„Die Kirche lebt“: Letzte Generalaudienz von Papst Benedikt
Papst Benedikt hat
am Mittwoch seine letzte Generalaudienz gehalten. Über 150.000 Menschen nahmen bei
strahlendem Sonnenschein auf dem Petersplatz und der angrenzenden Via Conciliazione
daran teil; viele Radio- und Fernsehstationen übertrugen das Ereignis live. Der Papst,
der an diesem Donnerstagabend aus dem Amt scheidet, verabschiedete sich mit einer
nachdenklichen, stellenweise sehr persönlichen Rede.
„Danke von Herzen!
Ich bin wirklich bewegt, und ich sehe: Die Kirche lebt!“ Gleich zu Beginn der
Audienz erinnert Papst Benedikt an seinen Amtsantritt vor fast acht Jahren hier auf
dem Petersplatz: „Die Kirche lebt, und die Kirche ist jung!“, hatte er im April 2005
ausgerufen. Jetzt geht er, weil ihm die Kräfte zur, wie er es formulierte, „aktiven
Ausübung“ des Petrusamtes schwinden.
„Ich danke vor allem Gott, der die
Kirche leitet und wachsen lässt, der sein Wort aussät und so den Glauben seines Volkes
nährt. In diesem Moment umarme ich in Gedanken die Kirche in der ganzen Welt... Ich
spüre, dass ich euch alle im Gebet in die Gegenwart Gottes hineintrage, wo ich jede
Begegnung, jede Reise, jeden Pastoralbesuch vor ihn bringe. Alles und alle vertraue
ich dem Herrn an…”
Er fühle in sich „großes Vertrauen“, weil er wisse –
„wir alle wissen“ – „dass das Wort der Wahrheit des Evangeliums die Kraft der Kirche
ist, ihr Leben“. Das Evangelium reinige und erneuere, so Benedikt XVI., es trage Frucht,
wo immer die Gemeinschaft der Gläubigen es höre und aufnehme.
„Als ich am 19. April
vor fast acht Jahren den Petrusdienst angenommen habe, hatte ich diese feste Gewissheit,
die mich immer begleitet hat: die Gewissheit, dass die Kirche aus dem Wort Gottes
lebt! In diesem Moment fragte ich mich innerlich: Herr, warum verlangst du das von
mir? Und was genau verlangst du? Das ist eine große Last, die du mir auf die Schultern
legst. Aber wenn du mich darum bittest, dann werde ich auf dein Wort hin das Netz
auswerfen – mit der Sicherheit, dass du mich trotz all meiner Schwächen führst.“
Acht
Jahre danach könne er nun wirklich sagen, dass der Herr ihn geführt habe und ihm nahegewesen
sei.
„Es war für die Kirche eine Wegstrecke, bei der es Momente der Freude
und des Lichtes gab, aber auch nicht einfache Momente. Ich fühlte mich wie der heilige
Petrus mit den Aposteln im Boot auf dem See von Galiläa: Der Herr gab uns so viele
Tage der Sonne und der leichten Brise, Tage, in denen der Fischzug wirklich reich
war. Aber es gab auch Momente, in denen wir hohen Wellengang und Gegenwind hatten,
wie in der ganzen Geschichte der Kirche: Momente, in denen der Herr zu schlafen schien.“
Allerdings
habe er „immer gewusst“, so Papst Benedikt in seiner den Ankündigungen nach letzten
großen Ansprache, „dass der Herr in diesem Boot ist“.
„Wie Kinder in
den Armen Gottes“
„Und ich habe immer gewusst, dass das Boot der
Kirche nicht meines ist, und auch nicht unseres, sondern Seines, und dass der Herr
uns nicht untergehen lässt. Er führt das Ruder, natürlich auch durch Menschen, die
er sich ausgesucht hat, weil er das so wollte. Das war und ist eine Gewissheit, die
durch nichts verdunkelt werden kann. Und das ist der Grund, warum mein Herz heute
voller Dankbarkeit gegenüber Gott ist: Er hat es mir und der Kirche gegenüber nie
an seinem Trost, seinem Licht, seiner Liebe fehlen lassen!“
Der scheidende
Papst erinnerte an das von ihm ausgerufene Jahr des Glaubens, das er am 11. Oktober
des vergangenen Jahres feierlich eingeleitet hat, am 50. Jahrestag des Beginns des
Zweiten Vatikanischen Konzils. Es dauert noch bis in den November hinein und wird
von seinem Nachfolger abgeschlossen werden.
„Ich möchte alle einladen, ihr
festes Vertrauen in den Herrn zu erneuern! Vertrauen wir uns ihm an wie Kinder in
den Armen Gottes. Wir können sicher sein, dass diese Arme uns immerdar halten; das
lässt uns jeden Tag mit seiner Mühe auf sich nehmen. Ich wünschte, dass sich ein jeder
von diesem Gott geliebt fühle, der seinen Sohn für uns hingegeben hat und uns seine
Liebe ohne Grenzen erwiesen hat. Ich wünschte, dass jeder die Freude des Christseins
spüren möge... Ja, seien wir dankbar für das Geschenk des Glaubens, es ist das kostbarste
Gut, das uns niemand entreißen kann! Danken wir dem Herrn jeden Tag dafür, mit dem
Gebet und mit einem kohärenten christlichen Leben. Gott liebt uns, aber er erwartet,
dass auch wir ihn lieben.“
„Nie allein gefühlt“
Doch
nicht nur Gott wolle er in diesen letzten Stunden seines Pontifikates danken, so Benedikt
XVI. Ein Papst sei „nicht allein am Ruder des Schiffleins Petri“, er habe sich „nie
allein gefühlt im Tragen der Freude und Last des Petrusdienstes“, der Herr habe ihm
viele großzügige Helfer und Freunde an die Seite gestellt. Der Papst dankte den Kardinälen,
von denen viele neben ihm saßen, für ihre „Weisheit“, ihren „guten Rat“ und „ihre
Freundschaft“. Ausdrücklich bedankte er sich auch bei seinem Kardinalstaatssekretär
Tarcisio Bertone, „der mir in diesen Jahren treu zur Seite gestanden ist“, dem Staatssekretariat
und der ganzen Römischen Kurie.
„Ich danke überhaupt allen, die in verschiedenen
Bereichen dem Heiligen Stuhl dienen: Es sind viele Gesichter, die nicht hervorstechen,
sondern im Schatten bleiben.. Aber gerade im Schweigen und der täglichen Arbeit, in
einem Geist des Glaubens und der Demut, waren sie für mich eine sichere und verlässliche
Unterstützung.“
„Mit dem Herzen des Vaters“
Der
Papst dankte seinem Bistum Rom, den Bischöfen und Priestern, den Ordensleuten und
„dem ganzen Volk Gottes“: „Bei meinen Pastoralreisen, Begegnungen und Audienzen
habe ich immer große Aufmerksamkeit und tiefe Zuneigung erfahren. Aber auch ich habe
immer alle und jeden einzelnen geliebt, ohne Unterschied, mit der pastoralen Liebe
des Hirten... Jeden Tag habe ich jeden von euch in mein Gebet eingeschlossen, mit
dem Herzen des Vaters. Ich wünschte, mein Gruß und mein Dank erreichten schlechthin
alle: Das Herz eines Papstes weitet sich auf die ganze Welt hin!“
Ausdrücklich
dankte der Papst den Medien und dem ebenfalls in seiner Nähe sitzenden Diplomatischen
Corps, es repräsentiere „die große Familie der Nationen“.
„Viele Briefe
von einfachen Leuten“
„Ich möchte auch wirklich von Herzen den vielen
Menschen in aller Welt danken, die mir in den letzten Wochen bewegende Zeichen der
Aufmerksamkeit, der Freundschaft und des Gebets haben zukommen lassen. Ja, der Papst
ist nie allein, das erfahre ich jetzt noch einmal auf so großartige Weise, dass sie
wirklich ans Herz rührt. Der Papst gehört allen, und unzählige Menschen fühlen sich
ihm nahe. Natürlich bekomme ich Briefe von den Großen der Welt – Staatschefs, religiösen
Führern, Vertretern der Welt der Kultur usw. Aber ich bekomme auch sehr viele Briefe
von einfachen Leuten, die mir einfach von Herzen schreiben und mir ihre Zuneigung
ausdrücken... Diese Personen schreiben mir nicht, wie man zum Beispiel einem Fürsten
oder einem Großen schreibt, den man nicht kennt. Sie schreiben mir wie Brüder und
Schwestern oder wie Söhne und Töchter, mit einer Art sehr anhänglichem Familienzusammenhalt.“
Hier
lasse sich mit Händen greifen, was die Kirche in Wirklichkeit sei, so der Papst: „keine
Organisation, kein Verband mit religiöser oder humanitärer Zielsetzung, sondern ein
lebendiger Leib, eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Leib Christi“. „Die
Kirche so zu erleben, die Kraft ihrer Wahrheit und ihrer Liebe fast mit Händen greifen
zu können, das ist ein Grund zur Freude in einer Zeit, wo so viele von einem Niedergang
der Kirche reden. Wir sehen doch, wie die Kirche heute lebendig ist!“
„Rücktritt
zum Wohl der Kirche“
Der Papst kam dann direkt auf seinen bevorstehenden
Rücktritt zu sprechen; er begründete seinen Schritt noch einmal. „In diesen letzten
Monaten habe ich gefühlt, wie meine Kräfte nachlassen, und ich habe Gott im Gebet
inständig gebeten, mich mit seinem Licht zu erleuchten, damit ich die beste Entscheidung
nicht zu meinem Wohl, sondern zum Wohl der Kirche treffe. Ich habe diesen Schritt
im vollen Bewusstsein darum, wie schwerwiegend und auch wie neu er ist, getan, aber
mit tiefer Gelassenheit. Die Kirche lieben heißt auch, schwierige, harte Entscheidungen
zu treffen und sich dabei immer das Wohl der Kirche vor Augen zu halten, nicht das
eigene Wohl.“
Benedikt XVI. kam noch einmal auf den 19. April 2005 zurück
– den Tag, an dem er im Konklave zum Papst gewählt worden war. „Die Schwere der
Entscheidung lag auch an der Tatsache, dass ich von diesem Moment an völlig und für
immer im Einsatz für den Herrn war. Immer – wer den Petrusdienst übernimmt, hat keine
Privatsphäre mehr. Er gehört immer und völlig allen, der ganzen Kirche. Seinem Leben
wird sozusagen die private Dimension völlig genommen. Aber ich konnte erfahren und
erfahre es genau jetzt, dass einer das Leben gewinnt, wenn er es gibt.“ Ein Papst
habe „Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter in der ganzen Welt“ und fühle sich
„sicher in der Umarmung der Gemeinschaft“. Er gehöre „nicht mehr sich selbst, sondern
allen, und alle gehören ihm“.
„Keine Rückkehr ins Privatleben“
„Das
„Immer“ ist auch „Für immer“: Es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung,
auf die aktive Ausübung des Dienstes zu verzichten, widerruft das nicht. Ich kehre
nicht ins Privatleben zurück, in ein Leben der Reisen, Begegnungen, Empfänge, Konferenzen
usw. Ich verlasse nicht das Kreuz, ich bleibe auf eine neue Weise beim gekreuzigten
Herrn. Ich habe nicht mehr die Amtsgewalt für die Regierung der Kirche, aber ich bleibe
im Dienst des Gebets sozusagen im Bereich des heiligen Petrus. Der heilige Benedikt,
dessen Namen ich als Papst trage, wird mir darin immer ein großes Beispiel sein. Er
hat uns den Weg gezeigt zu einem Leben, das – aktiv oder passiv – doch vollständig
dem Werk Gottes gehört.“
Er danke „allen und jedem einzelnen für den Respekt
und das Verständnis“, auf das seine Entscheidung zum Rücktritt gestoßen sei, fuhr
Benedikt XVI. fort. „Ich werde den Weg der Kirche weiter mit dem Gebet und der
Meditation begleiten, mit derselben Hingabe an den Herrn und an die Kirche, um die
ich mich bis heute bemüht habe. Ich bitte euch, vor Gott an mich zu denken und vor
allem für die Kardinäle zu beten, die zu einer so wichtigen Aufgabe aufgerufen sind,
und für den neuen Nachfolger des Apostels Petrus. Der Herr begleite ihn mit dem Licht
und der Kraft seines Geistes.“
Der Papst bat um die Fürsprache Mariens
und rief dann zum Schluss seiner Ansprache noch einmal aus: „Liebe Freunde, Gott
führt seine Kirche, er steht ihr immer bei, vor allem in den schwierigen Momenten!
Verlieren wir nie diese Vision des Glaubens, die die einzig wahre Vision des Weges
der Kirche und der Welt ist. Möge im Herzen eines jeden von uns immer die freudige
Gewissheit herrschen, dass der Herr uns nahe ist! Er verlässt uns nicht, er ist uns
nahe und hüllt uns in seine Liebe ein.“
Fast 350 Generalaudienzen
insgesamt Insgesamt hielt Papst Benedikt während seines Pontifikats 348
Generalaudienzen, an denen insgesamt 5.116.600 Gläubige teilnahmen. (Daten von April
2005 bis 27. Februar 2013). Die erste Audienz hielt Benedikt am 27. April 2005.