Es ist erst wenige
Wochen her, dass die brutale Vergewaltigung und der anschließende Tod einer jungen
Studentin zu Massenprotesten in dem Land geführt hatten, in dem den Frauen ihre Rechte
oft verweigert werden. Die Täter stehen in diesen Tagen vor Gericht, ihnen droht die
Todesstrafe. Dann kam es an diesem Wochenende erneut zu einer Vergewaltigung, wieder
waren es mehrere Männer, die eine Frau einführt und sie misshandelt haben, wieder
war ein Bus im Spiel. Simone Rappel ist Indien-Expertin bei dem katholischen Hilfswerk
missio, besonders die Rechte der Frauen liegen ihr am Herzen:
„Die Demokratie
in Indien ist im Aufbruch, viele sind zu Recht auf die Straße gegangen, insbesondere
junge Leute. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass zig-tausende Vergewaltigungen
stattfinden, insbesondere in den Hochburgen Mumbai und Delhi, aber auch auf dem Land.
Vergewaltigung gilt als Kavaliersdelikt und die Frauen sind verfügbare Masse für Männer.
Der Protest ist die eine Seite, weil das Vergehen besonders gewaltsam und brutal war,
das andere ist aber die schwelende Zweitklassigkeit der Frau in der Gesellschaft.
Mädchen sind unerwünscht. Man selektiert schon im Mutterleib die weiblichen Föten,
tausend Rupien für den Ultraschall im Vergleich zu hunderttausend Rupien Mitgift.
Frauen sind zweitklassig, ein Problem ist vor allem diese Mitgift. Töchter kosten
Geld, Söhne bringen es - ein Mädchen oder zwei gehen noch, aber Nummer zwei und drei
sind schon unerwünscht. Und wenn die Gesellschaft so sozialisiert ist, sind auch die
Frauen nichts anderes als zweitklassige Ware, immer verfügbar. Der Aufschrei ist das
eine, die Vergewaltigung und Gewalt an Frauen insgesamt das andere.“
Was
muss denn getan werden, damit ein Wandel tatsächlich herbeigeführt werden kann?
„Weg
von den Traditionen, eine der Ursachen ist das Mitgiftsystem; Frauen kosten Geld,
sie ziehen weg in die Häuser ihres Mannes, sind dann für die Eltern, die sie ernährt
und erzogen haben, Verlust und sind damit für die Eltern im Alter natürlich auch nicht
mehr die Sozialversicherung. Mitgiftsystem weg wäre das eine, und das Andere ist etwas,
was mit der Religion, dem Hinduismus zu tun hat. 85 Prozent der Inder sind Hindus.
Das Problem sind die so genannten letzten Riten, das heißt, die Verbrennung. Der Scheiterhaufen
muss vom Sohn entzündet werden, um die Seele des verstobenen Elternteils freizusetzen.
Und so lange diese Sohnespräferenz so religiös zementiert ist, und dieses letzte Ritual
den Sohn verlangt, solange wird auch von der Religion her die Zweitklassigkeit der
Frau unterstützt. Also Mitgift und diese letzten Rituale wären schon zwei Baustellen,
um bei Frauenempowerment anzusetzen.“
Können denn Initiativen wie der Tag
der Solidarität und des Respekts, der für den kommenden 27. Januar in der Diözese
Mumbai ausgerufen wurde, helfen?
„Ich verspreche mir sehr viel von solchen
Initiativen, Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in Indien per Gesetz auf dem
Papier vorhanden, aber weniger in der Wirklichkeit. Die Kirche geht da mutig voran
und setzt Zeichen, und leistet einen Bewusstseinswandel gerade durch die vielen Frauenempowermentprojekte,
Alphabetisierungskampagnen, kleine Selbsthilfemaßnahmen für Frauen. Insofern ist die
katholische Kirche da jemand, der nicht nur als Lippenbekenntnis protestiert, sondern
mit gutem Beispiel vorangeht.“