Der Militäreinsatz
Frankreichs scheint angesichts der verfahrenen Lage tatsächlich eine logische Konsequenz
gewesen zu sein. So sieht Hannes Stegemann, Afrikakoordinator für das Hilfswerk Caritas
die Situation in Mali. Er warnt außerdem davor, dass vor allem die reflexartige Aufkündigung
der Entwicklungszusammenarbeit mit Staaten, in denen unklare demokratische Verhältnisse
herrschen, eine dramatische Verschlimmerung der Situation vor Ort bedeuten kann. Er
versteht zwar den bisweilen geäußerten Wunsch, dass die malische Armee selbst die
Befreiung des Territoriums hätte durchführen sollen. Doch er gibt zu bedenken:
„Ich
denke, das ist eine sehr problematische Frage, da die malische Armee nicht nur traditionell
sehr schwach war, sondern eben über die Ereignisse im Jahr 2012 im Norden militärisch
geschlagen wurde und daraus ein Militärputsch resultierte. Ich kann mir nur schwer
vorstellen, wie man eine Aufrüstung einer Putschistenarmee in diesem Moment hätte
legitimieren können. Es stellt sich auch das Problem von eventuellen massiven Menschenrechtsverletzungen
durch die malische Armee bei der Wiedereroberung des Nordens. Ich glaube, da hat die
Internationale Gemeinschaft auch die Aufgabe, diesen Militäreinsatz unter Kontrolle
zu halten und den eventuellen Einsatz der malischen Armee sehr strikt zu kontrollieren.
Denn im Augenblick haben wir die Situation, in der die Bevölkerung der Tuareg im Ganzen
von der Mehrheit der malischen Bevölkerung für ihre schlechte politische, ökonomische
und humanitäre Lage verantwortlich gemacht wird. Natürlich sind viele Tuareg an der
Problematik beteiligt, aber eben nicht pauschal als ethnische Gruppe. Da müssen wir
in den nächsten Wochen ein Auge darauf haben, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen
kommt.“
Die Krise in Mali habe sich zwar jüngst verschärft, dauere nun
aber schon seit mindestens 2011 an. Eine Ernährungskrise wegen schlechter Ernten sei
ab Januar 2012 durch eine erneute Tuareg-Rebellion im Norden Malis überlagert worden.
Diese sei in erster Linie durch eine Rückkehr von Tuareg-Söldnern, die im Dienst von
Gaddafi in Libyen gewesen seien, genährt worden:
„Anschließend hat sich
darüber eine neue Problematik gelegt, ab etwa März/April 2012, dass verschiedene Gruppierungen
von Al Kaida und anderer internationaler salafistischer Milizen die großen Städte
des Nordens eingenommen haben und dort eine Schreckensherrschaft etabliert haben.
In den letzten Wochen deutet sich an, dass diese salafistischen Milizen auch in den
Süden vordringen wollten und deshalb hat wohl Frankreich schließlich nach zwölf Monaten
Zuschauen reagiert um militärisch zu intervenieren und zumindest die Bevölkerung Südmalis
zu schützen.“
Tatsächlich seien die Möglichkeiten, die es vielleicht gegeben
hätte, diesen Militäreinsatz doch noch zu verhandeln, wohl ausgeschöpft worden. Zwar
sei sich der Caritas-Fachmann dessen bewusst, dass niemand Krieg wolle und die Wiederherstellung
des Friedens über Verhandlungen und Dialog die vorzuziehende Option sei:
„Aber
im Fall von Mali haben die letzten Monate gezeigt, dass man niemanden gefunden hat,
mit dem man vernünftig hätte verhandeln können, allein deshalb, weil es eine zugewanderte
Radikalisierung war und niemand von diesen zugewanderten Salafisten wirklich gesprächsbereit
war. Die Schreckensherrschaft hat sich täglich verschlimmert, wir sprechen von Gliedmaßenamputation,
Steinigung, Auspeitschen. Vor diesem Hintergrund würde ich sagen, dass es im Norden
dort oben aktuell niemanden gibt, der ein seriöser Ansprechpartner für Verhandlungen
wäre. Ich denke also, der Militäreinsatz nach zwölf Monaten gescheiterter Verhandlungsversuchen
entbehrt nicht einer gewissen Logik, vor allem, weil ja die Salafisten im Norden statt
weiter zu verhandeln, ihrerseits zum Angriff auf den Süden, sprich Mopti oder Sévaré,
geblasen hatten. Sie wollten den Flughafen von Sévaré aus strategischen Gründen erobern,
so dass sie ihrerseits auch eine erneute militärische Dynamik ausgelöst haben.“
Diese
Intervention Frankreichs werde von der großen Mehrheit der malischen Bevölkerung im
Süden, aber auch im Norden und in Städten wie Gao begrüßt.
„Wenn man sich
die ersten Bilder von der Ankunft französischer Bodentruppen in Gao ansieht, wo die
Leute am Straßenrand stehen und winken, die Leute in Bamako malische und französische
Fahnen aus dem Fenster hängen - also ich habe den Eindruck, man ist froh, dass die
internationale Gemeinschaft endlich zur Hilfe gekommen ist. Dass es nun ausgerechnet
Frankreich ist, hat sicherlich etwas mit der kolonialen Vergangenheit zu tun, vielleicht
auch mit besonderen politischen und ökonomischen Interessen Frankreichs in der Region,
aber die Bevölkerung ist froh, dass man ihnen endlich zur Hilfe kommt.“
Abgesehen
von einem militärischen Eingreifen sei nun aber insbesondere wichtig, rasch die Sanktionen
gegen Mali aufzuheben und die Entwicklungszusammenarbeit wieder aufzunehmen:
„Es
ist wichtig, dass es nicht nur bei verbaler Solidarität bleibt – ich bin zuversichtlich,
dass Deutschland tatsächlich auch die Transportflugzeuge zur Verfügung stellen wird,
Belgien hat ähnliches angekündigt – ich denke, man muss nun Solidarität mit Frankreich
zeigen, aber auch mit dem demnächst anlaufenden Militäreinsatz der westafrikanischen
Wirtschaftsunion, deren Truppen vermutlich bereits in der kommenden Woche in Mali
ankommen werden. Darüber hinaus denke ich, dass man die Situation der verhängten Sanktionen
gegen Mali in Folge des Militärputsches vom März 2012 überdenken muss. Durch das Aussetzen
beispielsweise der bilateralen Entwicklungsarbeit zwischen Deutschland und Mali ist
natürlich auch die Zivilbevölkerung betroffen und leidet unter diesem Stillstand in
der Entwicklung.“
Die „etablierten demokratischen Reflexe“, auf einen Militärputsch
mit einem sofortigen Stopp der Entwicklungszusammenarbeit zu reagieren, deren Wiederaufnahme
auf unbestimmte Zeit verschoben sei, seien zwar grundsätzlich richtig, aber sie müssten
vielleicht besser dosiert werden:
„Die strikte Stigmatisierung von Militärputschen
ist natürlich völlig korrekt, das steht völlig außer Zweifel. Aber Sanktionen sollten
doch immer so formuliert und gestaltet werden, dass sie der Bevölkerung keinen Schaden
zufügen. Es ist einfach nur wichtig, auch zu sehen, dass unter der Situation im Norden
Malis nicht nur die dort verbliebene Bevölkerung oder die Geflüchteten gelitten haben,
sondern dass durch die Isolierung Malis seit etwa zwölf Monaten, durch das Aussetzen
der Entwicklungszusammenarbeit und durch den völligen Kollaps des Tourismus, der ja
früher eine wichtige Einnahmequelle war, die Gesamtbevölkerung Malis leidet.“
Das
schaffe natürlich auch ein fruchtbares Terrain für die Rekrutierung weiterer Kämpfer:
„Ich
weiß von ehemaligen jungen Touristenführern aus Timbuktu, die sich von den Salafisten
anheuern haben lassen, weil sie Geld brauchten. Jetzt haben sie natürlich ein Problem
mit dem Abzug der internationalen Salafisten aus Timbuktu: sie bleiben in der Stadt
zurück, weil sie dort zuhause sind und haben jetzt Angst, dass ihre Nachbarn sich
an ihnen rächen werden, weil sie sich an die Salafisten verkauft haben.“
Eine
Einschätzung der Erfolgschancen, die die Afrikanische Gemeinschaft bei ihrem geplanten
Unternehmen habe, sei jedenfalls sehr schwer abzugeben. Problematiken wie Sprachbarrieren,
schwierige Absprachen und die Notwendigkeit der Einhaltung der verschiedenen Kommandoebenen
könnten die Effizienz des Einsatzes untergraben.
„Ich denke, die französische
Ankündigung, bis 2015 nochmals aufstocken zu wollen, ist ein Hinweis darauf, dass
sie auch bereit sind, länger im Land zu bleiben als nur ein paar Wochen. Ich möchte
gerne positiv denken: in diesem Fall erwarte ich, dass auch die internationale Gemeinschaft
ihre Sanktionen gegen Mali so schnell wie möglich aufgibt, die normale Entwicklungsarbeit
wieder anläuft, und dass man auch wieder Neuwahlen auf dem gesamten Territorium Malis
abhalten kann. Das war natürlich auch ein Problem, man konnte schlecht die unklare
nicht-verfassungsmäßige Situation in Mali durch den Militärputsch konstatieren und
dennoch sofort Neuwahlen einberufen. Wahlen in nur einem Drittel des Territoriums
von Mali hätten keinen Sinn gemacht, insofern war die logische Abfolge schon, zunächst
die staatliche Einheit und staatliche Infrastruktur auf dem gesamten Territorium wiederherzustellen
und dann zu Neuwahlen schreiten, mit denen man eine demokratische Legitimierung erreichen
kann. Erst dann kann man wohl an Neustrukturierung und Wiederaufbau der malischen
Armee als eine republikanische Armee denken. Im Augenblick ist das eine geschlagene
Putschistenarmee, die nur sehr begrenzt Partner sein kann.“