2013-02-06 15:57:43

Die E-Learning-Plattform zur Missbrauchsprävention im Detail


Auch in der Missbrauchs-Prävention setzt die katholische Kirche auf neue Medien: Eine Internetplattform soll Priester, Diakone und Ordensleute für das Thema sensibilisieren und sie umfassend informieren, damit sie beim Verdacht von Kindesmissbrauch wissen, was zu tun ist. Hubert Liebhardt ist seit 2012 Leiter des Münchner Zentrums für Kinderschutz, das in Zusammenarbeit mit der päpstlichen Universität Gregoriana und dem Universitätsklinikum in Ulm an einer solchen „E-Learning-Plattform“ arbeitet. Das Projekt „e-learning-childprotection.com” ging 2012 ans Netz und hat bereits eine erste Testphase hinter sich. Auch flossen internationale Erfahrungen mit dem Projekt in die Weiterentwicklung ein. Stefanie Stahlhofen bat Liebhardt im Interview um ein erstes Fazit. RealAudioMP3

„Wir haben eine Lernplattform aufgebaut, bei der man sich registriert, wo also Nutzer sich anmelden können. Wir haben 250 registrierte, davon sind 120 etwa im tatsächlich aktiven Betrieb. Unser erstes Hauptprogramm war die Einrichtung eines Schulungsprogramms online, begleitet von Präsenzkursen. Weiter haben wir im letzten Jahr unsere acht Partner besucht, in Afrika, Asien, und Südeuropa. Wir haben versucht, hier erste Kontakte aufzubauen, zu schauen, wie funktioniert der Onlinekurs, ist er akzeptiert. Außerdem wollten wir schauen: Wo gibt es Schwierigkeiten, technischer Art, aber auch kulturell gesehen.“


Warum haben Sie sich bei diesem Projekt ausgerechnet für eine Online-Plattform entschieden?


„Weil wir planen, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Wir sind im Moment in einer drei-jährigen Erprobungsphase und planen natürlich, diese Plattform später weiter auszubreiten, sie anderen Diözesen und Sprachräumen anzubieten. Die Idee ist es, schnell viele Leute zu erreichen – deswegen Onlinekurse. Wenn man mit Präsenzkursen arbeitet, was sicherlich noch mal eine dichtere Auseinandersetzung bedeutet, erreicht man noch viel mehr Menschen. Auch kann man Präsenzkurse mit einem Online-Kurs sehr gut vorbereiten. Wir gehen davon aus, das 75 Prozent der Lerninhalte Online laufen werden und 25 Prozent in einem Präsenzkurs. Aber die Idee ist prinzipiell, das einfach weiter zu verstreuen auf der Welt.“


Lernen anhand konkreter Fallbeispiele


Wie sieht die Plattform ganz konkret aus?


„Wir haben insgesamt 21 Lerneinheiten, die verpflichtend sind, von etwa 45-60 Minuten. Enthalten ist immer ein Grundlagenkapitel, also der Wissenserwerb, begleitet von drei Fällen – der Fall Anna, der Fall Lukas und der Fall Johannes. Jeweils drei Kinder, die im familiären Kontext, im institutionellen Kontext und auch durch einen Priester Missbrauchserfahrungen erlebt haben. Der Nutzer des Plattform kann sich durch einen Fall durcharbeiten, er kann auch Übungen machen, Gespräche mitverfolgen und kommentieren – also sehr praxisnah anhand von Fällen. Und dann gibt es am Schluss eine Prüfung nach multiple-choice-Verfahren, in der geprüft wird, ob man das, was man gelernt hat, auch tatsächlich kann, um dann mit einem Zertifikat abzuschließen.“


Haben Sie denn schon Ergebnisse, Erfahrungen, ob das dann wirklich auch in der Praxis hilft?


„Ich kann für Deutschland sprechen. Wir haben in Deutschland durchaus die Erfahrung gemacht, dass Wissenserwerb zu einer Bewusstseinserweiterung führt und zu einer Kompetenzentwicklung, die dann befähigt, in dem Moment, wo es tatsächlich kritisch wird, auch ruhig zu bleiben. Das ist ja die erste große Botschaft: ruhig zu bleiben, wenn man eine Vermutung hat oder wenn man von einem Kind angesprochen wird. Und das Wissen und die vorherige Auseinandersetzung damit befähigt einen dann dazu, auch wirklich stark zu sein – man nennt das einen ,powerment-approach‘. Und da haben wir in Deutschland, kann man schon sagen, positive Erfahrungen gemacht.“

Kommt auch ein zum Beispiel 60-jähriger Priester problemlos mit dem Programm klar?


„Da braucht man gar nicht den 60-jährigen Priester anschauen, da kann man schon bei der 20-jährigen Ordensschwester anfangen. Das Lernen online ist natürlich schon eine moderne Technologie, die jetzt in den Berufsgruppen als Weiter- und Fortbildung noch nicht so in die Routine übergegangen ist. Es gibt sicherlich auch da kritische Momente, aber wir sind mutig und sagen: Wir leiten die Leute stark an und haben auch vor Ort Leute, die die Teilnehmer begleiten als Trainer . Wir haben insgesamt 26 Trainer, die die Leute vor Ort begleiten. Also es ist nicht ein völlig abgelöstes, im Netz verlorenes, Lernen!“


Ist das Projekt also auch rückgekoppelt, gibt es einen persönlichem Kontakt, etwa bei Problemen oder Fragen?


„Genau das ist der Trainer, der vor Ort ist. Wir haben Kleingruppen von 20-30 Personen, die einem Trainer, einer Kontaktperson zugeordnet sind, den man direkt auch anmailen kann über ein Forum, über einen Chat oder über eine persönliche Nachricht. Also man muss nicht über Email gehen, sondern im System, in der Lernplattform gibt es die Möglichkeit, sich mit dem Trainer auch auszutauschen.“


Was ist denn kirchenspezifisch an dieser Plattform?


„Verschiedene Bereiche: Von den 20 Lerneinheiten, die verpflichtend sind, sind fünf Lerneinheiten auf pastorale Kontexte, auf theologische Kontexte, auf Kirchenrecht ausgerichtet, auf Moraltheologie. Also es gibt fünf Lerneinheiten, die sich speziell mit dem kirchlichen Kontext beschäftigen. Ansonsten ist natürlich schon auch der wichtige Schwerpunkt im Sozialwissenschaftlichen gesetzt, also hier Kompetenzen zu erwerben, ganz konkret in der Arbeit.“


„Aufarbeitung, Interventionsbefähigung und Prävention gemeinsam denken“


Eine E-Learning-Plattform zur Prävention von sexuellem Missbrauch zu starten, das klingt sehr modern - wo sehen Sie die Kirche in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und in der Prävention?


„Also für die Prävention kann ich natürlich sagen: Da stehen wir direkt an der Front, da habe ich ein gutes Gefühl. Gerade für die deutschen Diözesen kann ich sagen, das hier sehr, sehr viel getan wird. Es gibt natürlich die Leitlinien, das ist ja schon eigentlich ein abgeschlossener Prozess, kann man sagen, die stehen. Und es gibt viele Konzepte. In vielen Diözesen gibt es Handreichungen, auch bei den Jugendverbänden, es gibt Ansprechpartner für Prävention, es gibt Ansprechpartner für Aufarbeitung, und das Thema Aufarbeitung ist natürlich gerade in Deutschland aufgrund der Problematik mit der Studie von Professor Pfeiffer auch wieder in aller Munde. Aber ich sehe auch hier einen sehr großen Willen. Gerade die Erzdiözese München und Freising hat ja sehr viel an Aufarbeitung bereits geleistet. Aber: Da muss die Kirche auch dran bleiben. Man kann das jetzt nicht abhaken und dann einfach Prävention machen, sondern man muss Aufarbeitung, Interventionsbefähigung und Prävention gemeinsam denken.“


Wo sehen Sie denn noch Verbesserungspotential?


„Wir sind natürlich mit den Leuten beschäftigt, die auch wirklich sehr pro-aktiv arbeiten, von daher… Vielleicht ist mein Blick da nicht immer nur an der Wunde, sondern ich bin da, wo Menschen wirklich positiv engagiert sind und weitermachen. Aus meiner eigenen Praxiserfahrung in den Gemeinden habe ich den Eindruck, dass die Gemeinden sich mit dem Thema nicht wirklich beschäftigen. Also, an der Basisarbeit ist es noch kaum angekommen. Bei uns wird ja noch gestritten, ob man die Selbstverpflichtungserklärung unterschreibt und was tatsächlich zu tun ist in den Gemeinden, sage ich jetzt mal. Aber das kann auch nicht für jede Gemeinde zutreffen... Ich kann da nur von meinem persönlichen Bereich jetzt sprechen.“


Noch ist die Online-Plattform zur Prävention von sexuellem Missbrauch in der Probephase. Ab 2014 soll es erste Auswertungen des Projekts geben, so dass dann ein Trainingssystem zu Verfügung steht, dass flächendeckend eingesetzt werden kann. Das Projekt kann gegebenenfalls auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter in der kirchlichen Jugendarbeit ausgeweitet werden.


(rv 06.02.2013 sta)








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