2013-03-01 10:55:11

Mitarbeiter der Wahrheit: Das Pontifikat von Benedikt XVI.


RealAudioMP3 Es besteht kein Zweifel daran, dass Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt in die Kirchengeschichte eingehen wird: Aus dem Ruf „Wir sind Papst“ zu Beginn des deutschen Pontifikats vor acht Jahren wurde am Tag des Rücktritts „Wir sind Mensch“. Benedikt war „ungewöhnlich, originell“, so schrieb es der israelische Staatspräsident Shimon Peres in einem Brief an die Vatikanzeitung Osservatore Romano. Ungewöhnlich war der Rücktritt, ungewöhnlich waren aber auch diese acht Jahre von Joseph Ratzinger auf dem Stuhl des Petrus.

Es begann mit einem Fallbeil – so formulierte es der neue Papst kurz nach seiner Wahl bei einer ersten Audienz für deutsche Besucher: „Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindelig zumute. Ich hatte geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und nun auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere, die mit ganz anderem Elan und mit ganz anderer Kraft an diese große Aufgabe herantreten können.“ Doch ein Mit-Kardinal habe ihm in diesem Moment einen kleinen Brief zugeschoben, der redete dem Zögernden ins Gewissen: „Der Mitbruder schrieb mir: Wenn der Herr nun zu Dir sagen sollte „Folge mir", dann erinnere Dich, was Du gepredigt hast. Verweigere Dich nicht! Sei gehorsam, wie Du es vom großen heimgegangenen Papst gesagt hast. Das fiel mir ins Herz. Bequem sind die Wege des Herrn nicht, aber wir sind ja auch nicht für die Bequemlichkeit, sondern für das Große, für das Gute geschaffen.“

Er sagte also: Ja. Und mühte sich von da an redlich. So schwer es auch war, einem Giganten wie Johannes Paul II. nachzufolgen. Doch der „Professor Papst“ aus Bayern urteilte gleichmütig, neben den großen müsse es eben auch „kleine Päpste geben, die das Ihre geben“. Und als so ein kleiner, arbeitsamer Papst im Weinberg des Herrn sah sich Joseph Ratzinger selbst.

„Die Kirche ist gar nicht alt und unbeweglich. Nein, sie ist jung... Christus hat uns nicht das bequeme Leben versprochen. Wer Bequemlichkeit will, der ist bei ihm allerdings an der falschen Adresse. Aber er zeigt uns den Weg zum Großen, zum Guten, zum richtigen Menschenleben. Wenn er vom Kreuz spricht, das wir auf uns nehmen sollen, ist es nicht Lust an der Quälerei oder kleinlicher Moralismus. Es ist der Impuls der Liebe, die aufbricht aus sich selbst heraus, die nicht umschaut nach sich selber, sondern den Menschen öffnet für den Dienst an der Wahrheit, an der Gerechtigkeit, am Guten. Christus zeigt uns Gott und damit die wahre Größe des Menschen.“

Das Verhängnis wollte es, dass es gerade in seinem Pontifikat zu vielen Krisen und Skandalen kam. Angefangen mit einer Regensburger Rede, von der sich 2006 viele Muslime brüskiert fühlten, bis hin zu kirchlichen Missbrauchsskandalen in Ländern wie Deutschland, Irland und den USA. Sein eigener Kammerdiener klaute ihm Papiere vom Schreibtisch und gab sie an die Presse weiter: der sogenannte Vatileaks-Skandal von 2012, der Benedikt viel Kraft gekostet haben wird. Oft taten Medien dem Papst im Eifer des Gefechts unrecht, viel Häme traf ihn auch aus seiner Heimat; doch die Skandale deckten auch auf, dass der Vatikan in Sachen Kommunikation noch viel zu lernen hatte. Und die Kurie in Sachen Kollegialität. „Viele sind heute bereit, angesichts von – natürlich von anderen begangenen – Skandalen und Ungerechtigkeiten „ihre Kleider zu zerreißen“, aber wenige scheinen bereit, auf ihr „Herz“, ihr Gewissen, ihre Absichten einzuwirken und zuzulassen, daß der Herr sie verwandle, erneuere und bekehre.“ Das sagte der Papst in seiner letzten Messe im Petersdom, am Aschermittwoch 2013. „Wie oft wird das Gesicht der Kirche doch verunstaltet! Ich denke besonders an die Vergehen gegen die Einheit der Kirche, an die Spaltungen im Leib der Kirche... Jesus prangert die religiöse Scheinheiligkeit an, das Verhalten, sich in Szene zu setzen, die Haltungen, die Beifall und Zustimmung suchen. Der wahre Jünger dient nicht sich selbst oder der „Öffentlichkeit“, sondern dem Herrn!“

Das Getöse der Skandale überdeckte weithin den leisen, nachdenklichen Ton dieses Papstes. Und seine Botschaft, bei der man genau hinhören, sich auf sie einlassen musste.

„Wer glaubt, ist nie allein... Gehen auch wir Gott entgegen, dann gehen wir aufeinander zu! ... Die Vision des Glaubens umfaßt Himmel und Erde; Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, die Ewigkeit und ist darum nie ganz auszuschöpfen. Und doch ist sie in ihrem Kern ganz einfach... Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott – an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens. An den Gott, der sich auf uns Menschen einläßt, der unsere Herkunft und unsere Zukunft ist. So ist Glaube immer zugleich Hoffnung, Gewißheit, daß wir Zukunft haben und daß wir nicht ins Leere fallen. Und der Glaube ist Liebe, weil Gottes Liebe uns anstecken möchte. Das ist das Erste: Wir glauben einfach an Gott, und das bringt mit sich auch die Hoffnung und die Liebe.“

Hoffnung und Liebe: Diesen Themen widmete der Papst seine zwei schönsten Enzykliken. Schon mit dem ersten dieser Rundschreiben, Deus Caritas est, überraschte er alle: Der scharfe Denker Ratzinger – einstmals von vielen gefürchteter Glaubenshüter des Vatikans – schrieb da an Weihnachten 2005 als Regierungsprogramm ein Hohelied der Liebe. Wörtlich heißt es darin: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluß oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“ Der Papst ging aus von einem Satz des ersten Johannesbriefes: Wir haben der Liebe geglaubt. So könne der Christ den Grundentscheid seines Lebens ausdrücken.

„Agape, Liebe, wie Johannes sie uns lehrt, ist nichts Sentimentales und nichts Verstiegenes; sie ist ganz nüchtern und realistisch. Ein wenig darüber habe ich in meiner Enzyklika „“ zu sagen versucht. Die Agape, die Liebe ist wirklich die Summe von Gesetz und Propheten. Alles ist in ihr „eingefaltet“, muß aber im Alltag immer neu entfaltet werden. Im Vers 16 unseres Textes findet sich das wundervolle Wort: „Wir haben der Liebe geglaubt.“ Ja, der Liebe kann der Mensch glauben. Bezeugen wir unseren Glauben so, daß er als Kraft der Liebe erscheint, „damit die Welt glaube“ (Joh 17, 21).“

Der Theologe Wolfgang Beinert hält „Deus Caritas est“ „für ein so großartiges Dokument der Kirche, dass die sich verändern müsste, wenn sie diese Enzyklika ernst nimmt“.

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Benedikt XVI.: ein Mann des Wortes. Und ein rätselhafter Papst. Er brachte Gegensätzliches zusammen: Glaube und Vernunft. Scharfsinnige Theologie und kindliches Gottvertrauen. Festhalten am Dogma und Sanftmut. Er war ein Papst, der gleichzeitig dafür warb, dass die Christen wirklich „Salz der Erde“ seien und dass die Kirche sich „entweltlicht“ – ein Begriff aus seiner berühmten Konzerthausrede in Freiburg 2011.

„Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muß die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von dieser ihrer Verweltlichung zu lösen und wieder offen auf Gott hin zu werden. Sie folgt damit den Worten Jesu: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Joh 17,16), und gerade so gibt er sich der Welt. Die Geschichte kommt der Kirche in gewisser Weise durch die verschiedenen Epochen der Säkularisierung zur Hilfe, die zu ihrer Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen haben. Die Säkularisierungen – sei es die Enteignung von Kirchengütern, sei es die Streichung von Privilegien oder ähnliches – bedeuteten nämlich jedesmal eine tiefgreifende Entweltlichung der Kirche, die sich dabei gleichsam ihres weltlichen Reichtums entblößt und wieder ganz ihre weltliche Armut annimmt.“

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Er liebte die Liturgie und rehabilitierte die Form der Messfeier, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil die gängige gewesen war. Gleichzeitig stand er ohne Wenn und Aber zur Liturgie, wie sie aus dem Konzil herausgewachsen war. Er sah, schärfer als sein Vorgänger, die Grenzen eines Dialogs der Kirche mit dem Islam. Und trotzdem brachte gerade er ein neues, nach dem Schock der Regensburger Rede sogar offeneres Gespräch mit dem Islam in Gang. Er verunsicherte immer wieder jüdische Beobachter, etwa mit einer Neuformulierung einer Karfreitagsfürbitte. Gleichzeitig aber war er mit Rabbinern befreundet, besuchte Synagogen, zeigte seinen tiefsten Respekt für das in seinen Augen weiterhin auserwählte, nie von Gott verworfene Volk. Er galt als ökumenisch unbeweglich – und doch ging er in großen Schritten vor allem auf die orthodoxen Christen zu.

23. September 2011: Im Augustinerkloster Erfurt, in dem einst Martin Luther nach dem gnädigen Gott suchte, trifft fünfhundert Jahre später der deutsche Papst die deutschen Protestanten. Dabei würdigt er Luther eindringlich als Gottsucher. Durch Rückbesinnung auf das Eigentliche sollten alle Christen ihren Glauben wieder zum Leuchten bringen in der Welt. Nähmen sie ihr Eigenes wieder ernst und bemühten sich um einen tiefen Glauben, dann brächte das automatisch auch der Ökumene voran. „Nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern ihn ganz zu leben in unserem Heute. Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe, in der wir uns gegenseitig helfen müssen: tiefer und lebendiger zu glauben. Nicht Taktiken retten uns, retten das Christentum, sondern neu gedachter und neu gelebter Glaube…“

Denn darum ging es diesem Papst am allermeisten: Der Welt von heute den Gott „mit menschlichem Antlitz“ zu verkünden. Nicht irgendein Gott war das, sondern ein Gott, der sich uns gezeigt und sich in Jesus mit uns gemeingemacht hat. Nicht eine Lockerung des Zölibats also, Frauenpriestertum, Interkommunion oder sexualethische Fragen sah Benedikt als die drängendsten Probleme unserer Zeit, denen er seine Energie widmen wollte, sondern das Leiserwerden der Gottesfrage in den Gesellschaften des Westens. Er suchte nach Gott – mit unruhigem Herzen, wie sein Vorbild St. Augustinus.

„Dieses unruhige und offene Herz brauchen wir. Es ist der Kern der Pilgerschaft. Auch heute reicht es nicht aus, irgendwie so zu sein und zu denken wie alle anderen. Unser Leben ist weiter angelegt. Wir brauchen Gott, den Gott, der uns sein Gesicht gezeigt und sein Herz geöffnet hat: Jesus Christus... Wenn wir Christen ihn daher den einzigen für alle gültigen Heilsmittler nennen, der alle angeht und dessen alle letztlich bedürfen, so ist dies keine Verachtung der anderen Religionen und keine hochmütige Absolutsetzung unseres eigenen Denkens, sondern es ist das Ergriffensein von dem, der uns angerührt und uns beschenkt hat, damit wir auch andere beschenken können.“

Es gibt eine Wahrheit, man kann sie finden, sie ist eine Person, nämlich Jesus Christus: Davon war dieser Papst immer überzeugt. Sein Wahlspruch: „Mitarbeiter der Wahrheit“.

„In der Tat setzt sich unser Glaube entschieden der Resignation entgegen, die den Menschen als der Wahrheit unfähig ansieht – sie sei zu groß für ihn. Diese Resignation der Wahrheit gegenüber ist meiner Überzeugung nach der Kern der Krise des Westens, Europas. Wenn es Wahrheit für den Menschen nicht gibt, dann kann er auch nicht letztlich Gut und Böse unterscheiden... Wir brauchen Wahrheit.“

(rv 01.03.2013 sk)








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