Die E-Learning-Plattform zur Missbrauchsprävention im Detail
Auch in der Missbrauchs-Prävention setzt die katholische Kirche auf neue Medien: Eine
Internetplattform soll Priester, Diakone und Ordensleute für das Thema sensibilisieren
und sie umfassend informieren, damit sie beim Verdacht von Kindesmissbrauch wissen,
was zu tun ist. Hubert Liebhardt ist seit 2012 Leiter des Münchner Zentrums für Kinderschutz,
das in Zusammenarbeit mit der päpstlichen Universität Gregoriana und dem Universitätsklinikum
in Ulm an einer solchen „E-Learning-Plattform“ arbeitet. Das Projekt „e-learning-childprotection.com”
ging 2012 ans Netz und hat bereits eine erste Testphase hinter sich. Auch flossen
internationale Erfahrungen mit dem Projekt in die Weiterentwicklung ein. Stefanie
Stahlhofen bat Liebhardt im Interview um ein erstes Fazit.
„Wir haben
eine Lernplattform aufgebaut, bei der man sich registriert, wo also Nutzer sich anmelden
können. Wir haben 250 registrierte, davon sind 120 etwa im tatsächlich aktiven Betrieb.
Unser erstes Hauptprogramm war die Einrichtung eines Schulungsprogramms online, begleitet
von Präsenzkursen. Weiter haben wir im letzten Jahr unsere acht Partner besucht, in
Afrika, Asien, und Südeuropa. Wir haben versucht, hier erste Kontakte aufzubauen,
zu schauen, wie funktioniert der Onlinekurs, ist er akzeptiert. Außerdem wollten wir
schauen: Wo gibt es Schwierigkeiten, technischer Art, aber auch kulturell gesehen.“
Warum
haben Sie sich bei diesem Projekt ausgerechnet für eine Online-Plattform entschieden?
„Weil wir planen, so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Wir sind
im Moment in einer drei-jährigen Erprobungsphase und planen natürlich, diese Plattform
später weiter auszubreiten, sie anderen Diözesen und Sprachräumen anzubieten. Die
Idee ist es, schnell viele Leute zu erreichen – deswegen Onlinekurse. Wenn man mit
Präsenzkursen arbeitet, was sicherlich noch mal eine dichtere Auseinandersetzung bedeutet,
erreicht man noch viel mehr Menschen. Auch kann man Präsenzkurse mit einem Online-Kurs
sehr gut vorbereiten. Wir gehen davon aus, das 75 Prozent der Lerninhalte Online laufen
werden und 25 Prozent in einem Präsenzkurs. Aber die Idee ist prinzipiell, das einfach
weiter zu verstreuen auf der Welt.“
Lernen anhand konkreter Fallbeispiele
Wie
sieht die Plattform ganz konkret aus?
„Wir haben insgesamt 21 Lerneinheiten,
die verpflichtend sind, von etwa 45-60 Minuten. Enthalten ist immer ein Grundlagenkapitel,
also der Wissenserwerb, begleitet von drei Fällen – der Fall Anna, der Fall Lukas
und der Fall Johannes. Jeweils drei Kinder, die im familiären Kontext, im institutionellen
Kontext und auch durch einen Priester Missbrauchserfahrungen erlebt haben. Der Nutzer
des Plattform kann sich durch einen Fall durcharbeiten, er kann auch Übungen machen,
Gespräche mitverfolgen und kommentieren – also sehr praxisnah anhand von Fällen. Und
dann gibt es am Schluss eine Prüfung nach multiple-choice-Verfahren, in der geprüft
wird, ob man das, was man gelernt hat, auch tatsächlich kann, um dann mit einem Zertifikat
abzuschließen.“
Haben Sie denn schon Ergebnisse, Erfahrungen, ob das
dann wirklich auch in der Praxis hilft?
„Ich kann für Deutschland sprechen.
Wir haben in Deutschland durchaus die Erfahrung gemacht, dass Wissenserwerb zu einer
Bewusstseinserweiterung führt und zu einer Kompetenzentwicklung, die dann befähigt,
in dem Moment, wo es tatsächlich kritisch wird, auch ruhig zu bleiben. Das ist ja
die erste große Botschaft: ruhig zu bleiben, wenn man eine Vermutung hat oder wenn
man von einem Kind angesprochen wird. Und das Wissen und die vorherige Auseinandersetzung
damit befähigt einen dann dazu, auch wirklich stark zu sein – man nennt das einen
,powerment-approach‘. Und da haben wir in Deutschland, kann man schon sagen, positive
Erfahrungen gemacht.“
Kommt auch ein zum Beispiel 60-jähriger Priester
problemlos mit dem Programm klar?
„Da braucht man gar nicht den 60-jährigen
Priester anschauen, da kann man schon bei der 20-jährigen Ordensschwester anfangen.
Das Lernen online ist natürlich schon eine moderne Technologie, die jetzt in den Berufsgruppen
als Weiter- und Fortbildung noch nicht so in die Routine übergegangen ist. Es gibt
sicherlich auch da kritische Momente, aber wir sind mutig und sagen: Wir leiten die
Leute stark an und haben auch vor Ort Leute, die die Teilnehmer begleiten als Trainer
. Wir haben insgesamt 26 Trainer, die die Leute vor Ort begleiten. Also es ist nicht
ein völlig abgelöstes, im Netz verlorenes, Lernen!“
Ist das Projekt
also auch rückgekoppelt, gibt es einen persönlichem Kontakt, etwa bei Problemen oder
Fragen?
„Genau das ist der Trainer, der vor Ort ist. Wir haben Kleingruppen
von 20-30 Personen, die einem Trainer, einer Kontaktperson zugeordnet sind, den man
direkt auch anmailen kann über ein Forum, über einen Chat oder über eine persönliche
Nachricht. Also man muss nicht über Email gehen, sondern im System, in der Lernplattform
gibt es die Möglichkeit, sich mit dem Trainer auch auszutauschen.“
Was
ist denn kirchenspezifisch an dieser Plattform?
„Verschiedene
Bereiche: Von den 20 Lerneinheiten, die verpflichtend sind, sind fünf Lerneinheiten
auf pastorale Kontexte, auf theologische Kontexte, auf Kirchenrecht ausgerichtet,
auf Moraltheologie. Also es gibt fünf Lerneinheiten, die sich speziell mit dem kirchlichen
Kontext beschäftigen. Ansonsten ist natürlich schon auch der wichtige Schwerpunkt
im Sozialwissenschaftlichen gesetzt, also hier Kompetenzen zu erwerben, ganz konkret
in der Arbeit.“
„Aufarbeitung, Interventionsbefähigung und Prävention
gemeinsam denken“
Eine E-Learning-Plattform zur Prävention von
sexuellem Missbrauch zu starten, das klingt sehr modern - wo sehen Sie die Kirche
in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und in der Prävention?
„Also
für die Prävention kann ich natürlich sagen: Da stehen wir direkt an der Front, da
habe ich ein gutes Gefühl. Gerade für die deutschen Diözesen kann ich sagen, das hier
sehr, sehr viel getan wird. Es gibt natürlich die Leitlinien, das ist ja schon eigentlich
ein abgeschlossener Prozess, kann man sagen, die stehen. Und es gibt viele Konzepte.
In vielen Diözesen gibt es Handreichungen, auch bei den Jugendverbänden, es gibt Ansprechpartner
für Prävention, es gibt Ansprechpartner für Aufarbeitung, und das Thema Aufarbeitung
ist natürlich gerade in Deutschland aufgrund der Problematik mit der Studie von Professor
Pfeiffer auch wieder in aller Munde. Aber ich sehe auch hier einen sehr großen Willen.
Gerade die Erzdiözese München und Freising hat ja sehr viel an Aufarbeitung bereits
geleistet. Aber: Da muss die Kirche auch dran bleiben. Man kann das jetzt nicht abhaken
und dann einfach Prävention machen, sondern man muss Aufarbeitung, Interventionsbefähigung
und Prävention gemeinsam denken.“
Wo sehen Sie denn noch Verbesserungspotential?
„Wir
sind natürlich mit den Leuten beschäftigt, die auch wirklich sehr pro-aktiv arbeiten,
von daher… Vielleicht ist mein Blick da nicht immer nur an der Wunde, sondern ich
bin da, wo Menschen wirklich positiv engagiert sind und weitermachen. Aus meiner eigenen
Praxiserfahrung in den Gemeinden habe ich den Eindruck, dass die Gemeinden sich mit
dem Thema nicht wirklich beschäftigen. Also, an der Basisarbeit ist es noch kaum angekommen.
Bei uns wird ja noch gestritten, ob man die Selbstverpflichtungserklärung unterschreibt
und was tatsächlich zu tun ist in den Gemeinden, sage ich jetzt mal. Aber das kann
auch nicht für jede Gemeinde zutreffen... Ich kann da nur von meinem persönlichen
Bereich jetzt sprechen.“
Noch ist die Online-Plattform zur Prävention
von sexuellem Missbrauch in der Probephase. Ab 2014 soll es erste Auswertungen des
Projekts geben, so dass dann ein Trainingssystem zu Verfügung steht, dass flächendeckend
eingesetzt werden kann. Das Projekt kann gegebenenfalls auch auf ehrenamtliche Mitarbeiter
in der kirchlichen Jugendarbeit ausgeweitet werden.