Alois Glück: „Politik allein rettet noch nicht die Familie“
„Der 200-Milliarden-Irrtum“: Unter dieser Überschrift reitet das Wochenmagazin „Der
Spiegel“ diese Woche einen Großangriff auf die deutsche Familienpolitik. „Kaum ein
Land Europas gibt so viel für Familien aus wie Deutschland, doch die Geburtenzahl
sinkt“, schreibt das Magazin. Und es urteilt unter Berufung auf eine noch unveröffentlichte
Basler Studie Schweizer Forscher: „Der Großteil des Geldes wird verschwendet.“ Stimmt
das?, fragte das Kölner Domradio den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen
Katholiken, Alois Glück.
„Ich bezweifle, dass man solche Feststellung so
pauschal treffen kann, wie es die Gutachter tun. Natürlich sollten alle Maßnahmen
- auch sozial- und familienpolitische - immer wieder auf ihre Wirksamkeit überprüft
werden. Und die erste Frage muss lauten: An was messen wir denn Wirksamkeit für Familien?
Ist es die Zahl der Kinder? Ist es die Zahl der berufstätigen Frauen? Soll Familienpolitik
nur funktional verstanden werden? Das alles ist damit überhaupt nicht gewertet. Und
deswegen sollte eine solche Untersuchung vor allem Anlass sein, über diese Themen
zu reden und zu fragen, ob die rein ökonomische Betrachtungsweise - die Frage, wie
viele Kinder bei wie viel Geld zur Welt kommen - der richtige Maßstab ist.“
Kindergeld?
Das helfe armen Familien kaum, sagt die Studie, weil es bei ihnen mit anderen Sozialleistungen
verrechnet werde. Dennoch sei es aber für viele Familien „sehr wichtig“, hält Glück
dagegen. Betreuungsgeld? Wirkungslos, sagt die Studie. Nein, es schafft „tatsächliche
Wahlfreiheit“ für Eltern, sagt Glück im Gespräch mit dem Kölner Domradio. Der Ausbau
von Kitas und das Investieren in Betreuungseinrichtungen, wie das der „Spiegel“ und
die Opposition in Deutschland vorschlagen? Diese Maßnahmen würden die Zahl der Kinder
wohl auch nicht „entscheidend verändern“, glaubt Glück. .
„Und wieder
wird hier Familie nur funktional mit Blick auf Arbeitskräfte gesehen. Wir haben ein
ganz anderes grundlegendes Problem: die gesellschaftliche Bedeutung von Kindern und
Familien, der Stellenwert. Kürzlich erst hat eine europäische Studie die Selbsteinschätzung
der Menschen auf ihre Kinderfreundlichkeit der Gesellschaften untersucht. Die Deutschen
haben ehrlicherweise festgestellt, wir sind keine kinderfreundliche Gesellschaft.
An der Spitze dieser Umfrage liegt Dänemark mit 90 Prozent, Frankreich folgt an fünfter
Stelle mit 40, in Deutschland sagen nur 15 Prozent, wir sind eine kinderfreundliche
Gesellschaft. Wenn wir Familien - Kinder und alte Menschen - nicht grundsätzlich anders
verorten und das gesamte gesellschaftliche Leben nicht anders darauf einstellen, werden
weder zusätzliche finanzielle Leistungen noch ein Umsteuern auf Kinderbetreuungseinrichtungen
die Frage der Kinder in Deutschland wesentlich verändern. Diese Debatte müssen wir
führen!“