Vatikan/Straßburg: Risiko für die Gewissensfreiheit
Die Zunahme religiöser
Vielfalt und die Verhärtung des Säkularismus machen es schwer, Gewissensfragen offen
und objektiv zu diskutieren. So äußerte sich der vatikanische Außenminister, Erzbischof
Dominique Mamberti, zu vier an diesem Dienstag veröffentlichten Urteilen des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg. Das Gericht hatte an diesem Dienstag im
Fall zweier Frauen entschieden, die geklagt hatten, weil sie als Ausdruck ihres Glaubens
auch am Arbeitsplatz ein Kreuz tragen wollten, ihre Arbeitgeber dies aber verboten.
Eine ehemalige Angestellte von British Airways hatte Recht bekommen, eine Krankenschwester
nicht. Gleichzeitig waren zwei Fälle von Gewissensfreiheit verhandelt worden, hier
ging es um den Umgang mit gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, die eine Therapeutin
und ein Standesbeamter nicht betreuen wollten. In diesen beiden Fällen hatte das Gericht
entschieden, dass auch solche Anliegen betreut werden müssten, Gewissensgründe könnten
nicht ins Feld geführt werden.
Die vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof
verhandelten Fälle zeigten, wie komplex die Fragen der Freiheit des Gewissens in Europa
mittlerweile seien, so Erzbischof Mamberti.
„Es besteht das Risiko, dass
moralischer Relativismus, der sich selbst als neue soziale Norm etabliert, die Fundamente
der Gewissensfreiheit des Einzelnen und der Religion unterläuft. Was moralisch kontroverse
Themen wie Abtreibung und Homosexualität angeht, muss das Gewissen respektiert werden.
Es ist kein Hindernis bei der Errichtung einer toleranten Gesellschaft in ihrer Pluralität,
sondern der Respekt für diese Freiheit des Gewissens und der Religion ist eine Grundbedingung
für diesen Aufbau.“
Die Kirche wolle diese Gewissensfreiheit unter allen
Umständen verteidigen, sogar gegen die ‚Diktatur des Relativismus’. Deswegen weise
er auf die Vernünftigkeit des menschlichen Gewissens im Allgemeinen und auf die moralisch
begründeten Handlungen von Christen im Besonderen hin. Erzbischof Mamberti verweist
auf die Ansprache des Papstes an das diplomatische Corps von vergangener Woche, in
der Benedikt XVI. diesen Punkt eigens betont hatte. Freiheit sei in der Würde des
Menschen verwurzelt, hatte der Papst gesagt. Wenn eine Gesellschaft demokratisch und
frei sei wolle, müsse sie diese ethischen und religiösen Prinzipien respektieren.
„Das
Verbot des Einspruchs aus Gewissensgründen im Namen von Freiheit und Pluralismus öffnet
paradoxerweise die Tür zu Intoleranz und erzwungener Einheitlichkeit. Die Erosion
der Gewissensfreiheit weist auch auf einen Pessimismus hin, was die Fähigkeit des
menschlichen Gewissens angeht, das Gute und Wahre zu erkennen. Davon profitiert ausschließlich
das so genannte positive Recht, das ein Monopol auf Moral für sich beansprucht.“
Vor
einiger Zeit hatte der Vatikan über seinen Beobachter beim Europarat eine Note veröffentlicht,
in der das Argument in Bezug auf zwei weitere Fälle noch einen Schritt weiter geführt
wird. Bei diesen Fällen vor dem Menschenrechtsgerichtshof geht es um die Autonomie
der Kirchen. Ein Fall bezieht sich auf Rumänien, ein zweiter auf Spanien. Eine Zusammenfassung
dieser Note zu den Fällen in Spanien und Rumänien finden Sie über unsere Internetseite.