Brasilien: „Uneitler und ehrlicher Einsatz“ des Papstes
Der neue Papst wird der Kirche „noch einiges zum Auflösen geben und für Überraschungen
sorgen“. Das sagt der aus Vorarlberg stammende Missionar Erwin Kräutler. Er ist Bischof
der brasilianischen Amazonas-Diözese Altamira-Xingu und Träger des Alternativen Friedensnobelpreises.
Im Gespräch mit der Linzer KirchenZeitung betont Kräutler, der Papst habe in seiner
Laufbahn zwar nie Stellung zur Befreiungstheologie bezogen. Doch habe er deren Grundlagen
vertreten und gelebt. „Und das zählt“, so Kräutler, der sich zugleich gegen „europäisches
Schubladendenken“ wehrte. Besonders hob der Bischof hervor, dass Franziskus die Armen
nicht bloß zu trösten versuche, sondern ihre Situation mit wachem Blick hinterfrage,
Verantwortliche und Strukturen hinter Armut und Ausgrenzung klar benenne. Auch glaube
der Papst, dass Gott „unter diesem Volk ist und mit ihm geht“, statt ein Gott in der
Ferne zu sein. Die frühere Bezeichnung als „Bischof der Armen“ sei nicht zufällig
gewesen, doch auch mit seiner Namenswahl „Franziskus“ habe er sich „die Latte hoch
gelegt, die Armen stets im Blick zu haben“. Kräutler bescheinigte dem Papst, dem
er bei der Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe 2007 begegnet war, Bescheidenheit.
Bei diesem Treffen in Aparecida habe der damalige Kardinal Bergoglio einen „schwierigen
Job“ als Vorsitzender der Redaktionskommission für den 350-seitigen Schlusstext erfüllt.
„Ich denke, es ist auch Bergoglios uneitlem und ehrlichem Einsatz zu verdanken, dass
zum Schluss ein Dokument herausgekommen ist, das ich mir kaum zu erhoffen wagte“,
so Kräutler, der hier auf die Bekräftigung der „vorrangigen Option für die Armen“
von Puebla 1979 sowie der Bedeutung der Basisgemeinden in Lateinamerika verwies. Auch
in seinen bisherigen Äußerungen als Papst habe Franziskus viele Inhalte dieses Dokuments
anklingen lassen.
„Große Echtheit“ erblickt der Bischof von Xingu darin, dass
der Papst ein in der Glaubens- und Lebensrealität Lateinamerikas Verwurzelter geblieben
sei, statt diplomatisch eine erwartete Rolle zu erfüllen. Er hoffe, so Kräutler, dass
sich nun die Kirche „ein Stück von Europa abnabelt“ und weltkirchliche Erfahrungen
stärker zur Geltung kämen. Worauf er persönlich hoffe, so Kräutler, sei eine Umgestaltung
der Kirchenleitung nach dem Subsidiaritätsprinzip: Ortskirchen sollten aufgrund ihrer
besseren Kenntnis der jeweiligen Situation mehr selbst entscheiden dürfen, wobei zur
Förderung des Zusammenhalts zugleich die Kollegialität mit dem Papst gestärkt werden
müsse. Gut vorstellbar sei es, dass zukunftsentscheidende Fragen „weltweit breit diskutiert
werden und dass dann auf dieser Basis die Vertreter der Bischofskonferenzen gemeinsam
mit dem Papst die notwendigen Entscheidungen treffen“. Zudem wünschte Kräutler mehr
internationale Experten und Laien - auch Frauen, wie er betonte - als enge Mitarbeiter
des Papstes.