Kardinal Lehmann: „Das geht einem schon durch Mark und Bein“
Knapp fünfzig der wählenden Kardinäle sind nicht das erste mal dabei, sie haben bereits
2005 Benedikt XVI. mit gewählt. Darunter ist auch der Mainzer Bischof Kardinal Karl
Lehmann. Pater Bernd Hagenkord hat ihn zur geistlichen und persönlichen Seite der
Wahl eines neuen Papstes befragt.
Herr
Kardinal Lehmann, wir Journalisten hatten am Samstag die Gelegenheit, die Sixtinische
Kapelle zu besuchen, die noch eine Baustelle ist, aber man sieht schon die Sitzungstische
und den ‚Vorstandstisch’. Das drängt den liturgischen Charakter der Kapelle etwas
zurück. Ist das Konklave wirklich ein geistliches und liturgisches oder doch eher
ein demokratisches Verfahren?
„Es hat viel von demokratischen Verfahren
in sich, aber der Raum prägt natürlich doch den Grundcharakter der Verfahren. Es ist
für mich auch ein ganz wichtiges Zeichen, dass man – wenn man den Stimmzettel in den
Kelch oder die Urne hineingibt – einen ganz kurzen Satz spricht, in dem man sagt:
,Ich versichere, dass ich dem meine Stimme gegeben habe, den ich am meisten geeignet
nach dem Willen Gottes finde.‘ Das geht einem schon durch Mark und Bein. Man fragt
sich dann, welche Gesichtspunkte da eine Rolle spielen und was das Maß ist, an dem
ich den Menschen da gemessen habe. Es gibt auch dadurch, dass das Ganze relativ
langsam geht und keine Eile und keine Hektik da ist, eine gewisse Ruhe. Jeder geht
vor, es gibt also schon eine meditative Grundstimmung dadurch, dass man sich da langsam
nähert und zurück geht. Es hängt natürlich auch von den Teilnehmern ab. Wenn ich mich
an das letzte Mal erinnere: Man kann mit etwas unterdrückter Stimme mit dem Nachbarn
reden, es ist also nicht einfach nur ein einfaches Schweigen, ein stummes Dasitzen.
Aber andererseits gibt es auch auf keinen Fall irgendein Palaver, das da wäre. Insofern
fand ich es eigentlich enorm gut, dass dieser Raum von selbst – ohne die Sachlichkeit
der Abstimmung irgendwie zu beeinflussen – doch eine gewisse Stimmung verursachte. Und
nicht zu vergessen das große Gemälde des Jüngsten Gerichtes. Man muss sich vor dem
verantworten, der als Richter vor einem ist. Das ist ja nun so groß und so mächtig
und so eindrucksvoll, dass es einem nicht entgehen kann.“
Kardinal Schönborn
hat das so formuliert: Wie gehen nicht nach Rom, um den Papst zu wählen, sondern um
gemeinsam herauszufinden, wen Gott gewählt hat. Trifft das auch Ihre Einstellung?
„Also,
ich würde das nicht so ausdrücken, auch wenn es so ist. Zweifellos hat man das Vertrauen,
dass alle sich und ihr Denken ein Stück weit ausrichten auf die Person des Papstes,
die man in den Augen Gottes sucht. Wenn man sich in seinem Denken immer auch ein Stück
weit reinigen muss und sagen muss, dass man keine falschen Gefühle und falschen Voraussetzungen
hereinbringt, so steht eigentlich für mich im Vordergrund, dass es eine sachliche
Vorbereitung und Entscheidung ist. Sich zu informieren, offen zu bleiben, ist auch
wichtig, eventuell auch neue Leute zu entdecken, die man vorher nicht so im Sinn hatte.
Am Ende habe ich die Hoffnung und die Zuversicht, dass Gott seinen Segen dazu gibt,
aber erkennen kann man das nicht.“
„Was ein Papst erwägen muss“
Sie
haben es angesprochen, es ist Ihr zweites Konklave. Wie bereiten Sie sich eigentlich
darauf vor?
„Also zunächst einmal habe ich keine Sonderveranstaltungen.
Bei dem, was man tut, wenn man in den Tag hinein geht, das Morgen- und das Abendgebet
spricht und abends auch Gewissenserforschung macht, ist natürlich das Thema im Vordergrund.
Man fragt sich da schon, wie man den Tag beurteilt, was man gewonnen und was falsch
gemacht hat. Ich glaube, dass an jedem Tag in den liturgischen Texten, im Stundengebet
und in der Messe so viele aufrüttelnde Verse gerade auch in der österlichen Bußzeit
enthalten sind, dass man immer wieder etwas für sich selbst findet. Und ich lese,
wie beim letzten Mal, ein kleines Buch, das Bernhard von Clairvaux etwa um 1150 geschrieben
hat mit dem lateinischen Namen ‚de consideratione’, auf Deutsch könnte man einfach
‚Erwägungen’ sagen. Hans Urs von Balthasar hat eine Auswahl davon herausgegeben mit
dem Titel ‚Was ein Papst erwägen muss’. Was da geschrieben steht gilt nicht nur
für die spirituelle und aszetische Gestalt des Papstes, sondern das gilt auch für
die Normen und für die Kriterien, mit denen man jemanden beurteilt. Es ist unglaublich,
wie nüchtern er die gute Auswahl von Beratern und Mitarbeitern sieht, wie nüchtern
er auch beurteilt, wie Menschen verführt werden können in solchen Positionen. Da wird
man doch sehr nachdenklich. Wir meinen heute, dass wir heute durch die moderne Entwicklung
in vielen Dingen besonders bestimmt, abhängig und auch verführt sind; in dem Buch
kann man sehen, dass das auch damals schon elementare Gefahren waren, auf die man
aufmerksam machte. Das macht einen auch etwas demütig.“
Inneres Schaudern
Freuen
Sie sich eigentlich oder sind sie nervös?
„Nervös bin ich, glaube ich,
gar nicht. Freuen wäre zu viel gesagt. Weil gerade, wenn man noch keine innere Gewissheit
hat, wem man die Stimme geben soll, ist da schon auch ein Schaudern in einem, vielleicht
auch noch ein gewisses Maß an Ängstlichkeit, wenn man sich fragt, ob man wirklich
gemeinsam den Richtigen findet. Ich würde sagen: Wie bei anderen Dingen, wo Menschen
mit im Spiel sind, wo man Menschen beurteilen muss und sich den Kopf zerbrechen muss
– so geht man da mit noch mehr Sorgfalt und Ernst an die Arbeit.“