Einheitswoche in Rom: „2. Vatikanum hat Ökumene einen Schub gegeben“
Ökumenische Gottesdienste
und Gebetstreffen, Vorträge und internationale Gäste – Pfarrer Jens-Martin Kruse von
der Evangelisch-Lutherischen Christusgemeinde Rom kommt in diesen Tagen aus seinem
Talar „kaum noch heraus“, wie er es selber ausdrückt. In der laufenden Gebetswoche
für die Einheit der Christen haben wir den evangelischen Geistlichen in seiner Gemeinde
in der Via Toscana nahe dem antiken römischen Stadttor „Porta Pinciana“ besucht. Die
Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (ELKI) hat etwa 6.000 Mitglieder, alleine
in Rom sind es an die 500.
Von Berührungsängsten der christlichen Kirchen ist
in der Ewigen Stadt laut Kruse nichts zu spüren. Auf Gemeindeebene gebe es eine „sehr
gut funktionierende, lebendige Ökumene“, erzählt der Pfarrer: „Das vermutet man oft
nicht, wenn man den Namen Rom hört. Aber die Ökumene zwischen den Gemeinden und den
Gemeindemitgliedern hat eine große Selbstverständlichkeit und eine hohe Verlässlichkeit.
Und ich sage immer, es gibt wohl keinen Ort auf der Welt – vielleicht mit Ausnahme
von Jerusalem – wo es so viel Ökumene gibt wie in Rom.“ Was wesentlich damit zusammenhängt,
dass alle christlichen Kirchen in der Ewigen Stadt vertreten sind, „nicht nur die
große römisch-katholische Kirche in ihrer ganzen Vielfalt, sondern auch alle Orthodoxen,
alle Protestanten, alle Minderheiten, alle Orden“ – „eine ganz wunderbare Ausgangssituation
für gute und gelingende Ökumene!“
Was im römischen Gemeindeleben im Alltag
gelingt, ist auf weltkirchlicher Ebene allerdings oft noch eine Wunschvorstellung,
beobachtet der evangelische Pfarrer: „Da scheint aus meiner Sicht im Moment eine gewisse
Verzagtheit zu herrschen und ein bisschen Zurücknehmen. Das hängt zum einen sicherlich
damit zusammen, dass wichtige Hauptfiguren, die die Ökumene über Jahrzehnte geprägt
haben, immer mehr zurücktreten. Aber es hängt auch damit zusammen, dass sich die Kirchen
auf Weltebene eher mit etwas Distanz gegenüberstehen und zum Teil nicht wissen, wie
sie weiter miteinander umgehen können.“
Mehr Mut und mehr Vertrauen
Hier
würde sich Kruse mehr Vertrauen wünschen, und auch mehr Mut. Vertrauen, wie es der
Konzilspapst Johannes XXIII. hatte, der mit dem Zweiten Vatikanum die Ökumene entscheidend
anschob: „Im festen Vertrauen darauf, dass das dem Willen Gottes entspricht, ohne
genau wissen zu können, wie sich die Sache entwickelt.“ Und auch mehr Mut, so Kruse
weiter – Mut zum gemeinsamen ökumenischen Handeln:
„Als Papst Paul VI. das
Zweite Vatikanische Konzil beendet hat, übrigens zum ersten Mal mit einem ökumenischen
Gottesdienst in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern, da hat er – wie ich finde
– einen ganz bewegenden Satz gesagt, rückblickend auf das Konzilsereignis und zu den
Beobachtern des Konzils aus den anderen Kirchen: ,Wir haben wieder begonnen, uns zu
lieben.’ Das ist ganz entscheidend: Wir müssen wieder stärker entdecken, dass wir
gemeinsam zu der einen Kirche Christi gehören. Und dieses Wissen, das ist nicht nur
eine Sache für den Kopf, sondern das muss im Herzen ankommen. Dann gehen wir auch
anders miteinander um – nämlich mit Verständnis, mit Wohlwollen, mit dem Bemühen,
beim anderen Gemeinsamkeiten zu entdecken und weniger das Trennende zu betonen.“
Die
katholisch-evangelischen Freundschaften und Bekanntschaften, die sich aus dem Zweiten
Vatikanischen Konzil entwickelten – erstmals waren dort evangelische Konzilsbeobachter
eingeladen – seien „ein ganz wesentlicher Baustein für die Ökumene“ nach dem Konzil
gewesen, so Kruse: „Davon zehren wir noch heute.“ Allerdings seien Katholiken wie
Protestanten heute gleichermaßen gefordert, sich innerlich noch mehr gegenüber dem
anderen zu öffnen, meint Kruse: „Also, sowohl die Wahrnehmung des Zweiten Vatikanischen
Konzils durch die evangelische Kirche, als auch die Wahrnehmung des sich anbahnenden
Reformationsjubiläums 2017 durch die römisch-katholische Kirche sind ja nicht frei
von Untertönen, die nachdenklich stimmen. Aussagen wie: ,Es gibt 2017 nichts zu feiern’
sind aus meiner Sicht eher unglücklich, weil sie natürlich auf evangelischer Seite
zu Verletzungen führen, die unnötig sind, und Türen zuschlagen, die man wie ich glaube
nicht zuschlagen müsste.“
Auch weil nach Ansicht des evangelischen Geistlichen
„die großen theologischen Fragen“ in den vergangenen 50 Jahren weitestgehend geklärt
worden seien - „in einer Weise, die es möglich macht, mehr Nähe auch zu leben. Sei
es das Thema Abendmahl, sei es das Thema Sukzession, Amtsverständnis – da gibt es
Differenzen, aber nach meinem Dafürhalten sind die nicht so gravierend, dass wir auf
Dauer getrennt gegenüber stehen müssen, sondern wir können uns ein Stück weit mehr
aufeinander zubewegen.“
Papst 2010 in der lutherisch-evangelischen Gemeinde
in Rom
Der Papst hatte die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Rom im März
2010 besucht und dort an einem evangelischen Gottesdienst teilgenommen: „Und er hat
da ganz entscheidende Dinge gesagt, indem er uns darauf hingewiesen hat, wie schön
das ist, das wir zusammen Gottesdienst feiern können und dass es wichtiger ist, das
Gemeinsame in den Blick zu nehmen als ständig sich über das Trennende oder das, was
noch fehlt, zu beklagen.“ Für Kruse spielt der deutsche Papst für die Ökumene eine
„ganz entscheidende und herausragende Rolle“, Benedikt XVI. liege die Ökumene wirklich
am Herzen:
„Wenn man hier in Rom den Papst aus der Nahperspektive erlebt,
dann kriegt man ein anderes Bild von dem, was er eigentlich tagtäglich so tut, und
es ist wichtig, das wahrzunehmen. Und dann sieht man eben, dass er immer wieder Akzente
für die Ökumene setzt wie zuletzt bei dem Jugendtreffen von Taizé, bei dem gemeinsamen
Gebet auf dem Petersplatz, wo er ganz klar unterstrichen hat, wie wichtig die Ökumene
für die römisch-katholische Kirche ist. Also wenn ich den Papst erlebe, habe ich nicht
das Gefühl, das sind einfach nur schöne Worte, sondern das ist ihm ein Herzensanliegen,
und im Grunde genommen wäre es unsere Aufgabe als Vertreter der Kirchen, genau da
anzusetzen und den Papst beim Wort zu nehmen und zu sehen, wie man auf diesem Weg
ein Stück weiter kommen kann.“
Nach dem Gespräch geht’s für Pfarrer Kruse schon
wieder zum nächsten Termin in der Gebetswoche: ein ökumenischer Gottesdienst mit Vertretern
aller römischer Kirchen in der Gemeinde San Barnaba im Südosten der Stadt, geleitet
vom römischen Kardinalvikar Agostino Vallini. Großen Abschluss der Weltgebetswoche
für die Einheit der Christen bildet dann am kommenden Freitag die ökumenisch gestaltete
Vesper mit Papst Benedikt XVI. in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern. Dabei sind
auch Vertreter der Anglikaner und des griechisch-orthodoxen Patriarchates. Radio Vatikan
überträgt live und mit deutschem Kommentar.