Menschenrechtsexperte Huhle über Diktaturen in Lateinamerika
Lateinamerikas Vergangenheit
ist vielfach von Militärdiktaturen geprägt. Nach der Wahl eines Argentiniers zum Papst
steht jetzt die Rolle der Kirche in seiner Heimat zur Zeit der Militärdiktatur in
den siebziger und achtziger Jahren im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Damals
war der heutige Papst Franziskus weder Kardinal noch Bischof, sondern er leitete als
Provinzial den Jesuitenorden in Argentinien. Zur damaligen Situation sagt im Gespräch
mit Radio Vatikan Rainer Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum (NMRZ):
„Argentinien
hat im Laufe seiner Geschichte viele Diktaturen und Diktatoren erlebt. Aber die Diktatur,
die 1976 an die Macht kam und bis 1983 im Sattel saß, war sicherlich eine ganz besondere
– und zwar besonders schlimme – aber auch neuartige Diktatur, die allenfalls in dem
Putsch von General Augusto Pinochet drei Jahre vorher in Chile vielleicht ein Vorbild
haben könnte. Es handelte sich um Diktaturen, die zum ersten Mal wirklich den Versuch
übernommen haben, sich das ganze Land zu unterwerfen – alle Bereiche des zivilen Lebens
in Argentinien oder auch in Chile unter ihre Herrschaft zu bringen. In diesem Sinn
hatte es fast totalitäre Ansprüche, vorher gab es zwar teils blutige und autoritäre
Regime, doch große Teile der Bevölkerung waren davon nicht betroffen.“
Es
war die Zeit des Kalten Krieges. Die USA hätten damals eine große Rolle gespielt,
indem sie die Dikaturen finanziell oder mit Waffenlieferungen unterstützten, so Huhle.
Auf der anderen Seite begannen Militärangehörige unter dem Deckmantel der nationalen
Sicherheit, innenpolitisch aktiv zu werden. Zur Rolle der katholischen Kirche auf
den lateinamerikanischen Kontinent in dieser Zeit sagt Huhle:
„Die katholische
Kirche war damals auf dem gesamten Kontinent tief gespalten. Es gab eine starke Strömung
der sogenannten ,Theologie der Befreiung‘ und andere Theologien, die ausgesprochen
antiautoritär und sehr biblisch orientiert waren. Und es gab die traditionelle Kirche,
die sich über die Jahrhunderte – seit der spanischen Eroberung – mit den jeweiligen
Regierungen arrangiert hatte und die im Grunde ein Teil der Machtelite gewesen ist.“
Auf
diese Diktaturen hätten alle Kirchen in Lateinamerika sehr unterschiedlich reagiert.
Man sehe das sehr deutlich, wenn man ihre Rolle in Chile und Argentinien vergleiche,
so Huhle.
„Während die katholische kirchliche Hierarchie in Chile sich nach
wenigen Tagen des Zögerns auch sehr stark auf die Seite der Unterdrückten und der
Opfer dieser Diktatur geschlagen, eine intensive Betreuung für die Opfer gemacht und
Rechtshilfe geleistet sowie Kirchenasyl gewährleistet hat, kann man leider Ähnliches
von der argentinischen Kirche nicht sagen. Da waren die Priester und Bischöfe, die
sich gegen die Diktatur gestellt haben, eine winzige kleine Minderheit. Und entsprechend
wurde die auch verfolgt, während der überwiegende Teil der Amtskirche sich mehr oder
weniger gut mit dem Regime arrangiert hat.“
Es gab auch schon mehrere große
Reuebekenntnisse der Bischofskonferenz und kirchlicher Einrichtungen. Vorbildlicher
sei die argentinische Gesellschaft mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit umgegangen.
„In vielerlei Hinsicht ist Argentinien sogar auf dem ganzen Kontinent ein
Vorbild für den Umgang mit der Vergangenheit. In Argentinien wurde bereits unmittelbar
nach dem Ende der Diktatur – sie brach zusammen durch den verlorenen Krieg um die
Falkland-Inseln bzw. Malvinen – mit einer zivilen Regierung eine Kommission eingesetzt,
die einen großen Teil der Verbrechen der Diktatur dokumentierte. Da gibt es den berühmten
Bericht ,Nunca mas – nie wieder!‘ Danach gab es auch eine Reihe von großen Prozessen
gegen die wichtigsten Vertreter der Diktatur. Es gab auch Rückschläge und Amnestien.
Heute gibt es aber wohl kaum ein Land in Lateinamerika, in dem so viele Gerichtsverfahren
gegen die Vertreter der Diktatur in Gang gekommen sind, wie in Argentinien.“