Widerstand gegen das Diktat der Beschleunigung: Die Zeit gehört uns!
Wir leben dauerbeschleunigt,
immer weniger Zeit für immer mehr Dinge. Aber es gibt Widerstand: „Die Zeit gehört
uns“, so heißt das Buch des emeritierten Professors Pater Friedhelm Hengsbach. Widerstand
gegen das Regime – so lautet der Untertitel. Es ist kein Lebenshilfebuch, es ist ein
politisches Buch. Pater Hengsbach geht es nicht um den Umgang mit Zeitmangel und Hektik
durch Meditation oder Zeitmanagement und Muße, sondern es geht um den wirtschaftlich
erzeugten Zeitdruck. Gerade die von der Realität weit entfernten Finanzmärkte mit
ihren Spekulationen erzeugten einen Druck, der sich in Zeitdruck für die Menschen
übersetze. Hengsbach sagt, dass die Zeit eigentlich uns gehöre, und dass sich der
Einsatz dafür lohne; Anpassung sei keine echte Option, ..
„..weil es für
viele Menschen ein unendlicher Druck wird, der Leiden verursacht. Viele Menschen kommen
mit dem vorgegebenen gesellschaftlichen Tempo gar nicht mehr klar. Man sieht, dass
vor allem Frauen unter einem Beschleunigungsdruck leiden, der von ihnen doppelte Arbeit
verlangt: Auf der einen Seite erwerbstätig zu sein und auf der anderen Seite einen
großen Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Die Männer sind davon weniger betroffen,
was die privaten Haushalte angeht, aber für sie ist der Druck im Erwerbssystem besonders
groß. Dieselbe Arbeit muss in der Hälfte der Zeit erledigt werden. Also: Die Leute
arbeiten länger, intensiver, sie arbeiten am Wochenende, am Samstag und am Sonntag
und in der Nacht und arbeiten mehr auf Schicht.“
Es geht Ihnen also um
Fremdbestimmung oder klassisch ausgedrückt um Entfremdung?
„Ich denke, dass
der Zeitdruck dann wirklich zu einem Schmerz verursachenden Phänomen wird, wenn ich
selbst nicht mehr über meine eigenen Handlungen selbst bestimmen kann. Zeit hat etwas
zu tun mit dem aufeinander Abstimmen von Handlungen, dass meine eigenen Handlungen
und die Handlungen meines Partners aufeinander abgestimmt werden können. Wenn uns
das gelingt, ist ein großteil des Zeitdrucks verloren. Kinder, die miteinander
spielen, haben keinen Zeitdruck. Verliebte, die gemeinsam ihre Zeit in der Umarmung
und Verliebtheit verbringen, sind weit vom Zeitdruck entfernt. Wenn andere über mich
bestimmen, dann entsteht also diese Entfremdung oder dieser Zeitdruck.“
Was
kann ich dagegen tun, wo liegt meine Möglichkeit zum Widerstand?
„Wenn meine
These stimmt, dass die Finanzmärkte die Verursacher dieses Megaschubs an Beschleunigung
sind, dann geht es darum, die Finanzmärkte zu regulieren. Das ist Aufgabe der politischen
Entscheidungsträger. Ein anderer Punkt: Die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften, die
einmal angetreten sind, Arbeitszeit zu verkürzen, das heißt den Produktivitätsfortschritt
nicht nur in Wachstum und mehr Güter und mehr Einkommen umzusetzen, sondern in mehr
freie Zeit: Die sind aufgerufen, sich dieses Themas wieder anzunehmen. Aber
ich denke auch, dass die Einzelnen, wenn sie mit entsprechender Macht ausgestattet
sind, auch dem Arbeitgeber sagen: Nein, keine Überstunden, keine Sonntagsarbeit und
keine Nachtarbeit. Aber das können nur diejenigen, die über eine entsprechende Verhandlungsmacht
verfügen. Und dann ist da noch die Frage der Geschlechterverhältnisse. Ich
denke, dass die Männer in zunehmendem Maße aus der Erwerbsarbeit aussteigen und Erziehungsarbeit
übernehmen müssen, un damit die Frauen entlasten.“
Das Buch: Friedhelm
Hengsbach: Die Zeit gehört uns. Widerstand gegen das Regime der Beschleunigung. Das
Buch ist im Westendverlag erschienen und kostet 19,99 Euro.