihre Freundin auf die Idee kamen, das Modell „Beginen“ in der heutigen
Zeit auszuprobieren:
„Die alte Tradition hat eine lange Geschichte, die
auch im Laufe der Jahrhunderte vielen Wandlungen unterlegen war. Diese unterschiedlichen
Nuancen der Geschichte haben wir in die Neuzeit übertragen, nicht eins zu eins übersetzt
, sondern wirklich übertragen auf unsere heutigen Verhältnisse. Wir haben gesehen,
dass die Beginen im Mittelalter aus ihren Reihen eine verantwortliche Vertreterin
gewählt haben. Das geht mit heutigen Frauen so nicht mehr. Die wollen selber Verantwortung
übernehmen und die Entscheidungen mittragen.“
Jede Woche trifft sich die
Hausversammlung und entscheidet „souverän und auf Augenhöhe“ über die Belange der
Frauen.
„Immer das Gemeinsame, um die Synergie zu nutzen.“
So
nutzen die Frauen auch ihre gemeinsamen Fähigkeiten. Jede Frau muss die ihren zum
Wohl der Gemeinschaft einsetzen, um sie am Leben zu halten. Das geloben die Frauen
bei ihrem Eintritt in den Beginenhof. Ihr Versprechen beinhaltet den Wunsch, in der
Gemeinschaft zu leben, die eigenen Grenzen zu wahren und sich selbst einzubringen,
so berichtet Waltraud Pohlen. Sie haben sich eigens einen neuen Text für das Beginenversprechen
überlegt.
„Früher war es ja Armut, Bescheidenheit, Gehorsam und Keuschheit.
Das passt jetzt so nicht mehr, fanden wir. Bei uns ist es so, dass wir gemerkt haben,
das Beginenversprechen ist hilfreich, um eine neue Gemeinschaft auch als Gemeinschaft
zu etablieren und eine Verbindlichkeit zu fühlen. Das kam aus der Gruppe selbst, dass
die Frauen von sich aus den Wunsch verspürt haben nach einer Form, die auch zum Ausdruck
bringen soll, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Nach dem Beginenversprechen
ist eine tiefere Beziehung zueinander entstanden. Das finde ich schon sehr berührend.
Die Idee zu diesem Projekt hatten Waltraud Pohlen und Ingrid Hüfken in
einer gemeinsamen Frauengruppe, in der sie sich mit Theologie beschäftigten. Für Ingrid
Hüfken eine neue Erfahrung:
„Da ist mir die Theologie plötzlich begegnet,
in einer Art, dass ich gemerkt habe, das hat was mit mir zu tun. Das war vorher so
nicht. Deshalb haben wir auch in unser Konzept geschrieben, dass wir uns über Theologie
austauschen wollen.“
Die Entwicklung bis zum Beginenhof in Essen, der 2007
eröffnet wurde, war langwierig. Sie besuchten Beginenhöfe in Belgien und Flandern,
um Vorstellungen zu entwickeln, wohin ihr Weg gehen sollte. Die letzte Begine der
alten Tradition, Schwester Marcella Pattyn, bezeichnen sie als ihre Vorfahrin, auch
wenn die Beginentradition des 21. Jahrhunderts eine verwandelte ist.
„Ich
freue mich, dass es mit ihrem Tod nicht zu Ende ist, sondern dass wir es geschafft
haben, da noch mal eine Idee, eine Bewegung, ein Interesse aufleben zu lassen und
in die heutige Zeit zu übersetzten, sodass eine Tradition ein Stück weit weiterleben
kann. Und das geschieht auch ein Stück zu Ehren dieser Frauen, die sich damals für
diesen Weg entschieden haben. Das sind schon unsere Mütter, auf deren Schultern wir
stehen.“ Ein Beitrag von Pia Dyckmans (rv 19.04.2013 pd)