Der Leiter der Europäischen Melanchthon-Akademie in Bretten, Günter Frank, warnt vor
einer Verklärung des evangelischen Reformators Martin Luther. Die Reformation sei
keine Zeit der Toleranz gewesen, sondern „im Gegenteil eine Zeit der Intoleranz“.
Das sagte Frank am Freitag in einem Interview mit dem Internetauftritt katholisch.de.
Man müsse „einfach nüchtern historisch feststellen, dass Luther im Umgang mit den
Andersgläubigen, also den römischen Christen, den Juden und Moslems nicht tolerant
war“. Allenfalls lasse sich sagen, dass es in der breiten Reformationsbewegung des
16. Jahrhunderts insgesamt „einige Bausteine für Toleranz“ gegeben habe. „Und dann
kann man sagen“, so Frank wörtlich, „dass Reformation ein Katalysator für das war,
was in der Folgezeit zu dem geführt hat, was wir heute als Toleranz bezeichnen“. Seiner
Melanchthon-Akademie gehe es „darum, etwas von der Fixierung auf Wittenberg und Luther
wegzukommen“. „Wenn man auf die Reformation als Gesamtereignis in ihrer weltgeschichtlichen
Entwicklung sieht, kommt man auch auf das Verhältnis Philipp Melanchthons zu den Türken
und Juden, das signifikant anders war als das Luthers. Im jüdisch-kulturellen Gedächtnis
ist er auch präsent, von ihm sind keine antijüdischen Schriften überliefert, sondern
sein Eintreten gegen ein Juden-Pogrom in Brandenburg wird von jüdischer Seite bis
heute hoch geschätzt.“ Es gebe bei Melanchthon auch „überraschende Äußerungen über
den Islam“: Er würdige die Muslime, „weil sie frommer seien als die Christen und keinen
Aberglauben hätten“. Frank erklärte, sein Wunsch sei es, „dass man die Verbindung
von Reformation und Toleranz wirklich als Aufgabe und Auftrag für die Kirchen begreift.
Dass man sich nicht historisch selbstgefällig zurücklehnt und sagt, dass die Reformation
eine Zeit der Toleranz gewesen sei.“ Günter Frank ist katholischer Theologe und Philosoph.
Seit 1998 leitet er die Melanchthon-Akademie in Bretten, der Geburtsstadt des Humanisten
und Reformators. Zusätzlich lehrt er seit 2001 als Privatdozent für Philosophie an
der Freien Universität in Berlin.