Die Gewalt zwischen
Muslimen und Christen in Kairo und Umgebung hat viele Kopten zutiefst verunsichert.
Wer wird sie denn schützen, wenn sie Anfang Mai ihr Osterfest feiern?, fragt sich
die religiöse Minderheit, die nur ungefähr zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung
ausmacht. Msgr. Joachim Schroedel ist Seelsorger für die deutschsprachigen Gemeinden
im Nahen Osten. Er steht noch unter dem Eindruck der Zusammenstöße rund um die koptische
Markuskathedrale an diesem Wochenende:
„Die Situation war eskaliert, nachdem
ein christlicher Demonstrationszug von den Dächern der umliegenden Häuser mit Steinen
beworfen worden ist. Das Schlimme war, dass die Sicherheitskräfte nicht eingegriffen
haben! Es ist ein junger Mann erschossen worden, woher der Schuss kam, ist nicht bekannt.“
Überhaupt
sei es „schwer zu sagen“, wer hinter den Angriffen auf Kopten in diesen Tagen stehe,
so Schroedel im Kölner domradio.
„Wir sind in Ägypten in den letzten Wochen
in einer ganz spannungsreichen Situation, die kaum mehr zu überblicken ist. Die Menschen
sind am Rande ihrer Möglichkeiten angelangt. Man kann unmöglich sagen, in welche Zukunft
Ägypten geht. Die Menschen wissen, dass die Vorräte an Weizen vielleicht noch für
70 oder 80 Tage reichen, damit Brot gebacken werden kann. Dieses ist kaum noch zu
bekommen. Es gibt also ein Transportproblem. Die Banken haben zum Teil kein Geld mehr
zum Auszahlen. Und in diese Situation hinein kommen dann Auseinandersetzungen, die
vielleicht von Muslimbrüdern geschürt worden sind. Das kann ich aber nicht belegen.“
Schroedel
wundert sich, dass „so viele junge Menschen von den Dächern herunter mit Steinen geworfen“
hätten: Das müsse „eigentlich organisiert gewesen sein“, sagt er. Und er fragt sich
auch, wo Präsident Mohamed Mursi, der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist,
wirklich steht.
„Natürlich hat Mursi verbal sein Bedauern bekundet, aber
was dahinter steht, wissen wir nicht. Schließlich hat er auch schon ganz andere Dinge
von sich gegeben über das Christentum hier im Land. Es hat aber auch eine Verurteilung
der Vorfälle von einem hohen muslimischen Würdenträger gegeben. Die Christen sind
zutiefst verunsichert und wollen das Land verlassen. Aber auch die muslimische Bevölkerung
ist am Rande des Erträglichen angelangt. Es ist zu befürchten, dass in zwei oder drei
Monaten hier der Letzte das Licht ausmacht, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes:
Ägypten muss tüchtig Strom sparen, die Nachtbeleuchtung ist vielfach ausgeschaltet.
Es ist sehr beängstigend.“
Der deutsche Seelsorger im Stadtzentrum von
Kairo, nur einen Block vom berühmten Tahrir-Platz entfernt, hofft, dass die internationale
Staatengemeinschaft die Lage in Ägypten genauer beobachtet.
„Das Auge drauf
bewahren, nicht nur wenn wieder Blut fließt, sondern auch in ruhigeren Zeiten. Immer
wieder demokratische Strukturen anmahnen und schnelle finanzielle Hilfen ermöglichen.
Für uns Christen sind aber auch die internationale Solidarität und die Gebete der
Katholiken sehr wichtig. Auch ein Treffen von Papst Franziskus mit Koptenpapst Tawadros
II. könnte vielleicht ein kleines oder mittleres Wunder bewirken.“
Der
orthodoxe Kopten-Patriarch hat bereits angekündigt, Papst Franziskus bald in Rom treffen
zu wollen. Tawadros erhob an diesem Dienstag in einem Interview schwere Anschuldigungen
gegen Präsident Mursi. Dieser habe ihm telefonisch versichert, alles für den Schutz
der koptischen Markuskathedrale zu tun. „Aber in Wirklichkeit“, so Tawadros, „hat
er das nicht getan!“ Er stelle beim Präsidenten „Nachlässigkeit und mangelhafte Einschätzung
der Lage“ fest. „Wir wollen Taten, nicht Worte“, so das koptische Oberhaupt wörtlich.