Fritz Pleitgen hat
schon als ganz junger Mensch den Beruf des Journalisten ergriffen, er wurde vergleichsweise
sehr schnell Auslandskorrespondent in Brüssel und Paris, Moskau und Berlin, Washington
und New York - zur Zeit des kalten Krieges, - dann politischer Chefredakteur beim
Westdeutschen Rundfunk und dessen Intendant und schließlich Vorsitzender der ARD.
Allein ein flüchtiger Blick über den bisherigen Lebenslauf von Professor Fritz Pleitgen
lässt erkennen, dass der Journalismus, die Sprache, der Kontakt mit und zu Menschen
und Ländern ihm auf dem Leib geschrieben ist.
Herr Pleitgen, wir danken
Ihnen, dass Sie uns dieses ‚Menschen in der Zeit’ - Gespräch gewährt haben und heißen
Sie willkommen bei Radio Vatikan. Sie haben im Laufe Ihrer Berufstätigkeit eigentlich
alles erreicht, was man auf dem Gebiet der Medien erreichen kann. Welche Eigenschaften
braucht es, um eine Lebensbilanz, wie die Ihre, vorweisen zu können?
„Ich
denke, die Hauptsache ist das Interesse am Menschen, auch Mitgefühl und eine ständige
Neugier und sich nie zufrieden zu geben, was man erreicht hat. Das sind Dinge, die
man als Journalist unbedingt braucht. Und natürlich die Gabe, sich auszudrücken. Das
habe ich dann im Laufe der Zeit auch gelernt.”
Die Grundprinzipien
bleiben
Der Journalismus befindet sich in einer Lage des Umbruchs –
Digitalisierung und Internet aber auch der Wandel der Publikumsbedürfnisse sorgen
für viele Fragezeichen in der Branche. Andererseits: Welche neuen Chancen und Innovationen
sehen Sie auf die Medien zukommen?
„Grundsätzlich ändert sich der Journalismus
nicht, nur seine technischen Möglichkeiten sind besser geworden. Da muss man lernen,
mit diesen Möglichkeiten umzugehen. Als ich noch als Fernsehjournalist unterwegs war
– da wurde auch Film gedreht – das dauerte wenigstens ein-zwei Tage, bis das Ergebnis
meiner Bemühungen dann auf den Sender gekommen ist. Heute geht das sofort. Das bedeutet
wiederum, dass man sehr schnell und sehr präzise arbeiten muss. Aber das Grundprinzip
bleibt das gleiche: man muss seriös arbeiten, man muss die Zuschauer, die Leser, die
Hörer, so informieren, dass sie tatsächlich ein Bild der Wirklichkeit bekommen. Und
heute wird genauso, oder noch mehr überprüft, ob das was gesagt, gesendet oder geschrieben
wird, auch tatsächlich stimmt. Also: die Grundprinzipien bleiben, die Möglichkeiten
an die Menschen heran zu kommen, sind allerdings viel besser geworden.”
Viele
Kritiker sagen, die Trivialisierung und Boulevardisierung des öffentlich-rechtlichen
Fernsehens seien in vollem Gange. Finden Sie diese Behauptung gerechtfertigt oder
eher überzeichnet?
„Nein, ich finde sie absolut nicht gerechtfertigt, ich
gehöre nicht zu denen, die sagen: früher ist alles besser gewesen. Früher wurde auch
viele Triviales gesendet, früher waren wir viel mehr Staatsrundfunk, als das heute
der Fall ist. Aldo, wie haben natürlich auch mal Schwächephasen, die gibt es überall,
aber insgesamt gesehen, ist das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, nicht
schlechter geworden in der Qualität, als das früher der Fall gewesen ist. Natürlich
muss man versuchen alle Hörerinnen und Hörer, alle Seherinnen und Seher zu erreichen,
denn schließlich werden wir ja von allen bezahlt. Nicht alle haben die gleichen Bedürfnisse,
und deshalb ist das Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wozu ich eben Radio
und Fernsehen zähle, so breit gespreizt.”
Welche sind die Merkmale des
Informationszeitalters? Wird der Einfluss der Medien auf Politik und Gesellschaft
wachsen oder sich eher verringern ?
„Das ist schwer voraus zusagen. Ich
glaube, die Distanz bleibt die gleiche. Mal sieht es so aus, als wenn die Medien die
Politik antrieben, dann hat man das Gefühl, dass die Politik die Medien für ihre eigenen
Mittel nutzt. Also beide Seiten sollten sich dort nicht überschätzen, beide Seiten
sollten das tun, was ihnen aufgetragen ist. Die Journalisten haben zu informieren
und aufzuklären und die Politiker haben dafür zu sorgen, dass die Bevöklerung unter
den bestmöglichen Umständen lebt und sich weiter entwickeln kann.”
Helmut
Kohl und Willy Brandt – Väter der deutschen Einheit
Denkwürdig sind
Ihre vielen Interviews mit Helmut Kohl, Lech Walesa, Henry Kissinger, Michail Gorbatschow,
um nur die heutigen noch lebenden Größen zu nennen. Welche dieser Persönlichkeiten
hat Ihnen den dauerhaftesten Eindruck hinterlassen?
„Oh das ist ganz schwer
zu sagen. Ich hatte ein ganz großes Faible für einen Menschen, den Sie jetzt nicht
mehr nennen konnten, weil er nicht mehr lebt: das ist Willy Brandt. Seinetwegen bin
ich zu einem großen Anhänger der Entspannungs-Politik geworden. Was für einen Journalisten
schon etwas gefährlich ist. Man sollte sich nie mit einer Sache gemein machen. Aber,
ich hatte darin die großen Chancen gesehen, dass Deutschland aus dieser schwierigen
Situation der Teilung herauskommen könnte. Die Art und Weise, wie Willy Brandt Politik
gemacht hat, wie er junge Menschen angesprochen hat, das hat mir eigentlich außerordentlich
gefallen. Ansonsten: die genannten Persönlichkeiten hatten ihre Vor- und Nachteile.
Henry Kissinger ist natürlich eine Größe sondergleichen in seiner Hauptzeit gewesen,
aber Helmuth Kohl, mit dem ich sehr viele kontroverse Interviews geführt habe, wird
immer der Vater der deutschen Einheit oder der Motor der deutschen Einheit -Vater
ist vielleicht zu viel gesagt – und auch der europäischen Einheit bleiben. Er hat
in einem schwierigen geschichtlichen Augenblick genau das Richtige getan und zwar
in einer Art und Weise, wie man ihm das vorher nicht zugetraut hatte.”
Und
dann geschah es…..
Was würden Sie als den journalistischen Höhepunkt in Ihrer
langjährigen und vielfältigen Tätigkeit im Medienbereich bezeichnen?
„Da
brauche ich nicht lange nachzudenken: das ist der Fall der Mauer. Ich habe, wie Sie
eingangs gesagt haben, auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs gearbeitet, oft unter
außerordentlich schwierigen Bedingungen. Ich habe in der Nähe der Mauer fünf Jahre
lang gelebt, in Berlin an der Leipziger Straße, nur hundert Meter von der Mauer entfernt.
Ich hatte das Gefühl, dass die Mauer zu meinen Lebzeiten nicht fallen würde. Und dann
geschah es doch. Zu meiner großen Überraschung und zu meiner großen Freude – eben
ohne Blutvergießen, das war nicht vorherzusehen – und ich habe diese Augenblicke sehr
genossen.”
Und Ihr ‚menschlicher’ Höhepunkt?
„Erstens, dass ich
eine Frau gewonnen habe, mit der ich heute noch zusammen lebe, wir haben vier Kinder
bekommen und sie alle haben uns durch ihr Erscheinen auf dieser Welt die allergrößte
Freude bereitet.”
Glaube und Journalismus gehören zusammen
Als
Intendant mussten Sie darauf achten, dass alle Bereiche auf dem Sendeplan zu ihrem
Recht kommen: Information, Kultur, Unterhaltung, Sport und Religion. Glaube und Journalismus
– wie begegnen sich diese beiden Begrifflichkeiten auf der Bühne der Medienlandschaft?
„Also
ohne Glauben wird man wahrscheinlich keinen Journalismus betreiben können. Aber der
Journalismus muss das immer hinterfragen. Ich selbst bin Protestant, habe aber außerordentlich
enge Beziehungen zur katholischen Kirche. Zu meinem Geburtstag haben mir hochrangige
katholische Würdenträger gratuliert und haben mich dabei erinnert, dass wir vieles
gemeinsam unternommen haben. Ich habe das immer aus größter Freude getan und ich sehe
die Aufgabe der katholischen Kirche als weltumspannend an. Deshalb habe ich mich seinerzeit
mit großer Freude für die Übertragung des Weltjugendtages in Köln eingesetzt und dafür
gesorgt, dass diese Übertragung in alle Zipfel der Welt ankommt. Also – das eine schließt
das andere nicht aus – ich finde beides – Glaube und Journalismus - gehört komplimentär
zusammen und bringt die Welt voran.”
Das darf einfach nicht aufgegeben
werden
Ein Wort zu Europa, dessen eifriger Befürworter Sie immer schon
waren: obwohl jedem politisch denkenden Menschen klar sein muss, dass wir der Europäischen
Union den dauerhaftesten Frieden und den stabilsten Wohlstand in der Geschichte Europas
verdanken, gibt es immer weniger begeisterte Europabürger. Fehlt Europa eine Seele,
wie Jacques Delors sich ausdrückte?
„Das Problem bei Europa ist, dass es
als eine Wirtschaftsunion gegründet wurde. Aber gleichwohl: dieser europäische Gedanke
ist so stark, dass er doch einfach eine Seele haben muss. Sonst würde er so nicht
existieren. Ich bin deshalb ein Befürworter des Vereinten Europa, weil ich die Zeiten
kennen gelernt habe, als Europa geteilt war. Ich war Korrespondent auf beiden Seiten
des eisernen Vorhangs und wenn ich daran zurück denke, wie ich damals durch Europa
gefahren bin - ich bin oft mit dem Auto von Köln nach Moskau gefahren – wie schwierig,
wie unangenehm es war, durch den eisernen Vorhang durchzukommen, wie schwierig es
war durch die DDR zu fahren. dann später durch die Volksrepublik Polen, dann kam ich
an die Grenze am Bug zwischen der Volksrepublik Polen und der Sowjetunion und wie
einfach das alles heute geworden ist. Wie schnell wir zueinander kommen können. Dass
wir eine Währung haben, dass wir uns da miteinander vergleichen können. Das darf einfach
nicht aufgegeben werden. Das ist die Aufgabe unserer Generation.”
Überall
wo Fritz Pleitgen journalistisch tätig war, wo die Politik im Mittelpunkt stand, hat
er es nie unterlassen seinen Blick auch auf die Menschen , auf die jeweiligen Länder,
auf die Natur auf die Landschaften zu richten, sei es in Europa, sei es in Amerika.
Was ist Ihnen von all diesen Jahren am meisten im Herzen geblieben?
„Sie
haben es gesagt: die Menschen! Ich habe so viele interessante Menschen kennen gelernt,
nicht nur in hohen Positionen, gerade einfache Menschen, die für ihre Ideen eingetreten
sind für ihren Glauben, für ihre Überzeugung. Ich habe ja auch in Diktaturen gelebt
und habe diese Menschen bewundert – Menschen, die ganz einfach waren, aber gesagt
haben, die können uns nicht vorschreiben, was wir zu denken, zu sagen und zu glauben
haben. Das hat mir auch immer wieder Kraft gegeben, wenn ich in schwierigen Situationen
war. Da habe ich mir gesagt: das ist doch alles ganz einfach im Vergleich zu dem,
was diese Menschen ertragen und am Ende dann auch durchgesetzt haben. Also die Menschen
waren es, die mir am meisten gegeben haben, eigentlich alles gegeben haben.”
‚Gebt
euch immer Mühe, achtet auf den Nächsten und freut Euch!’
Die
Welt hat einen neuen Papst: es ist das erste Mal in der neueren Kirchengeschichte,
dass eine neuer Pontifex noch zu Lebzeiten des alten Kirchenoberhauptes gewählt wurde.
Wo sehen Sie Vorteile, wo mögliche Nachteile an dieser historischen Konstellation?
„Ich
will erstmal nur über die Vorteile sprechen: ich hatte große Achtung vor Papst Benedikt
XVI. Ich glaube, er ist der am meisten gebildete Mensch, der auf dieser Erde wandelt.
Ich war nicht mit allem einverstanden, was er gesagt und getan hat, aber da will ich
nicht weiter richten. Ich habe mit großem Interesse jetzt den Auftritt des neuen Papstes
Franziskus gesehen. Es hat mir auch als Protestant sehr gefallen, wie er auf die Menschen
zugeht. Ich hatte das vorhin gesagt, das ist für Journalisten sehr wichtig und ich
denke auch für einen Papst sehr wichtig, dass er auf die Menschen zugeht und damit
ein Beispiel setzt, wie man miteinander umgeht und nicht von oben herab. Denn das
ist es, was uns immer wieder in Konflikte bringt: wenn wir glauben, wir seien etwas
Besseres, als unsere Nachbarn. Dieser Papst lebt in einer Weise vor, wie er sich den
Frieden vorstellt und das ermutigt mich. Und ich denke, er wird eine sehr gute und
erfolgreiche Amtszeit haben.”
Abschließend möchte ich Sie um ein
kurzes Vermächtnis bitten, das Fritz Pleitgen jungen Journalisten, jungen Menschen
weitergeben möchte:
„Gebt euch immer Mühe, achtet auf den Nächsten und
freut euch!”